30-03-2012
Kunst der Aufklärung
Forum „Aufklärung und Wissenskulturen" beendet Veranstaltungsreihe „Aufklärung im Dialog" in Beijing
von Zeng Wenhui

Am 25. März wurde im Nationalmuseum in Beijing die Veranstaltungsreihe „Aufklärung im Dialog" mit dem fünften Forum unter dem Titel „Aufklärung und Wissenskulturen" beendet.

Dieses Forum widmete sich Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Methoden der Analyse und der Wissenssammlung, die sich in den Wissenskulturen Chinas und Europas manifestieren. Als Referenten haben daran teilgenommen der sino-amerikanische Physiknobelpreisträger Yang Chen Ning, Ehrendirektor der Tsinghua Universität, und Paul U. Unschuld, Direktor des Horst-Görtz-Instituts für Theorie, Geschichte und Ethik Chinesischer Lebenswissenschaften der Charité in Berlin. Gäste auf dem Podium waren Mareile Flitsch, Direktorin des Völkerkundemuseums der Universität Zürich, der Literaturwissenschaftler Li Ling vom Institut für chinesische Sprache und Kultur der Peking Universität und Mei Jianjun, Direktor des Forschungsinstituts für Metallverarbeitung und Materialgeschichte der Technischen Universität Beijing.

Yang Chen Ning legte in seinem Referat dar, dass die Aufklärung nicht nur einen radikalen Wechsel in den Auffassungen zu Philosophie und Religion ausgelöst habe, sondern auch die Grundlagen für die modernen Wissenschaften legte. Newton hat 1687 sein Hauptwerk „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica" veröffentlicht, in dem er das Gesetz der Schwerkraft ableitete und mit den Newtonschen Bewegungsgesetzen die Struktur des Sonnensystems erstmals aus quantitativer Perspektive darlegte. Dies schärfte das Bewusstheit dafür, dass sich die Bewegungsabläufe im Kosmos durch mathematische Formeln ausdrücken lassen. „Im Grunde hat diese wichtige Arbeit die Naturwissenschaften der Neuzeit ins Leben gerufen," so Yang.

Yang sieht die zentrale Rolle der Aufklärung in der Ablösung des Denkens von religiösen Grundlagen und der damit verbundenen konsequenten Rationalisierung in der Betrachtung der Welt. Diese beiden Punkte haben seit dem 18. Jahrhundert einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung Europas und das naturwissenschaftliche, politische und philosophische Denken ausgeübt. Dabei hob Yang unter Hinweis auf eine Arbeit des berühmten britischen Wirtschaftstheoretikers John Maynard Keynes hervor, dass Newton einen großen Teil seiner Arbeitskraft religiösen Spekulationen widmete, was unserem modernen Klischee von der Distanz der frühen Aufklärung zu religiösem Denken und Handeln eindeutig widerspreche.

Yang ist der Meinung, dass sich das China im 18. und 19. Jahrhundert von Europa hinsichtlich philosophischen Denkens und kultureller  Tradition grundsätzlich unterschieden habe. Zwar wurden Anfang des 20. Jahrhunderts einige Denkrichtungen des Westens nach China eingeführt, aber aufgrund der Unterschiede in Kultur und Sprache wurden diese Gedanken ganz anders als im Westen rezipiert. So widerspricht Yang der Auffassung, dass die Vierte-Mai-Bewegung die Aufklärung nach China gebracht hätte: „Zwar haben die Vierte-Mai-Bewegung und die Neue-Kultur-Bewegung im 20. Jahrhundert einen riesigen Einfluss ausgeübt, der im Grunde bis heute fortdauert, aber dieser Einfluss ist nur ungenügend mit `Aufklärung´ zu beschreiben." Damals sei „die Rettung der Nation" im Mittelpunkt gestanden, nicht die Aufklärung im westlichen Sinne.

Professor Unschuld meint, die Aufklärung im 18. Jahrhundert habe eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Wissenskultur in ganz Europa gespielt. Sie habe den religiösen und gesellschaftlichen Hindernissen für die Entwicklung der Wissenschaften den entscheidenden Schlag versetzt. Mit der Aufklärung wurde der wissenschaftlichen Forschung ein Freiraum geschaffen. Als Beispiel griff er auf: „Wir glaubten zuvor, dass Gott unser Schicksal, unsere Gesundheit, unser Leben und unseren Tod entscheidet, so dass viele Wissenschaftler auf die Forschung verzichteten. Aber nach dem 18. und 19. Jahrhundert entstanden viele neue Techniken wie die Pockenimpfung. Durch das Sezieren von Leichen wurden die Grundlagen der modernen Medizin gelegt. All dies geschah nach der Entstehung des durch die Aufklärung erwirkten Freiraumes."

Brauchte China die Aufklärung von Europa, besonders die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, damit technische Innovation, wissenschaftliche Fortschritte und die Entwicklung der modernen Medizin gefördert werden konnten? Unschuld sagt „nein". Das englische Wort „Enlightenment" bedeutet, eine Fackel zu entzünden, um die Dunkelheit zu beleuchten. China hatte schon Tausende Jahre lange „Aufklärung". Das Werk Su Wen (ein Teil des Huang Di Nei Jing), eines der ältesten Standardwerke der chinesischen Medizin, gilt als das früheste Beispiel von Aufklärung. Immer wieder wird in ihm der Anspruch des Menschen auf Selbstbestimmung formuliert. Es betont die Fähigkeit der Menschen, ihr Leben zu verlängern, wenn sie eine ausgeglichene und gesunde Lebensweise annehmen. Deshalb wurde im Taoismus formuliert: „Mein Schicksal liegt in mir selbst, nicht beim Himmel".

Ab dem 14. und 15. Jahrhundert begannen chinesische Gelehrte die Bedeutung des Fragestellens zu entdecken. Chen Xianzhang schrieb: „Beim Lernen soll man Wert auf Fragestellen legen". Klassische Werke in Frage zu stellen, kann die Entwicklung der Wissenschaft fördern. Leider hat China danach die Politik der Selbstisolation betrieben und verfiel, während in den Ländern Europas ein scharfer Wettbewerb um Fortschritte in Wissenschaft und Technik einsetzte, der zum Durchbruch des wissenschaftlichen Weltbildes und eines technisierten Alltages führte. „Wäre China im 16. Jahrhundert nicht selbstgerecht geworden, hätten diese großen Durchbrüche in China stattfinden können anstatt in Europa", so Unschuld.

Li Ling erklärte in der Diskussion, dass das chinesische Wort für Aufklärung, „qimeng" bedeute, dass jemand dumm sei und also der Aufklärung bedürfe, damit er klug werde. In Europa heißt Aufklärung darüber hinaus, die Dunkelheit zu erleuchten, also zu vertreiben. In einem weiteren Sinne ist Li Ling mit der Auffassung von Paul U. Unschuld einverstanden: Wissenschaft sei nicht schlagartig im 18. Jahrhundert entstanden. Sowohl in Europa als auch in China hat Wissenschaft einen langen Entwicklungsprozess vorzuweisen. Die Aufklärung bedeutet sowohl in China als auch in Europa eine Bewegung zur Gedankenbefreiung.

Mei Jianjun gab zu bedenken, dass die Aufklärung auf keinen Fall das Gefühl vermittle, dass „Wissenschaft alle Probleme lösen kann", womit er sanft der Position Unschulds widersprach, der auch jeden künftigen Fortschritt der Menschheit vom Festhalten an einem unkritischen Bild von Wissenschaft abhängig machte. Mei hält die Aufklärung für eine Bewegung der Gedankensbefreiung der Menschheit, durch die man alle Fesseln sprengen und die Wissenschaft, die Natur, und alles weitere frei entdecken kann. „Ich finde, dies ist die wesentliche Leistung der Aufklärung," so Mei.

Als wissenschaftliches Begleitprogramm der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung" veranstaltete die Stiftung Mercator gemeinsam mit dem Chinesischen Nationalmuseum die Reihe „Aufklärung im Dialog". Das Programm bestand aus fünf Dialogblöcken: Die Kunst der Aufklärung – die Geschichte einer Ausstellung, Aufklärung und Kunst, Aufklärung und ihre chinesische Geschichte, Aufklärung und Moderne und zuletzt Aufklärung und Wissenskulturen. Seit der Eröffnung im April 2011 durch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, den chinesischen Kulturminister Cai Wu sowie hochrangige Vertreter aus China und Deutschland, haben mehr als 3000 Gäste aus zahlreichen Ländern an den Foren und Salons der Veranstaltungsreihe teilgenommen.