09-02-2012
Rückblick
China-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Gemeinsames Handeln in der Krise
von Meng Hong

 

Gerade erst ist das chinesische Jahr des Drachen angebrochen, schon traf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit Regierungs- und Unternehmensvertretern sowie fünf

Mitgliedern des Deutschen Bundestages aus allen Fraktionen im Reich der Mitte ein. Der Besuch vom 2. bis 4. Februar, unmittelbar nach dem Weltwirtschaftsforum in Davos und dem europäischen Gipfeltreffen in Brüssel, war die fünfte offizielle Chinareise seit ihrem Amtsantritt. Mitten in der Eurokrise sind inzwischen durch die Bemühungen der deutschen „eisernen Lady" die ersten möglichst langfristig wirksamen und rechtlich verankerten Ergebnisse erzielt worden: 25 der 27 EU-Länder haben sich über einen Fiskalvertrag geeinigt, in dem sie sich auf eine strenge Haushaltsdisziplin festlegen. Für eine intensivere Zusammenarbeit der EU mit der zweitgrößten Wirtschaftsnation der Welt zur Überwindung der Schuldenkrise scheinen nun bedeutsame Grundlagen geschaffen zu sein. Bereits während Wen Jiabaos Besuch in Berlin Ende Juni und Hu Jintaos Teilnahme am G20-Gipfel in Cannes Anfang Dezember vergangenen Jahres wurde über Chinas Mitwirkung bei der Rettung des Euro spekuliert, konkrete Schritte waren jedoch weitgehend ausgeblieben.

Mit der Zielsetzung, Chinas Vertrauen in den Euro und die EU wieder herzustellen, die bilateralen Beziehungen auszubauen und zur Bewältigung der Krise in Nahost nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, versuchte Angela Merkel während ihres dreitägigen Aufenthalts in China intensiv für ihre Ansichten und Konzepte zu werben. Ihr Reiseprogramm war randvoll mit Gesprächs- und Besuchsterminen. Neben den politischen Gesprächen mit Staatspräsident Hu Jintao, Premierminister Wen Jiabao und dem Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses, Wu Bangguo, hielt Merkel Vorträge vor der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Beijing und auf dem Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsforum in der südchinesischen Metropole Guangzhou. Zudem tauschte sie sich mit Vertretern der Finanz- und Wirtschaftselite aus. 

 

Mehr Verständnis und Vertrauen durch Dialoge und Kontakte

In China ist Merkel durch ihre Direktheit bekannt. Schon bei ihrer zweiten Chinareise hielt sie einen Vortrag vor der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, in dem sie an China vor allem die Forderung nach Übernahme von mehr globaler Verantwortung stellte. Klimawandel, Umweltschutz, Förderung erneuerbarer Energien, Schutz des geistigen Eigentums und Achtung der Menschenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit sind seitdem stets bei ihren Gesprächen mit der chinesischen Führung besonders hervorgehoben. Skepsis und Misstrauen gegenüber der rasch entwickelten Wirtschaftsnation mit der größten Bevölkerung in der Welt standen bei ihr anfangs im Vordergrund – vermutlich beeinflusst durch ihre persönlichen Erfahrungen in der DDR und die wertorientierte Außenpolitik der schwarz-gelben Regierung. Infolge der weltweiten Finanzkrise seit 2008 und vor allem seit dem Ausbruch der Eurokrise wandelte sich ihre Einstellung gegenüber China durch ständigen Kontakt und Meinungsaustausch. Die Kanzlerin zeigt zunehmend Verständnis für die spezifische chinesische Entwicklungsart, die aufgrund der politischen, historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Andersartigkeit einen eigenen Charakter aufweist.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland haben seit ihrer Aufnahme im Jahre 1972 mehrfach Höhen und Tiefen erlebt. Gemäß den Prinzipien der gegenseitigen Achtung und des Respekts sowie des gegenseitigen Nutzens auf der Grundlage der Gleichberechtigung  sowie durch die kontinuierliche Pflege von intensivem Austausch und vielfältiger Zusammenarbeit sind aus "Krisen" immer wieder neue Erkenntnisse und Perspektiven für die weitere Entwicklung hervorgegangen. Inzwischen bestehen zahlreiche Dialogforen auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Bereichen. Mit den im vergangenen Juni ins Leben gerufenen Regierungskonsultationen sind nun weitgehend alle wichtigen Rahmenbedingungen für die strategische Partnerschaft mit globaler Verantwortung zwischen Deutschland und China geschaffen. In diesem Jahr wird nun im Rahmen des Chinesischen Kulturjahres eine Reihe von Veranstaltungen in Deutschland durchgeführt, was dazu beitragen kann, dem deutschen Volk „das moderne China" näher zu bringen.

 

Aktives Ergreifen der Chancen nach der Krise

Seit Jahrzehnten wirkt Deutschland als Motor der europäischen Integration. Das Land  gilt als die größte Wirtschaftsnation Europas, deren Exporte jedoch stark von den europäischen Nachbarländern abhängig sind. Anders als die Politik ihrer CDU-Vorgänger im Kanzleramt ist Merkels Europapolitik in erster Linie an eigenen Staatsinteressen orientiert, was auf einen Stimmungswandel zurückzuführen ist, der zu Schröders Regierungszeit in den Jahren 1998 bis 2005 einsetzte.

Bei der Rettung des Euro besteht Merkel nun entschieden darauf, nicht einfach Geld in marode Staatshaushalte zuzuschießen, sondern umfassende und tiefgreifende Reformen des Finanzsystems auf EU-Ebene durchzuführen, damit beispielsweise die deutsche "Investition" in Griechenland nicht ins Leere läuft. Laut Merkels Konzept sollten neben der Erstellung der erforderlichen strengen rechtlichen Regelungen durch den neuen Fiskalvertrag die Harmonisierung der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik geschaffen sowie das wirtschaftliche Wachstum durch kostensparsame Maßnahmen gefördert werden. Dazu zählen der Abbau der Bürokratie, die Vereinfachung des Arbeitsrechts, sowie die Förderung von Außenhandel und Investition. Die Reise nach China gilt für sie somit in erster Linie als "Werbetour" und "Hoffnungsreise". Auf europäischer Ebene ist die Reise vor allem eng mit der Aufgabe verbunden, die chinesische Seite über die aktuelle Lage in der EU und hinsichtlich der Ansätze zur Bewältigung der Schuldenkrise zu informieren und für deren Unterstützung zu werben. In der Iran- und Syrienfrage vertritt Deutschland auf internationaler Ebene zwar grundsätzlich die Position der friedlichen Lösung. Als eines der gegenwärtigen 15 Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates stellte es sich allerdings auf die Seite der USA und unterstützte die Forderung nach der Verhängung von Wirtschaftssanktionen über diese Länder.

Hinsichtlich der bilateralen Beziehungen zu China stehen die Kooperationen in den Bereichen Wirtschaft und Handel für Merkel nach wie vor im Vordergrund. Im vergangenen Jahr erlebte die deutsche Wirtschaft zwar eine Erholungsphase, in der das Wirtschaftswachstum 3 Prozent erreichte und die Arbeitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist. Allerdings sind die inzwischen von der Bundesregierung verlängerten beschäftigungspolitischen Maßnahme wie die Förderung kurzfristiger Arbeitsverhältnisse auf lange Sicht nicht dazu geeignet, grundlegende Probleme der Wirtschaftsstruktur zu lösen. Laut neuester Daten des Statistischen Bundesamtes steigt seit November vergangenen Jahres die Arbeitslosigkeit erneut an. Förderung und Ausbau der bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sind deshalb für Merkel außerordentlich dringlich, vor allem auch hinsichtlich der bevorstehenden Bundestagswahl im kommenden Jahr. Schließlich ist China inzwischen der wichtigste Handelspartner Deutschlands außerhalb der EU. Deutschland verfügt über moderne Technologie in den Bereichen Energieversorgung, Umweltschutz, Automobilindustrie und Landwirtschaft, was für Chinas Modernisierung und nachhaltige Entwicklung von großer Bedeutung sein kann. Die Förderung der mittelständischen Industrie und der Kleinunternehmer neben der bisher bevorzugten Förderung der Großindustrie in China, und die Förderung chinesischer Unternehmen in Deutschland können mehr Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen schaffen, was zum wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland beitragen kann. Im Rahmen der bilateralen Regierungskonsultationen sind bereits im vergangenen Jahr Vereinbarungen getroffen worden, wonach sich zum einen das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern bis 2015 auf 280 Milliarden US-Dollar verdoppeln soll und zum anderen ein Sonderfond für die Förderung der Investitionen der mittelständischen Unternehmen beider Seiten von der chinesischen Regierung eingerichtet wird. Auf der jüngsten China-Reise zielte Merkel dann in erster Linie auf die Konkretisierung dieser beiden Vorhaben.

 

Gemeinsames Handeln angesichts großer Herausforderungen

Obwohl Merkels Chinareise nur deshalb auf den Beginn des Drachenjahres gefallen ist, weil ein geplanter Besuch im Vorjahr auf diesen Termin verschoben wurde, sind die wesentlichen Ziele der Visite erreicht worden.

Bei den heiklen Fragen in Bezug auf die Konfliktherde Iran und Syrien erläuterte die chinesische Seite umfassend ihre Positionen gegenüber der deutschen Führung. China sei strikt gegen die geplante UNO-Resolution, nicht aus eigenem wirtschaftlichen Interesse, sondern vor allem aus dem Grundsatz der Förderung des Weltfriedens und aus den Erfahrungen heraus, dass es eben nur durch Gespräche und Verhandlungen sowie Kooperationen zu einem Wandel kommen kann. Alles andere würde die Lage vor Ort nur noch mehr zuspitzen und noch größere Gefahren heraufbeschwören. Zur möglichen Mitwirkung Chinas bei der Überwindung der Schuldenkrise erklärte die chinesische Seite, nun intensiver über die Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung der Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM sowie Investitionen in der Eurozone nachzudenken. Die deutsche Delegation wurde zugleich dazu aufgefordert, mehr Informationen über für China attraktive Produkte und Industriebereiche zu übermitteln und die bestehenden starken Beschränkungen für den Export von Hochtechnologie nach China aufzuheben. Hinsichtlich der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen hat sich Premierminister Wen bereit erklärt, mehr in die Bereiche Hochtechnologie, Umweltschutz, erneuerbare Energien und Landwirtschaft zu investieren und die mittleren und kleineren Unternehmen aus Deutschland in China verstärkt zum Zuge kommen zu lassen. Umgekehrt sollten auch chinesische Investitionen in Deutschland gefördert werden, was für das Land neue Arbeitsplätze mit sich bringen kann. Bisher macht das Investitionsvolumen Chinas in Deutschland nur etwa ein Zehntel des deutschen in China aus.

Das Jahr des Drachen symbolisiert in China Hoffnung und Erfolg. Für China wie auch für Europa und die Weltwirtschaft liefert das Drachenjahr 2012 sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Der fünfte Besuch Merkels in China hat nun den Startschuss für das 40-jährige Jubiläum der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China gegeben. "Mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr", lautet ein bekannter Ausspruch von Konfuzius. Es ist zu hoffen, dass die beiden Wachstumsmotoren der Welt durch besseres Verständnis und mehr Vertrauen sowie effektives Handeln in diesem Drachenjahr auch gute Perspektive für die gemeinsame Zukunft in einer globalisierten Welt schaffen können.

 

  Die Autorin ist stellvertretende Direktorin des Deutschland-Forschungszentrums der Renmin-Universität  von China in Beijing