28-06-2013
Der Traum Chinas
Preisverfall bremst Inflation
von Lan Xinzhen

Der Preiseinbruch bei Massengütern ist ein Zeichen für die Regulierung der chinesischen Wirtschaftsstruktur.

Schwarzer Berg: An einer Haltestelle in Taiyuan (Provinz Shanxi) wird Kohle von einem LKW entladen. Der Kohlepreis ist in den vergangenen Monaten rapide gesunken.  (Yan Yan)

Die Preise für Massengüter gelten als Barometer für den Zustand der Wirtschaft.

In China sinken sie seit dem dritten Quartal 2012, eine Kehrtwende ist nicht in Sicht.

Laut Mysteel Bulk Commodity Price Index of China (MyBCIC) lag der Index im Mai bei 1060,65 -- 8,3 Prozent unter dem Wert des Vorjahres und 1 Prozent unter dem Wert des Vormonats. Infolge des gesunkenen Indexes verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum.

Die sinkenden Preise für Massengüter, die als Rohstoffe für die industrielle Produktion dienen, ziehen den Produktpreis-Index (PPI) nach unten. Nach Angaben des Staatlichen Statistikamts (SSA) fiel der PPI im Mai im Vorjahresvergleich um 2,9 Prozent – das ist der niedrigste Wert seit acht Monaten – und im Vergleich zum Vormonat um 0,6 Prozent. Im Zeitraum von Januar bis Mai lag er 2,1 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Der PPI sinke bereits seit 15 Monaten, und dieser Trend werde sich bald auf die Einzelhandelspreise niederschlagen, erklärt Jiang Shengli, Chef-Analyst für Anleihen und Makro-Ökonomie bei Haitong Securities Ltd. Der Verbraucherpreisindex lag im Mai bei 2,1 Prozent und blieb damit hinter den Markterwartungen zurück. Der Preisrückgang im Produktionssektor weckt Besorgnis am Markt. Er weist auf eine überhöhte Produktionskapazität und eine inadäquate Nachfrage am Markt hin.

Die Investitionen haben ebenfalls nachgelassen. Laut SSA war das Wachstum bei Investitionen in Anlagegüter in den ersten fünf Monaten des Jahres 0,2 Prozent niedriger als in den ersten vier Monaten, private Investitionen nahmen im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent ab. Privates und staatliches Anlagekapital zeigen sich weniger investitionsfreudig.

Dieser Pessimismus hat sich auf internationale Finanzinstitute übertragen. Am 14. Juni senkte Morgan Stanley die Wachstumsprognose für das diesjährige BIP von 8,2 auf 7,6 Prozent und folgte damit ähnlichen Ansagen der United Bank of Switzerland und der Barclays Bank.

Chinas Preise für Massengüter werden weiter fallen, prognostiziert Hu Yuyue, Professor an der Beijing Technology and Business University, und damit sei es unwahrscheinlich, dass die Wirtschaft zu ihrem zweistelligen Wachstum zurückkehren könne.

Hu sieht dennoch keinen Grund zur Sorge wegen des schleppenden Wachstums, das sich in sinkenden Warenpreisen niederschlägt. Das Ganze habe auch einen positiven Aspekt: Verbraucher, die vorher unter Preiserhöhungen litten, könnten nun aufatmen.

 

Ende einer Ära

In den zwölf Jahren seit Chinas WTO-Beitritt sind die Preise für Massengüter am Weltmarkt schnell gestiegen, auch die chinesische Wirtschaft wuchs in hohem Tempo. Während dieser Zeit machte Chinas Nachfrage nach Rohstoffen 70 Prozent der weltweiten Nachfrage aus, sein Bedarf an Eisenerz und Kohle sogar 80 Prozent. Auch wenn das Reich der Mitte zum größten Einkäufer von Massengütern wurde, hatte es keinen großen Einfluss auf die Preisgestaltung, da sich der Markt in der Hand der Anbieter befand.

Die goldenen Zeiten für Massengüter seien nun vorbei, glaubt Hu, da sich der Markt für viele Rohstoffe von einem Anbieter- zu einem Käufermarkt gewandelt habe. Ein Beispiel ist Australien, ein wichtiger Eisenerzlieferant für China. Chinas Stahlkonzerne haben mit Unternehmen aus Down Under harte Verhandlungen mit wenig befriedigenden Ergebnissen durchstehen müssen. In diesem Jahr hat sich die Lage jedoch verändert, das vertraglich vereinbarte Verkaufsvolumen von Eisen nimmt ab.

Die mittelmäßige Konjunktur hat die Preise für Massengüter und die Nachfrage nach ihnen in China gesenkt. Man rechne mit weiteren drastischen Rückgängen, so Hu. Vor allem der Preisverfall beim Rohöl ist von weitreichender Bedeutung. Da Rohöl ein wichtiger Indikator für den Markt ist, wird der Preisverfall die bereits sinkenden Preise anderer Massengüter wie Kokskohle und Stahlbarren weiter nach unten ziehen.

Die Zentralbank könnte gezwungen sein, ihre Währungspolitik neu zu formulieren, meint Xiang Songzuo, Chef-Ökonom bei der Agricultural Bank of China. Möglicherweise werde sie ihre Währungspolitik als Reaktion auf die fallenden Warenpreise weiter lockern, um eine Konjunkturverlangsamung zu verhindern. Dies könne jedoch Spekulationen fördern und die Wirtschaft in eine Inflation führen. 

Der Preisverfall bei Vorprodukten werde die Nachfrage erhöhen und die Erholung der Realwirtschaft erleichtern, so Xiang, und so den Inflationsdruck reduzieren. Er hofft, dass die Zentralbank ihre gegenwärtige Geldpolitik beibehalten und keine Korrekturen nur aufgrund sinkender Warenpreise vornehmen wird.

 

Zukunftstendenzen

Die Preise für Massengüter seien auf dem internationalen Markt während des gesamten Jahres gefallen, erklärt Zhang Xiaoyu, ein im Auftrag des Handelsministeriums tätiger Wissenschaftler. Bis Ende Mai sanken die Preise für die Rohölsorten Brent und Dubai um 10,8 Prozent bzw. 8,3 Prozent, der Preis von Kraftwerkskohle von Australia BJ fiel um 7 Prozent. Weizen und Getreide am Chicago Mercantile Exchange waren um 7,6 Prozent bzw. 4,9 Prozent, sechs Nicht-Eisenmetalle an der London Metal Exchange um 10 bis 15 Prozent günstiger. Gleichzeitig brachen die Preise für Gold und Silber an der New York Mercantile Exchange um 17,8 bzw. 27,4 Prozent ein.

Die weltweite Finanzkrise hat Länder auf der ganzen Welt dazu gebracht, über ihre Wachstumsmodelle nachzudenken. Der Aufbau von Fertigungs- und Serviceindustrien mit niedrigem Energieverbrauch und Kohlendioxid-Emissionen liegt weltweit im Trend und wird die Nachfrage nach Massengütern in der Zukunft enorm beeinflussen.

Trotzdem befindet sich der Markt in dem Konflikt, dass der Vorrat an Investitionsgütern zwar kurzfristig ausreicht, Ressourcen aber langfristig knapp werden. In jüngeren Jahren waren niedrige Zinssätze und der Kampf um Ressourcen ein Anreiz für Investitionen in Energieressourcen und Bodenschätze und erhöhten die Produktionskapazität in diesen Bereichen schnell. Das verhinderte in den vergangenen Jahren Knappheiten und führte sogar zu riesigen Vorräten einiger Rohstoffe.

Liquidität ist im Moment keine große Hilfe für den Rohstoffmarkt. Sie schwächt den Impuls zu Preissteigerungen, wie sie in den vergangenen Jahren zu beobachten waren. Anreize für Wachstum zu schaffen, hat für viele Länder oberste Priorität, und solange es keine kontinuierlichen und bemerkenswerten Verbesserungen in der Realwirtschaft gibt, wird es wahrscheinlich keine Veränderungen der Geldpolitik geben. Unterschiedliche Länder müssen ihr Vorgehen aufeinander abstimmen, um Schulden zu kürzen, Defizite zu reduzieren, die Inflation zu kontrollieren und ihr Wachstum zu erhalten, und werden daher wahrscheinlich keine Liquidität in großem Maßstab freisetzen. Andererseits hat sich die gelockerte Geldpolitik für die Beeinflussung des Rohstoffmarktes als zunehmend ineffektiv erwiesen und der Massengütermarkt war für Kapitalmärkte weniger attraktiv.

"Aus oben genannten Gründen werden die Preise für Massengüter in diesem und im nächsten Jahre weder einen nachhaltigen Anstieg noch einen echten Verfall erleben. Die Preise werden häufig schwanken, aber die langfristige Aussicht ist positiv", meint Zhang.

All das weist darauf hin, dass Chinas Wirtschaft in den kommenden zwei Jahren auch bei fortgesetztem Preisrückgang keinen "harten Aufprall" erleben wird.