11-09-2012
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Kahn-Ackermann über die Zweigstelle des Goethe-Instituts in Beijing

Die Zweigstelle des Goethe-Instituts wurde am 1. November in Beijing an der 1. Beijinger Fremdsprachenhochschule feierlich eröffnet. Ihre Errichtung ist vor allem jenen Politikern beider Seiten zu danken, deren Bemühungen zu einer allseitigen Entwicklung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublick Deutschland geführt haben. Das Institut wird sicher die weitere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern auf kulturellem Gebiet und im Bildungswesen fördern. Nach der Eröffnungsfeier, auf der Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher das Wort nahm, und dem anschließend von ihm gegebenen Empfang interviewte Fang Fuyao von der ,,Beijing Rundschau" Michael Kahn-Ackermann, den Direktor der Zweigstelle.

Frage: Die Zweigstelle des Goethe-Instituts in Beijing wurde mit dem heutigen Tag offiziell ins Leben gerufen. Wie ist es dazu gekommen?

Antwort: Das Goethe-Institut Beijing wurde nach einer Vereinbarung zwischen den Regierungen der beiden Länder errichtet. Wie ich bereits in der Eröffungsrede festgestellt habe, war die Geburt unserer Zweigstelle wie die Geburt meiner Tochter vor vier Tagen nicht ganz einfach. Die Geburt meiner Tochter dauerte zwanzig Stunden, bis sie am Ende doch glatt verlief. Die Geburt des Goethe-Instituts Beijing nahm natürlich weit mehr Zeit in Anspruch, sie dauerte drei Jahre. Meine Frau erzählte mir jedoch, daß die Schmerzen des Gebärens mit der Niederkunft des Kindes auf einen Schlag wie ausgelöscht gewesen seien. Ich bin überzeugt, daß es mit unserer Zweigstelle die gleiche Bewandtnis haben wird.

Frage: Sie führten ein originelles Gleichnis zwischen Ihrer Tochter und der Zweigstelle an. Was hat Sie bewogen, das Amt als Direktor im April dieses Jahres zu übernehmen?

Antwort: Ich bin Deutscher, meine Frau ist Chinesin. Als frischgebackener Vater und als jetziger Direktor ist es selbstverständlich, zwischen meiner Tochter und der neugegründeten Zweigstelle eine Reihe von Gemeinsamkeiten zu sehen, wenn ich es recht bedenke. Nun ist zwar unsere Zweigstelle ein durch und durch deutsches Kind, aber um es zustande zu bringen, bedurfte es ja wohl des gemeinsamen Wollens beider Seiten. In diesem Sinne könnte man sagen, daß die Eltern unserer Zweigstelle Bundesrepublik Deutschland und Volksrepublik China heißen. Zum anderen läßt sich bei Betrachtung des Charakters der Eltern vermuten, daß unsere Tochter ein lebhaftes, nicht immer artiges und möglicherweise etwas eigensinniges Kind werden wird. Aber es besteht ebenfalls Anlaß zu der Annahme, daß es zu einem Menschen heranwächst, der etwas Gutes zustande bringt und die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllt. Ich wage zu behaupten, daß dies in gleicher Weise für unsere Zweigstelle gilt.

Michael Kahn-Ackermann im Gespräch mit Fang Fuyao und Wang Wanqian
Foto: Wang Kuanxiang

Zum dritten zwingt die Geburt eines Kindes zum Nachdenken über seine Zukunft. Soll sie erfolgreich sein, darf man nicht knauserig sein und muß das Kind nach bestem Vermögen mit dem Notwendigen ausstatten. Was ich damit im Hinblick auf unsere Zweigstelle sagen möchte, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen. Aber es geht nicht nur um die materiellen, sondern auch um die immateriellen Lebensbedingungen. Für ein Kind am wichtigsten sind die Liebe, die Unterstützung und das Vertrauen seiner Eltern. Auch unsere Zweigstelle braucht sie.

Außenminister Hans-Dietrich Genscher inmitten von chinesischen Kursteilnehmern
Foto: Wang Kuanxiang

Freilich haben die Gemeinsamkeiten zwischen meiner Tochter und unserer Zweigstelle ihre Grenzen. Meine Tochter kann ein paar Jahre im Spiel Erfahrungen sammeln, dann kann sie die Schule besuchen, und zur Arbeit wird sie erst gehen, wenn sie das richtige Alter erreicht hat. Unsere Zweigstelle muß sich dagegen, kaum geboren, sofort an die Arbeit machen.

Frage: Die Zweigstelle Beijing ist eine der über 140 des Goethe-Instituts in der Welt. Welche Unterschiede bestehen zwischen ihnen?

Antwort: Es bestehen tatsächlich neben vielen Gemeinsamkeiten auch Unterschiede. Der erste ist, daß ich als Direktor der Zweigstelle eines deutschen Instituts einen Stellvertreter habe, der Chinese ist, und von einem von beiden Seiten besetzten Institutsrat, der aus jeweils drei chinesischen und deutschen Vertretern besteht und die oberste Entscheidungsinstanz der Zweigstelle ist, beraten werde. Unser Kooperationspartner ist die Staatliche Kommission für Bildungswesen. Der zweite besteht darin, daß die Zweigstelle Beijing ihre Aktivitäten zunächst auf die Spracharbeit konzentrieren wird, nicht so wie andere Goethe-Institute auf den Kulturaustausch. Damit kommen wir chinesischen Prioritäten und Wünschen entgegen. Unsere Zweigstelle wird ihren chinesischen Partnern bei der Vermittlung der deutschen Sprache und Landeskunde, bei der Aus- und Fortbildung chinesischer Deutschlehrer, bei der Zusammenstellung von Lehrmaterial und bei der Sprachförderung in verschiedenen Formen helfen.

 

Die Mitarbeiter der Zweigstelle des Goethe-Instituts in Beijing. M. Kahn-Ackermann, Direktor der Zweigstelle (1. v. I.) und Chen Hangzhu, stellvertretender Direktor der Zweigstelle

Frage: Soeben habe ich am Empfang teilgenommen, der im Unterrichtsgebäude Ihrer Zweigstelle stattfand. Es scheint wirklich für so viele eingeladene Gäste zu klein zu sein, wie Sie dies in Ihrer Rede auch erwähnt haben. Wie sehen die Pläne für den Bau Ihres Institutsgebäudes aus?

Antwort: In den ersten drei Jahren ist dieses Gebäude unsere Herberge. Danach werden wir eine Baustelle für unser neues Institutsgebäude suchen. So klein auch das jetzige sein mag, wir freuen uns, schon über ein solches zu verfügen. Gleichzeitig sind wir uns darüber im klaren, daß wir arbeiten, arbeiten und arbeiten müssen, damit dieses Gebäude seine gebührende Rolle spielen kann und zu einem Ort wird, wo wir unsere Sprache in verschiedenen Formen vermitteln, mit dem Zweck, daß die Menschen verschiedener Sprache, verschiedener Kultur und unterschiedlicher Lebensläufe eine gemeinsame Sprache finden.

Frage: Herr Kahn-Ackermann, könnten Sie mich mit dem Lehrplan, dem Aufnahmeverfahren und der Unterrichtstätigkeit vertraut machen?

Antwort: Die Sprachausbildung dauert in der Regel ein Jahr. Unsere Studenten werden von der Staatlichen Kommission für Bildungswesen ausgewählt und anschließend zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland geschickt. Gegenwärtig haben wir nur eine Klasse mit 10 Studierenden, deren Lehrer aus der Bundesrepublik kommen. Neben regulären Klassen sind Abendkurse eingeplant. Wie Sie wissen, gibt es in Beijing viele Jouint Ventures und Arbeitsorgane aus der Bundesrepublik mit schätzungsweise mehreren hundert chinesischen Büroangestellten. Mit der Öffnungspolitik Ihres Landes wächst die Zahl von Chinesinnen und Chinesen, die mit Ausländern und Ausländerinnen verheiratet sind. Es sind zur Zeit schätzungsweise etwa 50 Menschen. Die obengenannten zwei Gruppen haben natürlich den Wunsch, Deutsch zu lernen oder ihr Deutsch zu verbessern. Wenn es mit der Renovierung unseres Unterrichtsgebäudes klappt, wird dieser Abendschnellkurs im März oder April beginnen. Aber ich möchte unterstreichen, daß wir nicht mit den chinesischen Abendschulen konkurrieren wollen, die auch Deutschunterricht geben. Unsere Kursteilnehmer werden nur einen winzigen Anteil der Deutschlernenden in Beijing betragen.

 Frage: Was wird Ihre Zweigstelle noch unternehmen, um Ihr Ziel der Sprachförderung in China zu verwirklichen?

Antwort: Eingeplant sind Fortbildungskurse für Lehrer, Lehrgänge für die Weiterbildung von Übersetzern und Dolmetschern und Veranstaltungen im Bereich der Literatur. Über die Ausführung dieser Pläne werden wir uns mit den zuständigen Einheiten, also vor allem mit der Staatlichen Kommission für Bildungswesen, aber auch mit anderen Institutionen, wie der Chinesischen Gesellschaft für Übersetzer, besprechen. Die Sprachförderung in China setzt allerdings noch Kenntnis über folgende Dinge voraus: Wieviel Deutschlernende gibt es eigentlich in China? Wie hoch ist die Zahl von Deutschunterricht erteilenden Anstalten und von deren Studentinnen und Studenten? Wo liegen diese Anstalten? Welche Lehrprogramme, Lehrpläne und, welche Unterrichtsmaterialien werden dort verwendet, wie steh's mit der Unterrichtsqualität und den Unterrichtsmethoden? (Zwischenbemerkung von Fang: Wieviel Leute hören täglich das Programm in deutscher Sprache von Radio Beijing, und wie hoch wird die Zahl von Zuschauern sein, die ab Herbst 1989 die vorgesehene Ausstrahlung eines deutschen Sprachkurses im chinesischen Fernsehen sehen werden?) Ja, auf alle diese Fragen fehlt noch die richtige Antwort, und vielleicht kann keiner darauf antworten, ehe man nicht eine Untersuchung im ganzen Land angestellt hat. Deshalb sind wir an einer solchen Untersuchung auch sehr interessiert. Natürlich ist eine solche Untersuchung nicht leicht zu realisieren. Allein schaffen wir das nicht. Deshalb sind dafür gemeinsame Anstrengungen der deutschen wie auch der chinesischen Seite erforderlich, nicht zuletzt die Unterstützung unserer chinesischen Kooperationspartner.

Filmveranstaltungen sind auch eingeplant, um Deutschlehrern und Deutschlernenden ein besseres Verständnis der Bundesrepublik zu ermöglichen. Die deutschsprachige Bibliothek unserer Zweigstelle wird der Öffentlichkeit zugänglich sein, wenn sie planmäßig im April 1989 fertiggestellt sein wird. Diese 200 Quadratmeter große Bibliothek wird zunächst über einen Bücherbestand von 15000 Exemplaren verfügen, die neben den Büchern in deutscher Sprache auch alle bisher ins Chinesische übersetzten deutschen Bücher einschließen und den deutschverstehenden Lesern zugänglich machen wird.

Frage: Herr Kahn-Ackermann, Sie sind der erste Direktor des Goethe-Instituts Beijing und betrachten es als ein durch und durch deutsches Kind, dessen Eltern die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China sind. Was werden Sie tun, um dieses Institut groß werden zu lassen, und was ist Ihre Richtschnur bei Ihrer Arbeit mit Ihren chinesischen Kooperationspartnern?

Antwort: 1981, als ich dem Goethe-Institut beigetreten bin, hatte ich den Wunsch, einmal Leiter der Zweigstelle des Goethe-Instituts in Beijing zu werden. Seine Erfüllung ist weder das Ergebnis politischer Voraussicht noch das Resultat gezielter Karriereplanung. Für mich selbst halte ich mich allerdings lieber an die daoistische Weisheit, daß Wünsche sich dann erfüllen, wenn sie im Einklang mit dem naturgemäßen Gang der Dinge — dem ,,Wanshi zhidao" — stehen. Daß ich das geworden bin, was ich werden wollte, habe ich also am wenigsten mir selbst zu verdanken, weit eher schon den Ehrengästen dieser Eröffnungsfeier und anderen für den Fortgang der Völkerverständigung tätigen Politikern, am meisten jedoch wohl der Entwicklung Chinas selbst. Das hat erneut mein Vertrauen in das daoistische Grundprinzip des ,,Wu wei" bestärkt, des ,,Nicht-Tuns", das ja weder ein passives noch ein opportunistisches Prinzip ist, sondern besagt, daß man nur Unheil stiftet, wenn man der ihren natürlichen Gesetzen folgenden Entwicklung von Menschen und Dingen seinen Willen aufzwingen möchte. Dieses Prinzip ergänzt der Daoismus allerdings durch das ,,Wu wu wei" — das ,,Nicht- nicht tun" —, das besagt, daß man in Übereinstimmung mit dem natürlichen Lauf der Dinge, zur rechten Zeit das Richtige tun soll. Ich möchte dieses daoistische Doppelprinzip gern als Grundsatz unserer Arbeit in der Volksrepublik China verstehen. Da es sein kann, daß wir im Einzelnen den ,,natürlichen Lauf aller Dinge" nicht immer so verstehen, wie unsere Partner, schließt das Meinungsverschiedenheiten nicht aus, aber es gewährleistet Selbstbewußtsein und Bescheidenheit und die Aufmerksamkeit gegenüber unserem Gastgeberland und unseren Partnern, die die Grundlage unserer Arbeit bilden. Es gewährleistet, daß wir die uns übertragenen Aufgaben in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts, gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Sympathie erfüllen. So ist dies meine Richtschnur bei meiner Arbeit mit unseren chinesischen Kooperationspartnern. Ich bin Direktor einer Zweigstelle, die ein durch und durch deutsches Kind ist, die aber nicht wie meine Tochter die Unterricht besucht, sondern eins, das Unterricht gibt. Das ist, wie Sie zugeben werden, nicht einfach, und wir benötigen dabei Ihre Hilfe. Wir sind uns jedoch im klaren darüber, daß wir allem voran uns selbst anstrengen und alles tun müssen, was in unserer Kraft steht, um dieses Institut groß werden zu lassen und um unseren Teil zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den beiden Völkern und zur Sprachförderung in China beizutragen. (Quelle: Archiv der Beijing Rundschau, 1988)