Die Rundhäuser der Hakka in der Provinz Fujian haben zwar Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO gefunden, ringen aber noch immer um ihre Stellung im modernen Alltagsleben.
Einzigartiger Zauber: Rote Laternen in den Gängen eines Tulou.
Im Südwesten der Provinz Fujian gibt es in abgelegenen Bergregionen Zehntausende dieser seltsamen Rundhäuser. Sie sind von dicken Erdwällen umgeben, errichtet aus Lehm, Bambus und Holz. Es gibt verschiedene Bautypen: kreisrunde, viereckige, sternförmige oder im Achteck angeordnet wie die Diagramme des Ying-Yang-Prinzips. Die Häuser werden „Tulou" (Erdbauten) genannt.
Die einzigartigen Bauwerke werden von Hakka bewohnt, Abkömmlinge jener zu den Han-Chinesen zählenden Volksgruppe, die in uralter Zeit aus der nordchinesischen Ebene in fünf Wanderbewegungen in ein Gebiet einwanderten, das heute Südostchina abdeckt. Sie haben viele alte Sitten und Gebräuche beibehalten. Mittlerweile sind die mehr als 100 Millionen Hakka überall auf der Welt anzutreffen, ein großer Teil der Überseechinesen vor allem in Südostasien gehört zu dieser Bevölkerungsgruppe.
Wegen ihrer einzigartigen Gestalt und ihres Erfindungsreichtums haben die Tulous der Provinz Fujian im Jahre 2008 Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO gefunden.
Die lokale Bevölkerung hält jedoch eine andere Erzählung darüber bereit, wie die Tulous zu internationaler Berühmtheit gelangt sind: Ein US-Spionagesatellit hätte eines Tages inmitten der Berge Fujians Bauwerke entdeckt, die wie Silos für Atomraketen aussahen. Die amerikanische Botschaft entsandte daraufhin den Militärattaché nach Yongding, wo sich schnell herausstellte, dass die vermeintlichen „Silos" nichts anderes als harmlose Traditionsbauten der Hakka waren!
Letztes Jahr kamen mehr als 1,8 Millionen Touristen in den Kreis Yongding. Das jährliche Durchschnittseinkommen der Bauern in der Region hat sich in den letzten vier Jahren auf 10 000 Yuan (rund 1210 EUR) verdoppelt.
Besondere Merkmale
Die interessanteste Ansammlung von Tulous findet sich in Zhangzhou, circa drei Autofahrtstunden von Xiamen entfernt.
Von einem herrlichen Turm inmitten von Terrassenfeldern am Fuße grüner Hügel können Touristen die Siedlung deutlich erkennen: lauter kreisrunde Gebäude und in ihrer Mitte ein einziges rechteckiges. Inmitten des frischen Grüns der Landschaft und reifer Kakifrüchte ist der Anblick der Tulous im Herbst besonders malerisch.
Nicht weit von hier gibt es zwei weitere sehr eindrucksvolle Tulous Chengqi Lou und Zhencheng Lou. Beides typische Rundbauten, vierstöckig und mit sechzehn Meter hohen Erdwällen versehen.
Chengqi Lou enthält vier Rundhäuser mit insgesamt 400 Räumen. Ein Ahnentempel befindet sich im Zentrum der Anlage. Es leben im Tulou mehr als 600 Menschen aus achtzig Familien. Jede Familie wohnt in einem vierstöckigen Segment. Der erste Stock dient als Wohn- und Aufenthaltszone, der zweite als Getreidespeicher, der dritte und vierte Stock beherbergt Schlafräume.
Errichtet im Talgrund, ist Zhencheng Lou von grünen Hügeln umgeben. Am Eingangstor befindet sich ein Teich. Die hübsche Szenerie nimmt jeden Besucher gefangen. Der Gebäudekomplex wurde nach dem Muster der acht Diagramme gestaltet und besteht aus acht gleichen Teilen auf zwei Ebenen mit 184 Räumen. Der Innenhof dient als Versammlungshalle, die mit einer Bühne für Opernaufführungen ausgestattet ist. Zhencheng Lou zeichnet sich durch besondere Merkmale aus. So besteht der Fußboden nicht aus Holzdielen, sondern aus schwarzen Ziegelsteinen, wodurch sich die Bewohner lautlos bewegen können.
Zudem ist jede Einheit der acht Diagramme durch eine Ziegelwand und ein Holztor von den übrigen Abteilungen getrennt. Wenn das Tor geschlossen wird, verfügt jede Familie über eigenen Hof und Wohnraum. Wenn die Tore geöffnet sind, verbinden sich die Abteile zu einem großen Ganzen. Dank dieser einzigartigen Konstruktion leben die Familien in weitgehender Harmonie auf relativ engem Raum.
Die meisten Bewohner des Chengqi Lou tragen den Familiennamen Jiang, während die meisten Leute aus dem Zhencheng Lou auf den Namen Lin hören. Unter den Berühmtheiten, die diese beiden Familien hervorgebracht haben, befinden sich zahlreiche Wissenschaftler, Beamte, Gelehrte und Geschäftsleute.
Lin Rigeng ist um die sechzig Jahre alt und ein Bewohner des Zhencheng Lou. Er ist der jüngste von sieben Geschwistern, die alle innerhalb Chinas oder nach Übersee verzogen sind. Er ist im Tulou zurückgeblieben, um sich um den Familienbesitz zu kümmern. Er lebt von Feldarbeit, rührt die Werbetrommel für die Tulous und arbeitet als Fremdenführer. Niemals gehen ihm die spannenden Geschichten über das Leben im Tulou aus. Den Touristen erklärt er die architektonischen Eigenheiten und den kulturellen Hintergrund der Bauwerke.
Im Zhencheng Lou gab es die Regel, dass die Plazenta eines Neugeborenen unter der Türschwelle vergraben wurde, um die Heranwachsenden daran zu erinnern, dass der Tulous ihre Wurzeln bewahrt, wo immer sie auch hingehen mögen, sagt Lin
Die Hakka siedelten in den Bergen, um der Kriegsgefahr zu entgehen. Deshalb legten sie großen Wert auf die Verteidigungsfähigkeit ihrer Siedlungen. Um sich vor wilden Tieren, Räubern und marodierenden Soldaten zu schützen, errichteten sie aus einer Mischung aus feinem Sand, Kalk und Erde hohe Mauern. Die stabile Konstruktion der Tulous kann Stürmen und Erdbeben widerstehen.
Die Geisteshaltung der Hakka findet ihren Ausdruck unter anderem in den paarweise angeordneten Hängebildern und Kalligraphien, auf denen Gedichte oder Sinnsprüche verewigt sind. So kann man etwa im Zhencheng Lou lesen: "Diene dem Land, lese klassische Schriften!"
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