07-12-2012
Chinas Traum und die Welt
Amerikanisch-chinesisches Verhältnis: Gute Aussicht auf gute Beziehungen
Von An Gang

 

Nachhaltige Verbindungen: Der chinesische Premier Wen Jiabao bei einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama während des Ostasien-Gipfels in Phnom Penh in Kambodscha am 20. November, kurz nach seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten. 

 

Die amerikanische Präsidentenwahl 2012 gipfelte mit dem Triumph Barack Obamas. Sein Sieg stellt sicher, dass die Mittelinks-Politik, die sich auf die Unterstützung der Amerikaner der mittleren und niederen Einkommensklassen konzentriert, in den nächsten vier Jahren fortgesetzt wird. Obamas Politik wird wichtige Auswirkungen auf die globalen Anstrengungen zu Bewältigung der Vermögensverteilungsprobleme haben.  

 

In seiner zweiten Amtszeit wird Obama hauptsächlich weiter daran arbeiten, die Wirtschaft wiederzubeleben, Haushaltsdefizite durch höhere Steuern in den oberen Einkommensklassen zu reduzieren, die Gesundheitsreform einzuführen und das US-Bildungssystem sowie die Einwanderungspolitik zu reformieren. Washingtons globale Strategiekorrektur, auch bekannt als „Rebalance", wird sich intensivieren, Amerikas Haltung zu den Krisenherden der Welt wahrscheinlich aggressiver werden. Die USA können sich für eine Entwicklung durch strategische Anpassung entscheiden und so einmal mehr Vorteile durch Reformen wahren, was historisch betrachtet immer dann zu passieren pflegte, wenn das Land in einer Krise steckte.  

 

Dennoch ist immer noch unsicher, ob Obama die USA „nach vorne" bringen kann, wie er es versprochen hat. Die Wahl beleuchtete eine ganze Reihe ernster Probleme im Land: finanzielles Defizit und Chaos, Arbeitslosigkeit, harte innerparteiliche Auseinandersetzungen und eine fehlerhafte Außenpolitik. Das alles sind tief verwurzelte systemische und strukturelle Probleme, die nicht leicht von einem einzelnen US-Präsidenten gelöst werden können. Mit anderen Worten, die Amerikaner müssen sich eingestehen und darauf einstellen, dass die USA vor einem langen und beschwerlichen Weg stehen.

 

Interessensverflechtungen

 

Der Aufruhr um China-Themen steigerte sich während der Präsidentschaftswahlen. China, ein Land, dessen Werte, Sozialsystem und strategische Interessen sich von denen der USA unterscheiden, wurde zum willkommenen Ziel sowohl von Demokraten als auch Republikanern. Der Fokus der Kritik hat sich jedoch von Menschenrechten und Demokratie auf wirtschaftliche und politische Themen verlagert. Für Amerika wird China von einer diplomatischen zu einer innenpolitischen Angelegenheit.

 

Bedeutet das, dass die chinesisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen scheitern werden? China sollte jetzt eine Antwort darauf haben. Jahrelang waren China und Amerika füreinander jeweils die zweitwichtigsten Handelspartner. Das jährliche Handelsvolumen beträgt mehr als 460 Milliarden Dollar. Nach offiziellen US-Statistiken beliefen sich die US-Exporte 2011 auf mehr als 100 Milliarden Dollar, während es 2008, als Obama seine ersten Präsidentschaftswahlen gewann, weniger als 70 Milliarden Dollar waren. Es dauert sicher nicht mehr lange, bis China zum wichtigsten Abnehmer von US-Waren wird. Außerdem ist China immer noch der wichtigste Gläubiger der USA. Daher erscheint es realistisch anzunehmen, dass die chinesisch-amerikanischen Verbindungen mittlerweile stark genug und eng genug mit der US-Wirtschaft und dem dortigen Arbeitsmarkt verschmolzen sind, so dass die Amerikaner eine ernsthafte Beeinträchtigung nicht zulassen würden. Die USA würden genauso wie China für jedes aggressive Handelsmanöver bezahlen müssen.

 

China sollte den hartnäckigen und langfristigen Problemen, die sich in den Diskussionen über China während der letzten US-Wahl zeigten, mehr Aufmerksamkeit schenken.

 

Das erste Problem betrifft die Wirtschaft. Die Finanzkrise, die über Europa und Amerika hinwegfegt, ging einher mit der so genannten „dritten industriellen Revolution", deren Kennzeichen die Digitalisierung der Industrie und die breite Akzeptanz neuer Energien war. Für China und die USA ist der Export wichtig, beide versuchen, führende Positionen in der verarbeitenden Industrie und der Schwellenindustrie zu besetzen. Die beidseitigen Wirtschaftsbeziehungen sind über das alte Muster der Komplementarität, das beide Seiten in den vergangenen Jahrzehnten brauchten, hinausgewachsen und verwandeln sich in eine komplexere Struktur wechselseitiger Abhängigkeit im Wettbewerb.  

 

Angesichts der bevorstehenden Veränderungen muss China darauf vorbereitet sein, sich wachsenden ökonomischen Konflikten mit den USA zu stellen. Angemessen mit Aspekten der Zusammenarbeit und des Wettbewerbs in ihrer wirtschaftlichen Beziehung umzugehen, ist ein drängendes Thema für beide Seiten. Beide Länder müssen die Bedingungen für den ökonomischen Wettbewerb untereinander definieren und daran arbeiten, bessere Bedingungen für eine künftige Zusammenarbeit zu schaffen. Dann geraten ihre ökonomischen Beziehungen auf das richtige Gleis beiderseitigen Nutzens und Gewinns, und beide Länder können eigenen Anforderungen an wirtschaftliche Reformen nachkommen. Obwohl von Zeit zu Zeit Spannungen auftreten, sollte man anerkennen, dass die Veränderungen in der chinesisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehung mit Chinas Bemühungen, sein Wachstumsmodell zu transformieren, im Einklang stehen. Daher haben beide Seiten Gründe dafür, mit Zuversicht und Interesse an Kooperationsmöglichkeiten heranzugehen.

 

Das andere Problem ist strategischer Natur. Ob US-Politiker China wirklich mögen oder nicht, sie müssen zugeben, dass die Gestaltung der Beziehungen zu China, einem Schwellenland, das sich gänzlich von früheren Mächten wie der Sowjetunion, Japan und Europa unterscheidet, nun für Washingtons Außenpolitik Priorität hat. Können die beiden Länder ihre strategischen Konflikte im Asien-Pazifik-Raum überwinden und eine neue Art strategischer Partnerschaft etablieren? Das ist die gemeinsame Aufgabe für beide Länder und eine weit wichtigere Angelegenheit als ihre Handelsprobleme.

 

Washington wird seine strategische Neuorientierung im Asien-Pazifik-Raum vorantreiben, eine Tatsache, die sich nicht nach Beijings Wünschen richten wird. Aber China hofft immer noch, dass die Obama-Regierung am richtigen Fokus festhält. Jede Politik, die zu einer offenen Konfrontation auf See zwischen China und den USA führt, ist eine strategische Niederlage. Leider ist dieses Risiko in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Am wichtigsten und dringendsten ist es, dass die amerikanische Seite eingehend mit China über maritime Angelegenheiten in Ost- und Südostasien spricht, um ein Gären wechselseitiger Unzufriedenheit und Misstrauen zu vermeiden. Beide Seiten müssen außerdem die Kommunikation und Absprachen über Entwicklungen im Mittleren Osten und im Iran verstärken, um die Zusammenarbeit zu erhalten und Interessenkonflikte zu verhindern.  

 

Ruhe bewahren

 

China muss angesichts der strategischen Neuausrichtung der US-Politik in der Asien-Pazifik-Region Ruhe bewahren. Es muss sich nicht um die Sorgen und Ängste führender amerikanischer Politiker oder Wirtschaftsbosse wegen Chinas schnellem Aufstieg kümmern, denn diese Mentalität ist für ein Land, das über Jahrzehnte die einzige Weltmacht war, normal. Ob es einem gefällt oder nicht, Amerika betrachtet China als seinen wichtigsten Konkurrenten. Ein qualifizierter Wettstreiter zu sein, der seine Geschäfte gut macht, ist eine realistische Möglichkeit für China. Der amerikanische Einfluss ist wichtig, aber allein Chinas eigene Taten können über seine Zukunft entscheiden.

 

China kann sich mit dem Gedanken trösten, dass es in den USA Kräfte gibt, die sich einer unfairen Strategie gegen China widersetzen. Während des Wahlkampfes kritisierten viele Wissenschaftler, Journalisten, Think Tanks, Wirtschaftsorganisationen und ehemalige Spitzenbeamte die Kandidaten der beiden großen Parteien öffentlich für ihre Versuche, durch China-Bashing Stimmen zu gewinnen. Sie verurteilten Wahlkampfberater, vor allem auf der Seite der Republikaner, für ihre oberflächlichen Kenntnisse der chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Sie sorgten sich darum, dass amerikanische Interessen ernsthaft verletzt werden könnten, wenn diese Berater Einfluss auf die Politikgestaltung gewinnen würden. Dieses Phänomen der Selbstreinigung gibt es selten bei US-Präsidentschaftswahlen, und es zeigt, dass es viele klare Köpfe in den USA gibt, die sich der Idee widersetzen, aus China einen Feind zu machen.

 

Worüber sich China Sorgen machen sollte, ist die unkoordinierte Haltung unter amerikanischen Politikstrategen, die Washingtons China Politik destabilisieren und verwirrende Botschaften übermitteln könnte. Das könnte zu wachsenden Schwierigkeiten im rationalen Umgang mit Konflikten zwischen beiden Seiten führen und die chinesisch-amerikanischen Beziehungen mit mehr Risiken behaften.

 

Allgemein betrachtet haben sich die chinesisch-amerikanischen Beziehungen während Obamas erster Amtszeit weiterentwickelt. Dennoch tat die Obama-Regierung einiges gegen die Interessen Chinas, sie ließ beispielsweise große Waffenverkäufe an Taiwan zu, traf den Dalai Lama und intervenierte in Chinas Territorialkonflikte mit seinen Nachbarn im Südchinesischen Meer.  

 

Obamas Wiederwahl wird die aktiven Elemente in den bilateralen Beziehungen -- wie Neuorientierung und Vertiefung des strategischen Dialoges -- nach vorne bringen. Die nächsten vier Jahre werden eine entscheidende Phase für China und die USA sein: Beide werden diese Zeit nutzen, um ihre jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsziele zu verwirklichen, und sich unter veränderten Bedingungen aneinander anzupassen. Beide Seiten sollten das Bedürfnis zur Schaffung einer stabilen und vorhersehbaren beidseitigen anstelle einer von Misstrauen geprägten Beziehung verspüren.

 

Die „New York Times" veröffentlichte am 23. November 2011 einen Artikel, in dem es hieß, die USA und China sollten sich vom Fluch des Thucydides befreien. Die alten griechischen Historiker glaubten nämlich, dass ein Krieg zwischen einer herrschenden und einer aufstrebenden Macht unvermeidbar sei. Der Artikel appellierte an beide Seiten, auf Konfrontation zu verzichten, da beide Seiten nur verlieren würden. Aber die USA sind nicht Sparta, und China nicht das antike Athen. Das Muster von vor 2500 Jahren kann nicht einfach in die heutige Welt übertragen werden. Die Wege beider Länder und die Ausrichtung ihrer Beziehung werden möglicherweise die internationale Entwicklung in den kommenden vier Jahren bestimmen. Auch aus diesem Grunde sind sie verpflichtet, eine neue Art Beziehung aufzubauen.

Der Autor ist ein Gastkommentator der Beijing Rundschau.