Trotz Wachstumseinbruch im ersten Halbjahr geht Chinas Regulierung der Wirtschaftsstruktur weiter wie geplant.
Moderner Verkehr: In Guzhu kreuzen sich die Jiaxing-Shaoxing-Brücke und die Schnellstraßen von Hangzhou nach Ningbo sowie von Shangyu nach Sanmen. (6. Juli 2013)
In den vergangenen zwei Jahren ist Chinas Wirtschaftswachstum schwächer geworden. Nach Angaben des Staatlichen Statistikamts (SSA) vom 15. Juli erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Halbjahr um 7,6 Prozent, im zweiten Quartal um 7,5 Prozent, das ist das zweitniedrigste Ergebnis seit dem vierten Quartal 2010.
Aber Skeptiker seien gewarnt. Die Konjunkturabschwächung bedeutet nicht, dass man Chinas Wirtschaft schon jetzt abschreiben kann. Das Wachstum sei stabil und dieRegulierung der Wirtschaftsstruktur hin zu einem größeren Binnenverbrauch schreite stetig voran, sagte SSA-Sprecher Sheng Laiyun.
China kämpft darum, seine Abhängigkeit von Investitionen zu verringern und sein Wirtschaftswachstum auf lange Sicht nachhaltiger zu gestalten. Die Wachstumsrate entspricht den Regierungserwartungen und wirtschaftlichen Umgestaltungsplänen.
Der wirtschaftliche Schaden resultiere nicht aus einer Konjunkturverlangsamung, sondern aus dem schnellen Wachstum in der Regulierung der Wirtschaftsstruktur, sagt Liu Yuanchun, Prorektor an der School of Economics der Renmin University in Beijing. Zweifler sollten einen Blick hinter den Konjunkturrückgang werfen und den langfristigen Wirtschaftsreformen sowie Regulierungsmaßnahmen der Regierung mehr Aufmerksamkeit schenken.
Vorübergehende Abkühlung
Statistiken des SSA zufolge verzeichnete die Agrarproduktion im ersten Halbjahr ein stabiles Wachstum, die Getreideernte im Sommer stieg im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Prozent, die Lebensmittelsicherheit war somit gewährleistet. Auch in der industriellen Produktion gab es ein stabiles Wachstum, die Unternehmensgewinne erhöhten sich weiter. Diesen Zahlen zufolge hat Chinas Wirtschaft weiter eine solide Basis.
Gleichzeitig erhöhte sich das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Stadtbewohner im Vergleich zum Vorjahr um nominell 9,1 Prozent, das der Landbewohner um 11,9 Prozent. Ein klares Zeichen dafür, dass das langsamere Wachstum die Einkommen nicht nach unten gedrückt hat.
Es gebe keinen Grund zur Sorge, meint auch Lian Pingyan, Chef-Ökonom bei der Bank of Communications, Werte wie die Beschäftigungsquote und Rohstoffpreise seien im Normalbereich.
China sei in eine Phase mittelmäßigen Wachstums eingetreten, das in angemessenem Tempo verlaufe, meint Zhang Liqun, Forschungsstipendiat beim Forschungszentrum für Entwicklung des Staatsrats. „Chinas Wirtschaft hat die Talsohle erreicht und sucht nun ein neues Gleichgewicht", so Zhang weiter.
Er sei zuversichtlich, sowohl in kurz- als auch langfristiger Hinsicht. China sei immer noch mitten drin im Prozess der Industrialisierung und Urbanisierung.
Umwandlungsprozesse
Seit 30 Jahren wächst China ungezügelt und kämpft mit Umweltverschmutzung und Rohstoffverschwendung. Seit der Amtsübernahme der neuen Regierung im März geraten Pläne für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine wirtschaftliche Modernisierung zunehmend in den Fokus.
Es wurde eine Menge Bürokratie abgebaut, um die Wirtschaft effizienter zu gestalten. Auf zwei Tagungen im April und Mai diesen Jahres dezentralisierte die Regierung die Entscheidungsgewalt und übertrug Provinz- und Stadtregierungen mehr Entscheidungsbefugnisse.
Drei Wirtschaftswissenschaftler bei Barclays Capital prägten den Begriff "Likonomics" in Anlehnung an die Bemühungen von Chinas Premier Li Keqiang um ein stabiles und gesundes Wachstum, das weniger Wert auf ein hohes BIP-Wachstum legt. „Likonomics" besteht aus drei Teilen, dem Ende der Anreizpolitik, Schuldenabbau und strukturellen Reformen.
Diese drei Ziele zu verfolgen, wird nicht leicht sein. Der Weg zur Regulierung der Wirtschaftsstrukturkann holprig werden, wenn er es nicht schon ist, und viele Opfer verlangen. Mit dem Ende des Wandels werde China aber von einer gesünderen und nachhaltigeren Entwicklung profitieren, so Zhang.
Die Grenzen
Auch wenn die Reformprozesse zu einer Wachstumsabschwächung führten, hat die Regierung keine Absicht, ihren Kurs zu ändern. Bei einem wirtschaftlichen Symposium in dem Autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang-Nationalität erklärte Li: „Makrokontrollen sollten auf langfristigen Nutzen abzielen und sicherstellen, dass die Wirtschaft in einem vernünftigen Rahmen schwankt. Das heißt, Indexe wie Wachstumsrate und Beschäftigungsquote sollten eine Untergrenze nicht unter-, Preissteigerungen eine Obergrenze nicht überschreiten."
Auch wenn Li nicht ins Detail ging, sagen Experten, dass sich die "Untergrenze" auf ein jährliches Wachstum von 7,5 Prozent und mindestens neun Millionen neue Arbeitsplätze in der Stadt und auf dem Land bezieht. Die „Obergrenze" meint eine Erhöhung des Verbraucherpreisindexes von nicht mehr als 3,5 Prozent in diesem Jahr, so wie es im Tätigkeitsbericht der Regierung vom März skizziert wurde.
Zurzeit sind Beschäftigungs- und Verbraucherpreisindex stabil. Zahlen vom Ministerium für Menschliche Ressourcen und Sozialabsicherung zeigen, dass auf 100 Arbeitssuchende 107 Arbeitsplätze kommen, etwas weniger als im ersten Quartal, als dieses Verhältnis 100 zu 110 betrug. Nach Statistiken des SSA stieg der Verbraucherpreisindex im Vorjahresvergleich um 2,7 Prozent.
Es gibt Bedenken, ob Chinas Wirtschaft sich über dieser "Untergrenze" halten kann, da die Wachstumsquote von 7,6 Prozent in der ersten Jahreshälfte dem schon sehr nahe kommt. Zhang Monan, Wissenschaftler am Institut für Wirtschaftsprognosen des Staatsinformationszentrums, legt nahe, dass die "Untergrenze" anzeige, dass die Regierung einer Konjunkturabschwächung eher tolerant gegenübersteht.
"Einige werden sich fragen, ob die neue Regierung die Wirtschaft über der 'Untergrenze' halten kann. Es ist schwer, darauf zu antworten. Aber eins ist sicher: Reformen bedeuten Schmerzen", erklärt Zhang.
Guan Qingyou, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts bei Minsheng Securities, behauptet, dass China diese „Untergrenze" auch in Zukunft bewahren solle. „Es ist wichtig, das Wachstum während des wirtschaftlichen Wandels zu stabilisieren."
Probleme in Sicht
In der ersten Jahreshälfte gab es bedeutende Veränderungen – gute und schlechte – da China seine Wirtschaft weiter modernisiert. So befinden sich viele energieintensive und umweltschädigende Industriezweige in einem Prozess der technischen Erneuerung, um sich auf eine modernere Wirtschaft einzustellen. Die Kehrseite: Der heimische Verbrauch ist trotz vieler Anstrengungen der vergangenen Jahre, die chinesischen Verbraucher zum Geldausgeben zu bewegen, nicht so robust, wie es die Regierung erwartete.
Nach Angaben des SSA stieg der Einzelhandelsumsatz bei Verbrauchsgütern im ersten Halbjahr um 1,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Der schwache heimische Verbrauch könnte Plänen für eine mehr konsumorientierte Wirtschaft einen Dämpfer versetzen.
Zudem sind die Im- und Exportzahlen wenig ermutigend. Statistiken des SSA zeigen, dass sich Im- und Export mitten in einer Abkühlung befinden. Im ersten Quartal beliefen sie sich auf insgesamt 975,25 Milliarden Dollar, 13,5 Prozent mehr als im Vorjahr, im zweiten Quartal waren es 1,02 Billionen Dollar, eine Steigerung von 4,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, obwohl Im- und Exporte im Mai nur um 0,3 Prozent wuchsen und es im Juni ein Negativwachstum von 2 Prozent gab.
Die düstere Lage auf dem Auslandsmarkt habe Chinas Exportwachstum einbrechen lassen, sagt Zheng Yuesheng, Sprecher der Zollverwaltung, die substantielle Aufwertung des Yuan in Kombination mit steigenden Arbeitskosten machten Exporte teurer. Gleichzeitig steigen die Arbeitskosten weiter. Mehrere Provinzen und Städte haben ihre Mindestlöhne in diesem Jahr erhöht. Von 2000 Unternehmen, die an einer monatlichen Zoll-Umfrage teilnahmen, antworteten mindestens 70 Prozent regelmäßig, unter wachsendem Kostendruck zu stehen, und dass die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte abnehme.
Noch schlimmer, Chinas Handelsumfeld verschlechtert sich wegen häufiger Handelskonflikte. Nach Angaben des Handelsministeriums veranlassten im ersten Quartal 18 Länder 22 Anti-Subventionsverfahren gegen China. Die Ermittlungen und Strafzölle auf chinesische Produkte haben die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes ausgehöhlt.
Wirtschaftliche Prognose
Li Daokui, Direktor des Center for China in the World Economy an der Tsinghua-Universität prognostizierte für die zweite Jahreshälfte ein Wachstum von 7,8 Prozent, ein leichter Anstieg im Vergleich zur ersten Hälfte.
Ein am 1. Juli veröffentlichter Bericht der China Investment Consulting meldet eine Wachstumsrate von 7,5 Prozent für das gesamte Jahr. Im September will die Regierung außerdem eine Reihe von Reformstrategien bekannt geben.
In einem Bericht von Anbound Consulting, einem renommierten Think Tank für politische Strategien in China, heißt es, dass die drei Säulen für Makroökonomie -- Investitionen, Verbrauch und Nettoexporte -- keine Anzeichen für eine Erholung zeigen. Im Hinblick auf Investitionen verhindern restriktive Maßnahmen, hohe regionale Schulden und abnehmende Unternehmensprofite, dass die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs kommt. Ein hoher Druck auf dem Arbeitsmarkt, wenig Einkommensperspektiven und Beschränkungen der Regierungsausgaben haben zudem Investitionen als Antrieb für Wachstum gedämpft. Letztendlich ist die Nachfrage von außen nach chinesischen Produkten immer noch schwach.
"Vor dem Hintergrund der o.a. Gründe fällt die Prognose für die zweite Jahreshälfte nicht so optimistisch aus", heißt es.
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