06-09-2013
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Neuer Wachstumsmotor: Shanghai richtet Freihandelszone ein
von Zhou Xiaoyan

Shanghai erhält grünes Licht für die Einrichtung einer neuen Freihandelszone. Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst.

 

 

Lichtermeer am Himmel: Shanghai aus der Vogelperspektive (CFP)

Die Zentralregierung hat Shanghai grünes Licht zur Einrichtung der ersten Freihandelszone im chinesischen  Festland erteilt. Damit kommt die Stadt ihrem Ziel näher, ein globales Finanz-, Handels- und Umschlagszentrum zu werden und anderen asiatischen Städten wie Hongkong Konkurrenz zu machen.  

Das Pilotprojekt soll angesichts schwächelnder Konjunktur und nachlassendem Außenhandel als neuer Wachstumsmotor dienen. Vor allem aber soll die Freihandelszone als ein Testfeld für wichtige Finanzreformen fungieren. Die hier gesammelten Erfahrungen sollen auf andere Regionen des Landes übertragen werden.

Der Staatsrat habe die Einrichtung einer Freihandelszone in Shanghai genehmigt, hieß es in einer Stellungsnahme des Handelsministeriums (MOFCOM) vom 22. August. Das Projekt umfasst eine Fläche von 28,78 Quadratkilometern und soll auf Basis der bereits bestehenden zollfreien Zonen – der Freihandelszone und dem Logistikpark von Waigaoqiao, dem Freihandelshafen Yangshan und der Freihandelszone am Flughafen Pudong – errichtet werden. Die Bauzeit wird voraussichtlich mehr als zehn Jahre betragen.  

In einer Freihandelszone können Waren ohne Eingriff der Zollbehörden importiert, hergestellt und exportiert werden. Nach ihrer Fertigstellung soll die Shanghaier Freihandelszone offiziellen Angaben zufolge Transport- und Kommunikationseinrichtungen von Weltklasse und –  als wichtiger Knotenpunkt für Lieferketten in Asien –  ein steuerfreies Umfeld für in- und ausländische Firmen bieten.

Ein genereller Betriebsplan für die Freihandelszone ist noch nicht veröffentlicht worden. Es müssten noch Änderungen bestehender Gesetze bewilligt werden, um geplante Experimente auf legalen Boden zu stellen, hieß es in der MOFCOM-Stellungnahme.

Das Pilotprojekt sei ein entscheidender Schritt zur Anpassung an globale Entwicklungen in Wirtschaft und Handel und gleichzeitig eine proaktive Öffnungsstrategie. Es helfe, neue Wege bei der Öffnung Chinas zu erkunden und fördere auf der Suche nach einem neuen Wachstumsmodell die Regulierung der Wirtschaftsstruktur. Die Freihandelszone werde Chinas globale Wettbewerbsfähigkeit stärken, eine neue Plattform für die Zusammenarbeit mit anderen Ländern sein und den Aufbau einer moderneren Wirtschaft unterstützen, hieß es weiter.  

 

 Stellenwert

"Die Freihandelszone entsteht zu einem Zeitpunkt, in dem das Land vor großen nationalen und internationalen Herausforderungen steht", erklärt Chen Bo, Wirtschafts- und Handelsexperte an der Shanghai University of Finance und Economics.

Chinas Außenhandel stieg 2012 nur um 6,2 Prozent, das ist der geringste Zuwachs seit 2008 und zeigt, wie eine langfristige Konjunkturflaute aussehen könnte. Das Land brauche angesichts nationaler und internationaler Herausforderungen einen neuen Motor zur Stärkung seiner schwächelnden Wirtschaft, so Chen. 

Ye Tan, ein renommierter Finanzkommentator, ist ähnlicher Ansicht. „Die politische Dividende aus dem WTO-Beitritt ist langsam aufgebraucht. China braucht ein neues System, um mehr Dividenden auszuschütten. Eine Freihandelszone ist am sinnvollsten, denn sie erleichtert nicht nur Exporte, sondern zieht auch ausländische Investitionen an", so Ye.

Experten zufolge ist die Freihandelszone besonders für Chinas Regulierung der Industriestruktur von Bedeutung, gefragt ist eine Modernisierung des  Liefererkettenmanagements, vor allem in der Logistik.

Vor dem Hintergrund der Globalisierung werde die Freihandelszone nicht nur den Außenhandel beleben, sondern auch den Zufluss von Produktionsfaktoren verstärken und Chinas Entwicklung in den nächsten 30 Jahren fördern, meinen Analysten.

Die Freihandelszone sei ein Durchbruch für eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung Shanghais, meint Shen Guilong, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Shanghaier Akademie der Sozialwissenschaften. Sie werde mehr internationale Unternehmen, vor allem aus dem Dienstleistungssektor, dazu bringen, ihre Asien-Pazifik- und China-Vertretungen in Shanghai zu eröffnen. Es sei damit zu rechnen, dass die Freihandelszone umfassendere, praktischere und transparentere Dienstleistungen im Außenhandel anbieten werde, einschließlich Zollabfertigung und Aufsichtspolitik, fügte er hinzu. 

Liu Shengjun, stellvertretender Direktor des CEIBS Lujiazui International Finance Research Center, preist die Freihandelszone als neuen historischen Durchbruch nach Chinas WTO-Beitritt im Jahr 2001. „China hat die erste Phase der Globalisierung durch den WTO-Beitritt abgeschlossen und startet nun mit der Einrichtung der Freihandelszone in Shanghai, die Handelsbarrieren abbauen und China weiter öffnen soll, in die zweite Phase."

Die Zentralregierung will aus Shanghai ein globales Finanz-, Handels-, Umschlags- und Logistikzentrum machen, daher überrascht es kaum, dass man die neue Freihandelszone hierhin verlegt hat. Mit seinen über 20 Millionen Einwohnern ist Shanghai bereits der größte Containerhafen der Welt und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für die Region und ganz China.

Die Shanghaier Stadtregierung arbeitet nun daran, aus ihrer Chance den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Der Bau der Freihandelszone steht für den Rest des Jahres ganz oben auf der Arbeitsagenda. Im August gab die Stadt zur Förderung der Zone eine aus 42 Paragraphen bestehende Vorschrift heraus, die mehr Innovationen im Finanzsektor und leichter zugängliche Kredite für Klein- und Kleinstunternehmen fördern soll.

Maßnahmen zur Unterstützung der Freihandelszone hätten allerhöchste Priorität, erklärte Bürgermeister Yang Xiong am 25. Juli bei der Präsentation seines  halbjährlichen Arbeitsberichts im Expo-Center.

Im ersten Halbjahr 2013 stieg Shanghais BIP im Vorjahresvergleich um 7,7 Prozent auf 1,02 Billionen Yuan (127,5 Milliarden Euro), meldete das Shanghaier Statistikamt.

 

 

Hongkong überholen?

"Der wichtigste Aspekt der Freihandelszone sind ein Zuwachs an Innovationen und eine Lockerung der Kontrollen im Finanzsektor", erklärt Finanzkommentator Chen Wenxing. "So könnte man beispielsweise ausländischem Kapital die Gründung von Banken in der Freihandelszone erlauben, chinesischen Banken könnte der Offshore-Yuan-Handel gestattet werden, und  unter bestimmten Bedingungen könnte die volle Konvertibilität des Yuan genehmigt werden."

Das Offshore-Finanzbusiness habe das größte Potenzial in der Freihandelszone, erklärt Mei Xinyu, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Chinesischen Akademie für Internationalen Handel und Wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Das kann der Globalisierung der chinesischen Währung helfen."

Die Lockerung der Kontrollen könnte das Finanzsystem stärken und es effizienter machen, meinen Analysten.

Die Frage ist dann: Wird Shanghai für das globale Finanzzentrum Hongkong eine Bedrohung darstellen?

Hongkong ist ein etabliertes Zentrum für Kreditsyndizierungen, das den Finanzierungsbedarf von Regierungen und Unternehmen in der Region und der ganzen Welt erfüllt. Mit Singapur teilt es sich außerdem die regionale Vermögensverwaltung und den Privatbankensektor.

Shanghai könnte die Internationalisierung des Yuan im chinesischen Festland beeinflussen, indem es Unternehmen aus Hongkong anlockt, zurzeit das größte Offshore- Handelszentrum für den Yuan, erklärt Liu Yuanchun, Professor an der Beijinger Renmin-Universität. „Möglicherweise wird mit den fortschreitenden Plänen für die Freihandelszone Hongkongs Status als regionales Finanzzentrum geschwächt. Wann dies geschieht, ist allerdings ungewiss." 

Die Freihandelszone werde Hongkongs Offshore-Yuan-Business mit Sicherheit einen Schlag versetzen, wenn mehr Geschäfte in Yuan abgerechnet würden, meint Billy Mak, außerordentlicher Professor für Finanzwissenschaften an der Hongkonger Baptist University.

Feng Zhengzhou, Präsident des Verbands der Shanghaier Exportfirmen, ist dagegen weniger optimistisch.

"Ich glaube nicht, dass die Freihandelszone in Shanghai irgendeine Bedrohung für Hongkong darstellt, vor allem nicht kurzfristig. Die Freihandelszone ist wie ein Fötus, noch nicht unabhängig vom Mutterland, während Hongkong seit vielen Jahren ein weit entwickelter Handelshafen ist."

Wang Guowen, Hauptvertreter des Verbands für Lieferkettenmanagement in China, sieht das ähnlich. Mit einer Größe von nur 28,78 Quadratkilometern sei die Freihandelszone mehr ein Experimentierfeld für weitere Reformen und die Öffnung Chinas, fügte er hinzu.

Auch MOFCOM-Sprecher Shen Danyang erklärte bei einer Pressekonferenz, dass die Freihandelszone dazu dienen solle, mehr Erfahrungen für weitere Reformen und die Öffnung Chinas zu sammeln.

"Es ist absolut unnötig, sich über negative Auswirkungen auf Hongkong Sorgen zu machen."

 

Absicherung gegen Risiken

Die zentralen Behörden sollten sehr wachsam hinsichtlich der Finanzrisiken in der Freihandelszone sein, warnen Experten.

"Die Freihandelszone kann vielleicht einige Experimente zur Liberalisierung der Zinssätze ermöglichen. In der Tat haben viele südasiatische Länder marktorientierte Zinssätze getestet, am Ende standen sie aufgrund mangelnder Erfahrung und schwacher Wirtschaftskraft mit hohen Schulden und Vermögensblasen da. Selbst für Industrieländer stellen freigegebene Zinssätze ein Problem dar", erklärte Finanzkommentator Ye Tan.

Ye rät der Zentralregierung auch zu einem besonneneren Vorgehen bei der Konvertibilität des Yuan in der Kapitalbilanz.

"Ein starker Zufluss von ausländischem Kapital wird Vermögensblasen und Druck zur Aufwertung des Yuan erzeugen. Daher sollten Handels-, Technologie- und Logistikunternehmen in der Freihandelszone mehr Freiheiten bei der Konvertibilität des Yuan erhalten." 

"Wenn China die Konvertibilität des Yuan in der Kapitalbilanz leichtsinnig in Angriff nimmt, könnte mehr ausländisches Kapital als erwartet auf den Immobilienmarkt fließen und die jetzt schon horrenden Wohnungspreise in Shanghai weiter nach oben treiben."