25-10-2012
„Das ist mein Traum“
Mo Yan: Chinas erster Literaturnobelpreisträger
von Tang Yuankai

Schon bevor feststand, wer in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur erhalten würde, waren im Oktober in den Buchhandlungen vieler chinesischer Städte alle Werke Mo Yans ausverkauft. Mo ist der erste chinesische Schriftsteller, der bisher für den bedeutendsten Literaturpreis der Welt nominiert wurde.

Mo Yan

 "Es gab regelrechte Panikkäufe. In kürzester Zeit waren alle 5 000 Exemplare von Werken Mo Yans, die wir auf Lager hatten, vergriffen," so Tang Zhengyu, Leiter der Marketingabteilung des Shanghaier Literatur- und Kunstverlags, der mit der Vermarktung der Werke Mo Yans betraut ist. Auch in Online-Shops ist die Nachfrage groß. „Wir brauchen teilweise bis zu vier Wochen, um den Bestellungen der Kunden nachzukommen", sagt ein Verantwortlicher des Onlineversandhauses Amazon. Auch dem chinesischen Onlinebuchhändler Dangdang gingen die Mo Yan-Exemplare aus. Man wolle 800 000 Exemplare auf Vorrat einkaufen, um für eine höhere Kundennachfrage gerüstet zu sein, teilte ein Unternehmenssprecher mit. Auf seiner Internetseite schrieb Dangdang an prominenter Stelle: „Würden Sie darauf wetten, dass einem chinesischen Schriftsteller der Literaturnobelpreis verliehen wird? Wir schon."

Schon Mo Yans Nominierung hatte große Wellen geschlagen. Mo ist der erste chinesische Schriftsteller, der bisher überhaupt für den bedeutendsten Literaturpreis der Welt nominiert wurde. Nach Bekanntwerden der Nominierung rückte sein Name prompt an die erste Stelle der Gewinnratenliste der weltbekannten Lotteriefirma Unibet.

Die Nobelpreisjury hält ihre Auswahlliste zunächst geheim. Niemand weiß, was und wie die Mitglieder der Jury denken. Die Beurteilungen sollen laut den Statuten der Nobelpreisstiftung 50 Jahre lang geheim gehalten werden. Das Ranking von großen Wettanbietern gilt deshalb als „Barometer" für die Preisvergabe. Schon in den Jahren 2006, 2009 und 2011 bewiesen die Wettagenturen dabei ein glückliches Händchen. Alle Nobelpreisträger dieser Jahre rangierten vor der Bekanntgabe des Ergebnisses mit hohen Gewinnraten auf dem Ranking der Anbieter.

 

„Überwältigt und beängstigt zugleich"

Nachdem Mo Yan von seiner hohen Gewinnrate erfahren hatte, reiste er in seine Heimat, den Kreis Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong, zurück und verbrachte zunächst einige Zeit bei seinem Vater. Gleichzeitig arbeitete er an seinem neuen Werk. Die Nachricht über die Preisvergabe an seinem Roman ,Der Frosch' erreichte den Schriftsteller schließlich telefonisch. „Vor Freude überwältigt und beängstigt zugleich" sei er, soll Mo als erste Reaktion auf die Entscheidung seinen Gemütszustand beschrieben haben, so zumindest zitierte ihn ein Mitglied des Nobelpreiskomitees, das die Entscheidung übermittelte.

„Der Literaturnobelpreis ist zweifelsohne der international einflussreichste Literaturpreis und in der Geschichte seien bei seiner Vergabe viele bekannte Schriftsteller wie Lew Tolstoi und Franz Kafka leer ausgegangen. „Andererseits kann ich für die Werke mancher Nobelpreisträger keine rechte Bewunderung aufbringen", so Mo.

Für viele chinesische Schriftsteller sei der Literaturnobelpreis in der Vergangenheit Inbegriff von Traum und Schmerz gewesen, so Mo. Viele hätten Mal um Mal gehofft, nur um erneut enttäuscht zu werden. „Nicht wenige Menschen kritisieren, dass chinesische Schriftsteller förmlich an Nobelpreis-Komplexen oder Angststörungen leiden." Gleichzeitig gossen Literaturkritiker und Medien immer wieder Öl ins Feuer, indem sie stets von Neuem die Frage aufwarfen, warum bisher kein chinesischer Schriftsteller den Nobelpreis erhalten habe. Oder sie kritisierten, dass einheimische Schriftsteller die Bedeutung des Literaturnobelpreises überschätzten.

„Die Verleihung des Literaturnobelpreises wird stärker vom subjektiven Willen und der Neigung der Jurymitglieder beeinflusst, als dass bei Nobelpreisen in anderen Kategorien der Fall ist", sagt Professor Wo Di, Direktor des Forschungsinstituts für Weltliteratur und Komparatistik der Zhejiang-Universität in Hangzhou. „Konkret gesprochen, herrscht ein gewisser Eurozentralismus." Die Chinesen hofften trotzdem stets, so Wu, dass die Mitglieder der Jury Chinas Literatur gleichberechtigt mit einbezögen und ihren Blick stärker auf ein Land, dessen Bevölkerung ein Viertel der Weltbevölkerung ausmacht, richteten. „Viele Chinesen sind der Auffassung, das die literarischen Leistungen ihres Heimatlandes endlich mehr Anerkennung finden sollten."

Zhang Yiwu, Professor der Fakultät für chinesische Literatur der Peking-Universität, bezeichnet die Vergabe des Nobelpreises an Mo Yan als erstaunliche Tat. Es sei eine „phantastische und vorausschauende Wahl", erklärt der Philologe. Die Preisvergabe werde das Bild vieler Chinesen über den Literaturnobelpreis maßgeblich verändern. „Wir waren erleichtert, nachdem wir erfahren hatten, das Mo Yan für seine hervorragenden Leistungen den Nobelpreis erhält. Jetzt können wir uns noch eingehender für das literarische Schaffen in unserem Land einsetzen."

 

Schriftstellerkollegen zollen Respekt

Es sei keine Schande, dem Nobelpreis gegenüber eine gewisse Ehrfurcht zu zeigen, findet Hong Feng, einer von Mo Yans Schriftstellerkollegen. „Gleichgültigkeit gegenüber dem Preis halte ich für fehl am Platz. Schließlich gibt es strenge Kriterien für die Preisvergabe." Auch Yan Lianke, ebenfalls chinesischer Schriftsteller, hält Mo für einen würdigen Preisträger. „Die Preisverleihung bedeutet, dass das Niveau der chinesischen und asiatischen Literatur gehoben wird, gleichzeitig ist es eine wichtige Anerkennung für die chinesische Literatur."

Zhu Weize, Chefredakteur der Zeitschrift „Lifeweek" des Sanlian-Verlags, schreibt in seinem Mikroblog: „Die Swedish Academy erkennt mit ihrer Entscheidung Mo Yans tief greifende Analyse der Existenzweise und des Wesens der Chinesen sowie die chinesische Literatur an."

Auch Wang Meng, ehemaliger chinesischer Kulturminister und bekannter chinesischer Schriftsteller, der in den letzten Jahren als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wurde, sieht in der diesjährigen Entscheidung der Jury ein wichtiges Zeichen. Die Vergabe des Preises an Mo Yan bedeute, dass die Welt chinesischen Schriftstellern der Gegenwart und ihren literarischen Leistungen verstärkt Aufmerksamkeit schenke, so Wang.

„Mo Yan ist ein Vertreter der chinesischen Schriftsteller dieser Generation und seine Werke haben großen Einfluss nicht nur in China sondern auch international. Ausländische Schriftsteller wie etwa der Japaner Kenzaburo Ode loben Mo in höchsten Tönen", sagt Wang. Der Literaturnnobelpreis wirke sich positiv und ermutigend auf alle aus, die sich literarisch betätigten.

In einem Gratulationsschreiben des Chinesischen Schriftstellerverbandes an Mo Yan heißt es, „die Vergabe des Preises bedeutet, dass die internationale literarische Welt die Entwicklung der gegenwärtigen chinesischen Literatur und chinesischer Schriftsteller eingehend verfolgt. Sie beweist außerdem, dass Chinas Literatur von globaler Tragweite ist."

 

Nobelpreis soll Lesebegeisterung anfachen

Durch die Auszeichnung konnte Mo Yan die jahrelangen Erwartungen seiner Kollegen ein Stück weit endlich befriedigen. In Kritikerkreisen und den Medien dürfte die Frage nach einem chinesischen Literaturnobelpreisträger nun verstummen. In Zeiten der raschen Entwicklung von Internet und neuen Medien sowie der schwindenden Bedeutung von Literatur sticht Mo Yan mit seinen Bestsellerwerken heraus. Mo ist es gelungen, Literatur wieder zum Leser zu bringen.

„Der Nobelpreis wird wieder mehr Chinesen zum Lesen anregen. Die Menschen werden ihre Nasen wieder in Büchern vergraben, ein Bild, dass man eigentlich nur noch aus der Erinnerung an die 1970er und 1980er Jahre kannte, als die Chinesen Bücher regelrecht verschlangen", sagt Sun Yuemu, Leiter der Chinesischen Buchhandelszeitung, „China kann aus einem Schatz an zahlreichen guten Büchern schöpfen. Meine Hoffnung ist es, dass wir wieder eine Gesellschaft aufbauen, die großen Wert auf das Lesen legt."

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