Ehara Noriyoshi
Kommentare über die Leistungen der Kommunistischen Partei Chinas nach dem sechszehnten Parteitag werden derzeit in allen chinesischen Medien verbreitet. Zum Beispiel hat die Volkszeitung eine Reihe von Kommentaren von Ausländern über die wissenschaftliche Entwicklung und die beeindruckenden Errungenschaften der Ära Hu und Wen veröffentlicht. Ein Jahrzehnt ist für die fünftausend Jahre lange Geschichte Chinas nur ein winziger Augenblick. Aber in diesem Jahrzehnt hat man in China Veränderungen bewirkt,die an ein Wunder grenzen, und dies ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit.
Bei den Olympischen Sommerspielen in London im August dieses Jahres ist China eines der Länder, die die meisten Medaillen errungen haben. Bei den Olympischen Spielen in Beijing 2008 hat China sogar vor den USA die meisten Goldmedaillen gewonnen. Im Leistungssport konkurrieren alle Länder und Regionen trotz der institutionellen, ethnischen oder religiösen Unterschiede unter den gleichen Regeln.
Was für eine Rolle spielt China in der Weltwirtschaft? Im Jahr 2010 hat Chinas BIP das Japans übertroffen; damit ist das Land zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft geworden. Das bedeutet, dass China die Silbermedaille der Weltwirtschaft gewonnen hat. Die Olympischen Spiele sind ein alle vier Jahre stattfindendes Sportfest. Im Laufe der nächsten vier Jahre könnte China möglicherweise die Goldmedaille der Weltwirtschaft gewinnen.
In den vergangenen zehn Jahren hat China viele beispiellose Erfolge erzielt. Greifen wir hier nur die Tatsache heraus, dass China zu einer der weltweit größten Volkswirtschaften geworden ist. Das BIP pro Kopf der Bevölkerung lag im Jahr 2003 lediglich bei 1000 US-Dollar, im Jahr 2011 hatte es sich hingegen bereits auf 5414 US-Dollar verfünffacht! China ist in die Reihe der Länder mit mittlerem Einkommen eingetreten. Dennoch entspricht das BIP-pro-Kopf noch immer nur einem Achtel desjenigen Japans.
Durch die Veranstaltung von den Olympischen Spielen in Beijing (2008) und der Shanghai World Expo (2010) hat sich das Land in der Welt bekannt gemacht, was ebenfalls als eine der herausragenden Leistungen Chinas betrachtet werden kann. Ein Kommentar der Volkszeitung liest sich so: Die Aufmerksamkeit der Welt habe sich allmählich entwickelt, aber die Chinesen hätten einen perfekten Wechsel vollzogen vom „Betrachten der Welt als Zaungäste" hin zur aktiven Teilhabe an dieser Welt.
Die Weltraummissionen des Shenzhou-Raumfahrzeuges, die Chang E-Weltraumsonde und der Bau eines Eisenbahnnetzes für Hochgeschwindigkeitszüge sind weitere bedeutende Erfolge in diesem Jahrzehnt. Im Juni dieses Jahres hat das Raumschiff "Shenzhou 9" mit der ersten chinesischen Taikonautin am Bord das Weltraummodul "Tiangong 1" erreicht. China plant auch eine bemannte Mondlandung, obwohl noch nicht klar ist, wann genau sie stattfinden wird.
Als ich im Jahr 2001 nach Beijing kam, diskutierte man in China noch über die Einführung von ausländischer Technologie zum Bau der Hochgeschwindigkeitseisenbahn. Wer konnte sich damals vorstellen, dass man innerhalb nur eines Jahrzehnts nicht nur ein leistungsfähiges Trassennetz würde aufbauen können, sondern heute sogar seinerseits Hochgeschwindigkeitsprojekte in Übersee erstellt?
Es gibt aus diesem Jahrzehnt leider nicht nur „glänzende Leistungen" zu vermelden. Das Erdbeben in Wenchuan sowie die Schlammlawinen von Zhouqu in der Provinz Gansu und andere große Naturkatastrophen, das Problem der Lebensmittelsicherheit, die drängenden Fragen des Umweltschutzes und der Ausbruch der SARS-Epidemie im Jahr 2003 haben viel Leid verursacht. Die globale Wirtschaftskrise, die sich mit der Finanzkrise in den Vereinigten Staaten und der europäischen Staatsschuldenkrise in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts abzeichnete und bis heute fortwirkt, bedeutet eine große Herausforderungen für Chinas Wirtschaft.
Im Juli dieses Jahres hat Chinas Staatspräsident Hu Jintao auf einem Forum mit Persönlichkeiten von außerhalb des Machtapparates der Kommunistischen Partei sechs Vorschläge für die Wirtschaftspolitik der zweiten Jahreshälfte 2012 erläutert. Demnach geht es um Stärkung und Verbesserung der Makrosteuerung, die weitere Förderung der landwirtschaftlichen Modernisierung, die effektive Beschleunigung der Veränderung der Art und Weise der wirtschaftlichen Entwicklung, das ernsthafte Vorantreiben der Reform- und Öffnungspolitik, den wirksamen Schutz und die weitere Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und die erfolgreiche Überwindung wirtschaftlicher Problemlagen. Die Umsetzung dieser Agenda ist natürlich nicht auf das laufende Halbjahr begrenzt, sondern versteht sich auch als Auftrag an die neue Generation der Führungskräfte.
Priorität gilt nicht der Politik, sondern der Lebenshaltung der Bevölkerung
Blickt man auf die Entwicklung der Volksrepublik China seit ihrer Gründung im Jahr 1949, so markiert die Einführung der Reform- und Öffnungspolitik im Jahr 1978 eine Grenzlinie, an der China von der „Priorität der Politik" zur „Priorität der Wirtschaft" wechselte. Diese Ära entwickelte sich nach der Rede von Deng Xiaoping auf seiner Reise nach Südchina im Jahre 1992 weiter in eine neue Phase. So wurde China zum Beispiel zum Land mit den höchsten ausländischen Investitionen unter den Entwicklungsländern. Bis Mai 2012 hat die Zahl der Unternehmen mit ausländischem Kapital in China mehr als 439 300 erreicht. Aber erst seit 1992 haben ausländische Unternehmen in großem Umfang nach China exportiert.
Welchen Platz kann man der Geschichte des letzten Jahrzehnts in der Geschichte der Volksrepublik China zuweisen? Es ist das Jahrzehnt der Priorität der Wirtschaft zugunsten einer Verbesserung der Lebenshaltung der Bevölkerung. In diesem Jahrzehnt lautet das Ziel von Partei und Regierung zum Staatsaufbau: „Mit dem Konzept der wissenschaftlichen Entwicklung als Leitfaden, eine harmonische sozialistische Gesellschaft aufzubauen". Mit „harmonischer Gesellschaft" ist eine Gesellschaft gemeint, in der Stabilität und Ausgewogenheit in den Beziehungen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten herrschen. In der Rede von Deng Xiaoping auf seiner Reise nach Südchina im Jahr 1992 wurde die Wirtschaft betont. Viele weitsichtige Leute sind der Ansicht, dass China seine rasante Wirtschaftsentwicklung meistern und zweimal die von Krisen geschüttelte Weltwirtschaft nur deshalb stabil halten konnte, weil man zwei eigentlich gegensätzliche Konzepte, nämlich „Sozialismus" und „Marktwirtschaft", je nach den speziellen Gegebenheiten Chinas miteinander verbunden habe.
Der Kern der „harmonischen Gesellschaft" ist die „Orientierung am Menschen". Das bedeutet, dass die Verbesserung der Lebenshaltung der Bevölkerung im Mittelpunkt steht. Konkret sieht das so aus: die soziale Absicherung in den Bereichen Gesundheit, Wohlfahrtswesen, Bildung und Beschäftigung wird weiter verbessert; im Jahr 2006 wird die Erhebung der Landwirtschaftssteuer nach mehr als 2 600 Jahren vollkommen eingestellt; im Jahr 2007 wird landesweit das Schulgeld für den Besuch der Pflichtschule abgeschafft; die Urbanisierung wird weiter gefördert. Man kann sagen, dass China bei der Reduzierung der Wohlstandslücke zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten einen großen Schritt getan hat.
Internationale Integration, Urbanisierung, Kultur und Innovation
Die Stärke Chinas in den letzten zehn Jahren wird sich meiner Meinung nach in Zukunft auf die Internationale Integration, Urbanisierung, Kultur und Innovation auswirken. Die chinesischen Unternehmen brauchen internationale Integration, um verstärkt auf dem Auslandsmarkt aufzutreten. Die Verbesserung der Lebenshaltung der Bevölkerung verlangt nach Urbanisierung. Die Entwicklung der Softpower Chinas setzt auf Kultur. Und Innovation soll die Ernte der Reformmaßnahmen werden.
Über den Autor
Ehara Noriyoshi ist 1950 geboren. 1975 absolvierte er sein Studium an der Tokyoer Fremdsprachenuniversität. Danach arbeitete er für die Japan External Trade Organization (JETRO). Im Jahr 1993 eröffnete er das JETRO-Büro in Dalian in der nordostchinesischen Provinz Liaoning und fungierte als dessen erster Direktor. Im Jahr 1998 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dalian verliehen. Derzeit ist er Chefökonom des japanischen Forschungsinstituts für internationalen Handel und Investition. |