12-07-2012
„Das ist mein Traum“
Der alte Mann und das Meer
von Tang Yuankai

Schon immer standen die Menschen voller Respekt vor den majestätischen Höhen und immensen Ausmaßen der Gebirgswelten. Andere hingegen, wie der 76-jährige Meeresgeologe Wang Pinxian, sind von den Tiefen der Ozeane fasziniert.

Wang Pinxian, Forschungsrat der Chinessichen Akademie der Wissenschaften und Seniorprofessor des Instituts für Meeres- und Geowissenschaften an der Tongji Universität

Wenn Wang Pinxian die unergründlichen Tiefen des Meeres beschreibt, zieht er einen Vergleich aus der Gebirgswelt heran: „Der Qomolangma (Mount Everest) ist mit seinen 8 844 Metern die höchste Erhebung der Erde, der Marianengraben mit 11 034 Metern die tiefste Stelle der Ozeane. Selbst der höchste Berg kann den tiefsten Graben nicht zur Gänze füllen. Der Grund des Meeres ist zu tief!"

Wang arbeitet für die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAW) und ist Professor am Institut für Meeres- und Geowissenschaften an der Tongji Universität. Statt sich in seinen wohlverdienten Ruhestand zu begeben, hat er sich dazu entschieden, seiner Leidenschaft für Meeresgeologie weiter zu folgen.

„Nur wenn man tausende Meter tief taucht, kann man das wahre Leben der Meere entdecken und so mehr über den Planeten erfahren, auf dem wir leben", meint Wang. In seiner Vorstellung sind die Geheimnisse der Tiefsee und die Zukunft Chinas und der Welt eng miteinander verbunden.

Seit Jahrzehnten widmet sich Wang nun schon der Meereskunde und versucht, das Wissen über die Ozeane in der Öffentlichkeit zu verbreiten und die Regierung davon zu überzeugen, der Ozeanforschung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

In den vergangenen Jahren hat die Volksrepublik bedeutende Fortschritte bei der Erforschung der Ozeane gemacht. Am 27. Juni stieß zuletzt Chinas erste bemannte Tiefsee-Tauchkapsel „Jiaolong" im Marianengraben bis zu einer Tiefe von 7 062 Metern vor und stellte somit einen nationalen Rekord auf. Außerdem ist China damit nach den USA, Frankreich, Russland und Japan das fünfte Land, das über eine derartige Tiefseetechnologie verfügt.

Wang Pinxian sieht in der „Jiaolong" vor allem ein modernes Werkzeug zur Erforschung der Tiefsee. „Ohne Spitzentechnologie können wir die Ozeane nicht weiter erforschen. Technologie und Ozeanographie müssen sich gemeinsam weiterentwickeln."

 

Ein Leben, dem Meer gewidmet

Wang kam 1936 in Shanghai zur Welt. Zwanzigjährig wurde er von der chinesischen Regierung zum Studium an die Lomonossow-Universität in Moskau geschickt. Nach vier Jahren beendete er 1960 erfolgreich sein Geologiestudium und kehrte nach China zurück.

Nach seinem Studium arbeitete Wang als Dozent an der East China Normal University. Als er von den Plänen der Regierung hörte, die in den Ozeanen nach Öl bohren wollte, bewarb er sich am Institut für Meeres- und Geowissenschaften an der Tongji Universität und wurde in das Programm aufgenommen.

Wang und sein Team müssten bei ihrer Arbeit bei null anfangen. Sie verwandelten eine verwaiste Werkstatt in ein Labor, in dem ein kaputtes Mikroskop und ein russisches Paläontologie-Lexikon als einzige Forschungsmittel dienten.

Mit rund einem Duzend von anderen Vertretern der chinesischen Geologie wurde Wang nach Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den achtziger Jahren in die Vereinigten Staaten entsandt. Die Erkenntnis von der Überlegenheit der amerikanischen Wissenschaftler sowohl bei der Erkundung der Tiefsee als auch bei dem Studium von Mikrofossilien kam einem Schock gleich. Nach ihrer Rückkehr nach China veröffentlichten Wang und seine Kollegen eine Studie unter dem Titel „Chinas Mikropaläontologie der Meere". Das Buch ließ Forscher weltweit aufhorchen und legte die Grundlage für den weiteren Austausch zwischen chinesischen und ausländischen Ozeanographen.

1985 starteten die USA das Programm zur Meeresentwicklung (ODP), das von einer Gruppe von Ländern mitfinanziert wurde. Trotz der knappen Haushaltskasse trat China dem Programm 1998 bei und willigte ein, einen Mitgliedsbeitrag von 500 000 Dollar im Jahr zu zahlen –auch dank Wangs Einsatz und Überredungskünsten. Wang war zufrieden. Seiner Einschätzung nach war die Teilnahme am globalen Forschungsprojekt entscheidend, wenn China Fortschritte bei der Erforschung der Ozeane erzielen möchte.

Die Erkundung des Südchinesischen Meeres

In Wangs Augen ist das Südchinesische Meer eine Schatztruhe für das Studium der Meeres- und Klimakunde. Dem Meeresboden lassen sich detaillierte Klimainformationen der letzten 45 Millionen Jahre entnehmen. In dem Gebiet treffen eine Vielzahl von Meeresströmungen aufeinander, was die Entstehung der Monsunwinde stark beeinflusst.

„Im Südchinesischen Meer gibt es über 200 Inseln und Riffe, darunter die Xisha-, Nansha- und Zhongsha-Inselgruppen. Es ist unstreitig, dass China die Souveränität über diese Inseln ausübt", meint Wang und folgert: „Es ist also die Aufgabe und die Pflicht der chinesischen Wissenschaftler, diese Gebiete zu erforschen."

„Das Südchinesische Meer ist wie ein einziger lebender Organismus", sagt Wang. „Die Felsstrukturen sind die Knochen, der Sand und die Ablagerungen verschiedenster Meereslebewesen bilden das Fleisch und die Meeresströmungen das Blut."

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