17-10-2012
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Gedanken vor dem XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas
von Rolf Berthold

Rolf Berthold war von 1982-1990 Botschafter der DDR in der VR China.

 

Parteitage der KP Chinas sind immer Ereignisse, die besondere internationale Aufmerksamkeit hervorrufen. Manche erwarten überraschende Entscheidungen über die Zusammensetzung der neuen Führung, zur Generallinie der Partei. Manche suchen nach medienwirksamen Elementen. Wer aber immer wieder damit spekuliert, wird wohl bald eines Besseren belehrt werden. Die Erfolge der VR China sind allgegenwärtig, sie werden nur von jenen ignoriert, die sich immer noch wünschen, dass die VR China das gleiche Schicksal erfährt, wie die UdSSR und die sozialistischen Länder Europas vor nunmehr über 20 Jahren.

Der XVIII. Parteitag der KP Chinas wird aus verschiedenen Gründen als ein besonders wichtiges Ereignis in die Geschichte der KP Chinas eingehen. Er wird den klaren Kurs der Partei, der für alle, die das sehen wollen, eindeutig formuliert ist,  bekräftigen und weiter profilieren. Die weltweit anerkannten Erfolge der VR China auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung einerseits und die Krise des kapitalistischen Weltsystems andererseits bestätigen die Richtigkeit der Strategie der KP Chinas, unabhängig von vorhandenen Problemen und Schwierigkeiten. Die gewachsene Stellung der VR China in der Weltwirtschaft, ihr zunehmender internationaler Einfluss, ihre innere Stabilität trotz verschiedener Störversuche, die anerkannte enorme Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung trotz noch bestehender sozialer Probleme führen zu einer globalen Veränderung des Kräfteverhältnisses.

Der XVIII. Parteitag wird weltweit die Erkenntnis wachsen lassen, dass die dramatischen Veränderungen Ende des letzten Jahrhunderts nicht das Ende des Sozialismus waren, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte ist. In vielen Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, verfolgt man mit wachsendem Interesse die Entwicklung in China. Man beschäftigt sich mit dem Modell der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in China. In vielen Ländern, und nicht nur in Entwicklungsländern, wird die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die technologische Konzeption, die Finanzpolitik, die internationale Politik und vieles andere, was in der VR China passiert, aufmerksam verfolgt und gründlich studiert.

Die KP Chinas betrachtet die historische Entwicklung immer als einen Prozess revolutionärer Veränderungen mit historischer Kontinuität, so wie Karl Marx und Friedrich Engels die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung gesehen haben. Die halbkoloniale, halbfeudale Gesellschaft Chinas konnte nur durch eine über die feudale und koloniale Gesellschaft hinausgehende Gesellschaft abgelöst werden, wenn das Land nicht im Sumpf des Kolonialismus oder eines von den Kolonialmächten beherrschten Kapitalismus versinken sollte. Daraus entstand die Theorie und Praxis der Neudemokratischen Revolution, der Weiterführung und Vollendung der antiimperialistischen, antifeudalistischen Revolution unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei in die sozialistische Revolution. Das war ein völlig neuer Weg der revolutionären gesellschaftlichen Entwicklung. Er verlief auch nicht ohne Umwege und Schwierigkeiten. Aber es handelt sich um einen schöpferischen Weg im revolutionären Prozess mit dem theoretisch und praktisch Neuland beschritten wurde. Es war ein Weg, der von den konkreten Bedingungen Chinas bestimmt war. Aber für die Länder, die noch heute mit zumindest ähnlichen Bedingungen konfrontiert sind, ergeben sich Lehren für die eigene Entwicklung. Es handelt sich nicht nur um eine ganz spezifisch chinesische Situation. 

Nicht zuletzt ausgehend von der Neudemokratischen Revolution hat die KP Chinas den Weg des Sozialismus chinesischer Prägung erkundet und ist auf diesem Weg erfolgreich. Selbstverständlich gibt es viele chinesische Besonderheiten, die sich aus der Größe des Landes, seiner Geschichte, Kultur und vielen anderen Dingen ergeben. Aber ist es nicht nützlich für alle, die nach gesellschaftlichem Fortschritt und einem friedlichen Leben streben, sich mit der Herangehensweise, der Methodik, den theoretischen Prinzipien der Politik der KP Chinas zu  befassen und daraus Schlussfolgerungen für die eigene Strategie und Taktik abzuleiten? Oft wird das Prinzip des gegenseitigen Lernens betont. Die chinesische Partei hat in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv und viel von anderen gelernt, von ihren Fortschritten und ihren Niederlagen. Jetzt wird die Notwendigkeit immer offensichtlicher, von den großen Erfolgen der chinesischen Partei zu lernen. Das betrifft nicht zuletzt die Fragestellung der KP Chinas, was ist Sozialismus und wie kann er errichtet werden, wie ist die sozialistische Demokratie und die sozialistische Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln.

Der XVIII. Parteitag findet in einer Zeit statt, in der die wichtigsten Elemente der sozialistischen Entwicklung in China ausgearbeitet sind: die Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung, die Finanzpolitik, die Fragen des politischen Systems des Sozialismus, der sozialistischen Demokratie, der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit, der ideologischen Erziehungsarbeit, der gesellschaftlichen Strukturen, der internationalen Politik usw. Vielerorts und in kommunistischen sowie auch in manchen sozialistischen Parteien wird über den Sozialismus im 21. Jahrhundert debattiert. Doch oft fehlt die Bereitschaft, von den Erfahrungen der KP Chinas zu lernen.

Als wesentliche theoretische Positionen hat die KP Chinas die Auffassungen von der Anfangsphase des Sozialismus und vom Sozialismus chinesischer Prägung formuliert und ausgearbeitet. Die Anfangsphase des Sozialismus unterscheidet sich von der im sowjetischen Modell formulierten „Übergangsperiode zum Sozialismus" bzw. „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus". Die Formulierung vom „Sozialismus chinesischer Prägung" ist richtig, aber nicht alles ist durch chinesische Besonderheiten bestimmt. Viele dieser „Besonderheiten" gibt es auch in anderen Ländern, und nicht alles, was vorher als Sozialismus bezeichnet wurde, ist erfolgreich durchzusetzendes sozialistisches Prinzip. Auch belegen die Erfahrungen, dass hoch entwickelte kapitalistische Produktivkräfte nicht die zwingende Bedingung für ein erfolgreiches Beschreiten des sozialistischen Weges sind. Das verbreitete Unverständnis für den Sozialismus chinesischer Prägung ist gekoppelt an das Unverständnis für die Ursachen der dramatischen Ereignisse 1989/91 in der UdSSR und den vormals sozialistischen Ländern Europas. Diese Ereignisse haben dazu geführt, dass viele Kommunisten und Sozialisten, insbesondere in den unmittelbar betroffenen Ländern, bis heute irritiert sind. Sie brauchen eine neue Orientierung. Die dramatischen Ereignisse dieser Jahre werden in den betroffenen Ländern oft so bewertet, dass der Sozialismus nicht erfolgreich sein könne. Nicht zuletzt die chinesischen Erfahrungen beweisen das Gegenteil. Eine wichtige Frage ist dabei die Herangehensweise, die Methodik der Erarbeitung der Strategie und Taktik der Entwicklung des Sozialismus, es geht um eine zeitgemäße Sicht auf die neu zu schaffende Gesellschaftsordnung, auf eine zutiefst marxistische Denk- und Handlungsweise. Im Bericht an den XVII. Parteitag der KP Chinas heißt es: Am Sozialismus chinesischer Prägung festzuhalten bedeutet, tatsächlich am Sozialismus festzuhalten. Diese Feststellung enthält eine tiefe Wahrheit. Die jüngste Entwicklung des Kapitalismus beweist mehr als deutlich das Unvermögen, unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und der großbürgerlichen politischen Machtverhältnisse die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse zu beherrschen und die globalisierten ökonomischen Probleme zu lösen.

Ich wünsche dem XVIII. Parteitag der KP Chinas großen Erfolg, im Interesse des chinesischen Volkes, der KP Chinas und der Kommunisten und Sozialisten in vielen Ländern sowie im Interesse aller Menschen, die ein Leben in Frieden und sozialer Sicherheit ersehnen.