Im Chinesischen Pavillon der Pariser Buchmesse liest ein Besucher am 22. März ein E-Book.Zhen Bin
In den jüngsten Monaten ist die vom neu gewählten Staatspräsidenten Xi Jinping präsentierte Vision vom "chinesischen Traum" in ganz China diskutiert worden. Aber was bedeutet dieser Traum für Europa und die Welt im Ganzen? Bei seiner Grundsatzrede anlässlich des Vierten China-Europe-High-Level Political Parties Forums in Suzhou (Provinz Jiangsu) vom 22. bis 23. April interpretierte Liu Yunshan, Mitglied des Ständigen Ausschusses des ZK-Politbüros den „chinesischen Traum" aus einer globalen Perspektive. Es folgen Ausschnitte.
Nach einer langen und anstrengenden Experimentierphase, vor allem seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 1970er Jahren, ist es uns gelungen, den richtigen Weg für Entwicklung und Fortschritt in China zu finden – den Sozialismus chinesischer Prägung. Dieser Weg bescherte China in mehr als 30 aufeinanderfolgenden Jahren eine jährliche Wachstumsrate von fast zehn Prozent, ließ das Einkommen der Bevölkerung um mehr als das 30-fache steigen und trug dazu bei, dass die weltweite Armut um 70 Prozent sank. Nach mehr als drei Jahrzehnten der Reform und Entwicklung sind wir dem nationalen Wiederaufleben näher als jemals zuvor.
Um den chinesischen Traum wahr werden zu lassen, müssen wir an diesem Weg und am chinesischen Geist festhalten sowie Chinas Stärken bündeln. Letzten Endes ist der chinesische Traum ein Traum des Volkes, er soll vor allem ihm Vorteile verschaffen. Während wir den Fortschritt im Land fördern, ermutigen wir gleichzeitig jeden Chinesen, eigene Träume in die Tat umzusetzen. Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen in ihrem Leben vorwärtskommen, ihre Träume verwirklichen und sich genau wie ihr Vaterland weiterentwickeln können.
Die Erfüllung des chinesischen Traums soll der Welt Frieden, Fortschritt, mehr Zusammenarbeit und neue Chancen bringen. Unser Traum stellt keine Bedrohung irgendeiner Art dar.
Aufgrund ihrer historischen Wertschätzung von Frieden und Harmonie sowie Offenheit und Integration fürchten sich die Chinesen vor Unruhen, während sie gleichzeitig Fortschritt wünschen. Der chinesische Traum mit seinen friedvollen und harmonischen Anteilen wird anderen Ländern neue Chancen bieten. In den vergangenen Jahren zeigte China Verantwortung und hatte dabei immer das große Ganze im Blick. Es leistete wichtige Beiträge zur Bewältigung der asiatischen und weltweiten Finanzkrise sowie bei dem Regieren der Probleme von globaler Tragweite. 2012 übertraf das Außenhandelsvolumen 3,8 Billionen US-Dollar, China wurde zur größten Handelsnation der Welt. In den nächsten fünf Jahren wird China Waren im Wert von rund 10 Billionen Dollar importieren, 500 Milliarden Dollar im Ausland investieren und Chinesen werden wahrscheinlich mehr als 400 Millionen Reisen ins Ausland unternehmen. All das trägt unweigerlich zur globalen Konjunkturbelebung bei.
Es sollte anerkannt werden, dass die Stabilität und die Entwicklung Chinas, eines Landes, in dem mehr als ein Fünftel der Menschheit lebt, wichtig für die gesamte Menschheit ist. Auch wenn es sich zu einer Industrienation entwickelt, wird China ein zuverlässiger Hüter des internationalen Friedens und des Fortschritts bleiben. Bei der Verwirklichung seines Traumes sieht sich China weiterhin einer friedlichen Entwicklung verpflichtet, folgt stets einer Win-Win-Strategie der Öffnung und wirkt in positiver Weise an der Erfüllung des weltweiten Traums von dauerhaftem Frieden und Wohlstand für alle mit.
Wir sind bereit, den chinesischen Traum mit Europa und der Welt zu teilen. Multi-Polarität, Globalisierung und die Informationsgesellschaft sind Tendenzen, die an Einfluss gewinnen, im globalen Dorf sind die Länder zunehmend miteinander verbunden und voneinander abhängig. Die Schicksale Chinas und Europas waren nie so eng miteinander verwoben wie heute. Während die EU Chinas größter Handelspartner und Technologiezulieferer bleibt, ist China Europas wichtigster Import- und zweitgrößter Exportmarkt. Der bilaterale Handel ist im letzten Jahrzehnt von 80 Milliarden Dollar auf 546 Milliarden Dollar gestiegen. Jedes Jahr finden 5 Millionen Besuche zwischen China und Europa statt, täglich starten und landen 70 Flüge. China und Europa teilen Interessen und Positionen, wenn es um den Multilateralismus, die Stärkung globaler Führungsstrukturen, die Förderung der globalen Wirtschaftsbelebung und den Umgang mit diversen globalen Herausforderungen geht. In einer ganzen Reihe internationaler und regionaler Krisenangelegenheiten haben wir uns aufeinander abgestimmt und miteinander kooperiert. Diese Fakten beweisen, dass sich die Beziehungen zwischen Europa und China intensivieren und vertiefen. Um sie nun auf ein neues Level zu heben, müssen wir in folgenden Bereichen gemeinsame Anstrengungen unternehmen:
Erstens sollten wir das Prinzip der Win-Win-Kooperation beibehalten, um die positive Ausrichtung einer umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Europa zu bewahren. Die Win-Win-Kooperation macht das Wesen dieser Partnerschaft aus. In einer interdependenten Welt sind die Beziehungen zwischen Ländern oft entweder zerstörerisch oder zeichnen sich durch eine Nullsummen-Mentalität aus. China unterstützt entschlossen den Integrationsprozess Europas und seine Anstrengungen zur Bewältigung der Schuldenkrise. Es betrachtet ein vereinigtes, wohlhabendes und starkes Europa als Segen für sich und die Welt. Europa seinerseits unterstützt Chinas Öffnung und Reformen und betrachtet diese Entwicklung ebenfalls als Chance für sich. Wir sollten Differenzen in den Sozialsystemen überwinden, die Nullsummen-Mentalität aufgeben und Konzepte für eine gegenseitige Unterstützung und Win-Win-Kooperation in die Praxis umsetzen. Wir sollten außerdem in integrativer und gesunder Weise miteinander konkurrieren sowie Vorteile und Verantwortlichkeiten miteinander teilen.
Zweitens sollen wir unsere Kooperation erweitern, um eine solide ökonomische Basis für eine umfassende Partnerschaft zu schaffen. Da China am Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand arbeitet und Europa dabei ist, die Europe-2020-Strategie einzuführen, werden wir mehr gemeinsame Interessen finden, die neue Chancen für eine vertiefte Zusammenarbeit bieten. Chinas verändertes Wachstumsmodell und seine steigende Verbrauchernachfrage sowie seine Importe und Investitionen in Europa werden dortigen Industrien neue Geschäftsmöglichkeiten bieten und zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen führen. Europas moderne Entwicklungskonzepte, sein Management-Knowhow und seine Technologien werden Chinas Entwicklung frischen Schwung verleihen. Wir sollten neue Wege der Zusammenarbeit erkunden und eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung im bilateralen Handel fördern. Wir sollten die Zusammenarbeit in Forschung und Innovation sowie im Bereich Energie und Umweltschutz vertiefen und Partnerschaften im Bereich Urbanisierung fördern. Urbanisierung, umweltfreundliche Wirtschaft und technologische Innovationen sollten die neuen Glanzpunkte der europäisch-chinesischen Zusammenarbeit werden.
Drittens sollten wir den kulturellen Austausch verstärken, um ein spirituelles Band für die chinesisch-europäische Partnerschaft zu schaffen. Wirtschafts- und Handelsinteressen bilden die materielle Basis für intensivere Beziehungen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen die emotionale Grundlage. Wir sollten den Austausch in allen gesellschaftlichen Bereichen stärker fördern und im kulturellen Bereich enger zusammenarbeiten. Wir sollten eine öffentliche Meinung fördern, die einer friedlichen Beziehung zwischen China und Europa durch den Aufbau regierungsunabhängiger Kontakte wohlgesonnen ist. Durch kulturellen Austausch sollten wir außerdem eine Brücke für gegenseitiges Verständnis und Freundschaft bauen.
Viertens sollten wir mit Streitigkeiten und Konflikten so umgehen, dass es den Gesamtinteressen der strategischen Partnerschaft dient. Angesichts der unterschiedlichen historischen und kulturellen Hintergründe, Sozialsysteme und Entwicklungsstadien ist es normal, dass China und Europa bei einigen Themen nicht einer Meinung sind. Angesichts der zunehmenden Wirtschafts- und Handelskontakte sind Wettbewerb und Reibung ebenso unvermeidlich. Wir sollten gegenseitigen Respekt, Verständnis und Entgegenkommen zeigen. Wir sollten fähig sein, mehr Einfühlungsvermögen für den anderen zu entwickeln. Beim Schutz eigener Interessen sollten wir begründete Bedenken des Partners berücksichtigen. Wir sollten Streitigkeiten durch Dialog und Verhandlungen lösen, um Win-Win-Resultate bei der bilateralen Kooperation sicherzustellen.
Fünftens sollten wir uns gemeinsam globalen Herausforderungen stellen und nach einer harmonischen und friedlichen Welt von allgemeinem Wohlstand streben. Als bedeutsame Mächte im gegenwärtigen internationalen System übernehmen China und Europa große Verantwortung für die Wahrung des Friedens und Fortschritts. Kein Land kann globale Herausforderungen wie die Finanzkrise, Rohstoffknappheit, Klimawandel, nukleare Sicherheit und Terrorismus allein bewältigen. China und Europa müssen zusammen arbeiten. Wir sollten eine aktive Rolle bei der Führung der Welt einnehmen, die Liberalisierung und Erleichterung von Handel und Investitionen fördern, gegen Protektionismus aller Art vorgehen, stets miteinander kommunizieren und uns bei globalen und regionalen Krisenthemen unterstützen. Wir glauben, dass China und Europa mit vereinten Bemühungen ihre strategische Partnerschaft angemessen gestalten und bewahren sowie die gebührenden Beiträge zum internationalen Frieden und zur Entwicklung leisten werden.
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