14-06-2013
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Katalysator für einen globalen Traum
von David Gosset

 Bei ihrem ersten Treffen entdecken die Oberhäupter der beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt Gemeinsamkeiten.

 

China und die USA sind immer noch in der Lage, ihr nationales Schicksal zu meistern. Die transnationalen Finanzmärkte, die Schwankungen von Öl-, Gas- oder Nahrungsmittelpreisen und die Zwänge einer multipolaren geopolitischen Ordnung wirken sich auf ihre Wirtschaft aus, bestimmen aber nicht ihre Politik. In einer globalisierten Welt agieren sie, während andere nur reagieren.

Die elementare Bedeutung ihrer bilateralen Beziehungen ist offensichtlich. Während Jiang Zemin und Hu Jintao, die Vorgänger von Staatspräsident Xi Jinping, ihre erste USA-Reise erst mehrere Jahre nach ihrer Wahl zum Staatsoberhaupt machten, hieß US-Präsident Barack Obama seinen neuen chinesischen Amtskollegen nur drei Monate nach dem Machtwechsel in Beijing willkommen.

Beide Staatsmänner befinden sich an einem historischen Wendepunkt, sie riskieren entweder eine wachsende Rivalität, die von populistischen Gefühlen geleitet wird, oder suchen nach einem neuen Paradigma, das der Neuverteilung der Macht entgegenkommt, sie wählen entweder Furcht und die Aussicht auf Konflikte oder konstruktive Bemühungen zum Schutz vor dem Wahnsinn des Krieges.  

Die beiden mächtigsten Männer der Welt trafen sich in keiner politischen Hauptstadt, sondern auf dem Landsitz Sunnylands in der Wüste Kaliforniens. Es war nicht erforderlich, Verhandlungen vorzubereiten, angesetzt war ein zweitägiges lockeres Treffen, das den intensiven Austausch von Ideen und eine positive zwischenmenschliche Chemie fördern sollte --  die nicht greifbare, aber wesentliche Komponente der Weltpolitik.

Nordkorea, die Beziehungen zwischen China und seinen Nachbarn im Ost- und Südchinesischen Meer, Computer- und Netzsicherheit, Iran, Syrien, der Mittlere Osten, Zentralasien, die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 und der Klimawandel sind die Themen, die beide Staatsmänner beschäftigten. Aber auf lange Sicht kommt es vor allem darauf an, die Wahrnehmungsdifferenzen anzusprechen, die charakteristisch für die Beziehung beider Länder sind, und eine gemeinsame große Zukunftsvision zu schaffen.

Die amerikanische Seite muss zeigen, dass ihre neue Asienstrategie nicht gleichbedeutend mit der Beherrschung Chinas ist. Obama könnte Chinas Misstrauen zerstreuen und zum Aufbau eines vertrauensvollen Klimas beitragen, indem er nochmals beteuert, dass die USA Chinas Wiederaufleben (Renaissance) begrüßen und bereit sind, die Zusammenarbeit mit Beijing ohne ideologische Befangenheit zu vertiefen.

Die Transpazifische Partnerschaft (TPP), die China nicht mit einschließt, verstärkt die Missverständnisse, die durch die amerikanische Asienstrategie entstanden sind. Die Studie „U.S.-China 2022: Economic Relations in the Next 10 Years" zeigt, dass es enormes Potenzial für chinesisch-amerikanische Geschäftsbeziehungen gibt.

Würde sich ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt als machbar abzeichnen, könnte dies die Beziehung auf einen konstruktiven Kurs bringen.

Eine gegenseitige Beruhigung setzt aber voraus, dass Xi klarmacht, dass Chinas Wiederaufstieg nicht den Niedergang des Westens zur Folge haben wird. Auch wenn Chinas Wiedererlangung einer zentralen Machtstellung eine neue Artikulation zwischen beiden Pazifik-Staaten erfordert, widerspricht dies nicht notwendigerweise den langfristigen Interessen Amerikas. Die USA können gute Beziehungen zu Japan, Südkorea, Vietnam oder den Philippinen beibehalten. Gemeinsam mit dem Reich der Mitte aber ist Washington in der Lage, an der globalen Sicherheit und Entwicklung zu arbeiten.

Zwischen den Extremen einer antagonistischen Bipolarität und einer unrealistischen politischen Integration rund um den Pazifik können China und die USA einen Mittelweg anvisieren, eine Kombination von Wettbewerb und Kooperation, die, wie es Henry Kissinger am Ende seines Buches "China --Zwischen Tradition und Herausforderung" formulierte, zu einer Pazifischen Gemeinschaft führen könnte.

Trotz der offensichtlichen Kluft zwischen China und Amerika bei vielen Themen sind Xi und Obama durch zwei fundamentale Realitäten vereint. Zum einen ist die westliche Moderne absolut kompatibel mit dem Wiederaufleben Chinas. Weltlichkeit, Gleichheit von Mann und Frau sowie der Glaube an sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt machen den Kern der chinesischen und westlichen Gesellschaft aus. 

Auch wenn China und die USA in gewissem Ausmaß die letzten beiden wirklich souveränen Staaten inmitten mächtiger Globalisierungskräfte sind, übersteigen die Herausforderungen in punkto Sicherheit und Entwicklung im 21. Jahrhundert ihre Fähigkeit, diese Probleme alleine zu bewältigen. Weder eine Pax Americana noch eine Pax Sinica kann garantieren, dass das multipolare System von heute nicht morgen zu einem globalen Chaos mutiert.

Beim Treffen in Sunnylands können sich chinesische und amerikanische Träume gegenseitig befruchten. Weit davon entfernt, exklusiver Natur zu sein, können sie zu einem Katalysator für einen „Globalen Traum" werden, zu einer inspirierenden Vision von einem Gleichgewicht zwischen Ost und West, von Einheit und Vielfalt, Fortschritt und Nachhaltigkeit.

Am Ende ihres Treffens in Kalifornien mussten Xi und Obama keine konkrete Vereinbarung treffen, aber im Bewusstsein eines gemeinsamen Gefühls globaler Verantwortung konnten sie der Welt verkünden: "Wir haben einen Traum."

  

(Der Autor ist Direktor der Academia Sinica Europaea an der China Europe International Business School, Shanghai, Beijing und Accra, und Gründer des Euro-China Forums)