15-12-2011
Wirtschaft 2011
Zehn Jahre in der WTO: Mit großen Schritten Richtung Öffnung
von Lan Xinzhen

Das Szenario, das Kritiker vor Chinas WTO-Beitritt zeichneten, war düster: Wichtige Schlüsselindustrien, vor allem die Automobilbranche, hätten bei einer Öffnung der Märkte kaum Chancen, sich gegen die internationale Konkurrenz zu behaupten und würden beträchtlichen Schaden nehmen, so die Prognose. Zehn Jahre danach zeichnet sich ein anderes Bild: Nicht nur internationale Unternehmen, auch die einheimische Industrie hat vom WTO-Beitritt enorm profitiert.

Auf derI nternationalen Automobilausstellung 2011 in Shanghai

Gute Aussicht von Außenhandel

Es war ein Tête-à-tête der ganz Großen der Branche: Auf der 9. Internationalen Automobilausstellung im südchinesischen Guangzhou, Provinz Guangdong, vom 22. bis 28 November drängten sich die internationalen Aussteller Stand an Stand, um dem chinesischen Publikum ihre neusten Modelle vorzuführen. Viele beeindruckten dabei mit Neuerungen, die sie speziell für den chinesischen Markt entwickelt hatten. Die internationale Automobilindustrie schenkt China heute mehr Aufmerksamkeit denn je.

Noch vor zehn Jahren wäre ein solches Szenario kaum vorstellbar gewesen. Das war, bevor China der Welthandelsorganisation beigetreten ist. 

Der 11. Dezember 2001 sollte ein denkwürdiger Tag werden, nicht nur für China sondern auch für die gesamte Weltgemeinschaft: China trat der WTO bei. Was folgte, war ein nie dagewesenes Mammutprogramm der chinesischen Regierung zur Öffnung der Märkte, von dem nicht nur die Automobilbranche profitierte. Importzölle wurden drastisch gesenkt, der Zollsatz für eingeführte Kraftfahrzeuge beispielsweise sank von 80 auf 25 Prozent,  der Zollsatz auf Komponenten wurde von 35 auf 10 Prozent reduziert. Auch die Quotenbeschränkungen für importierte Autos wurden abgeschafft. 

Für die internationale Automobilindustrie brachte das nie dagewesene Chancen: Ausländische Modelle waren für chinesische Kunden plötzlich zu marktorientierten Preisen erhältlich und wurden damit für eine steigende Zahl von Verbrauchern auf dem chinesischen Festland erschwinglich. „Es ist Wahnsinn, was wir auf dem chinesischen Automarkt für einen Boom erleben", kommentiert Rao Da, Generalsekretär der Chinesischen Verbandes für Personenkraftwagen die Entwicklung. 

Seit 2001 hat das Absatzvolumen von Autos in China Jahr für Jahr zugenommen. Zahlreiche ausländische Produzenten drängten auf den chinesischen Markt. Dabei wird der Industriezweig auch durch inländisches Kapital gepäppelt. Auch immer mehr heimische Marken etablieren sich. Allein 2010 wurden in China insgesamt 18 Millionen Fahrzeuge verkauft, achtmal soviel wie 2001. Das ist weltweiter Rekord.

Als China in die WTO eintrat, war das Land ein Zwerg, was die Produktionszahlen in der Automobindustrie betraf. In China rollten nur weniger als ein Sechstel der Fahrzeuge vom Band, die in den USA die Fabriken verließen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute hat China die USA längst überholt, die Produktionsmenge an Neuwagen liegt mehr als doppelt so hoch wie in den Vereinigten Staaten. 2001 lag der Gesamtproduktionswert der chinesischen Automobilbranche noch bei rund 443,3 Milliarden Yuan, umgerechnet rund 52,3 Milliarden Euro, 2010 erreichte er mit 4,34 Billionen Yuan (511,6 Milliarden Euro) bald das Zehnfache.  

Mit solchen Wachstumszahlen hatten selbst die Großen der Branche nicht gerechnet. China rückte mit einem Schlag ins Zentrum des Interesses der gesamten Branche und wurde zum weltweit wichtigsten Absatzmarkt. Und noch immer ist kein Ende des Booms in Sicht. Selbst Luxusmarken wie Bentley, Benz und Cayenne fahren weiter satte Gewinne ein.

 

Von der internationalen Konkurrenz profitieren

Dabei hatten chinesische Medien 2001 katastrophale Folgen des WTO-Beitritts für die inländische Industrie prophezeit, insbesondere für die nationale Automobilbranche. Skeptiker schürten die Sorgen, die umfangreichen Zollreduzierungen würden ausländischen Automobilkonzernen Tür und Tor öffnen, den chinesischen Markt mit ihren Produkten zu überschwemmen. Mit desaströsen Folgen für einheimische Hersteller.

Aber die Katastrophe blieb aus. „Stattdessen haben wir gesehen, wie sich der Markt in rasender Geschwindigkeit entwickelt hat, viel schneller, als wir es erwartet hatten", sagt Rao.

Die hohen Zölle hatten zuvor nicht nur ausländische Konzerne bei der Erschließung des chinesischen Marktes behindert, sondern auch Chinas rückständige Autoindustrie zusätzlich gelähmt. Durch die Öffnung der Märkte sind zahlreiche ausländische Unternehmen mit ihren Modellen auf den chinesischen Binnenmarkt gedrängt. Ein Wettbewerb, der Chinas Kunden zugute kommt. Heute buhlen die Großen der Branche mit neusten Modellen um die Gunst der chinesischen Verbraucher.  

Ein netter Nebeneffekt: Die Konzerne investieren nicht nur, sie bringen auch fortschrittliche Technologien und Management-Know-how ins Land, wovon die inländische Automobilbranche enorm profitiert.

 „Vor dem Beitritt kamen vor allem Befürchtungen auf, die WTO-Mitgliedschaft könne Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie, der Landwirtschaft und dem Finanzsektor schaden", erklärt Zhang Yansheng, ehemaliger Direktor des Instituts für Außenwirtschaftforschung der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission. China sei der internationalen Konkurrenz nicht gewachsen, fürchteten die Kritiker. Aber die Sorgen erwiesen sich als unbegründet: Den Branchen gelang es, innerhalb des offenen marktorientierten Umfeldes ihre ganz eigenen Wettbewerbsvorteile herauszubilden. 

Von der Öffnung hat letztlich die gesamte Branche profitiert, inländische wie ausländische Unternehmen. 

Im Wettbewerb mit der ausländischen Konkurrenz haben die chinesischen Unternehmen sich als äußerst flexibel erwiesen. „China hat in den vergangenen zehn Jahren den Weg der Förderung von Reform und Entwicklung durch zunehmende Öffnung des Landes beherzt angegangen", sagt Vize-Handelsminister Yu Jianhua. Innerhalb von nur drei Jahren habe man Gesetze und Vorschriften dem WTO-Regelwerk angepasst. „Insgesamt hat die Regierung 90 000 Gesetze und Verordnungen geändert bzw. aufgehoben", sagt Yu.

China hat damit seine Versprechen gegenüber der WTO erfüllt: Zollraten und nicht-zollgebundene Handelsmechanismen wurden geändert und der Dienstleistungssektor geöffnet. „Die inländischen Gesetze und Regelungen sind nach den Änderungen heute konform mit dem Regelwerk der WTO", so Yu.   

China sei es gelungen, die Marktorientierung zu beschleunigen und ein stabileres, transparenteres und offeneres Handelssystem zu etablieren. „Durch die konsequente Öffnung haben wir das wirtschaftliche Umfeld unseres Landes deutlich verbessern können", sagt Yu. „Bei der Anerkennung der Grundsätze von Nichtdiskriminierung, Transparenz und fairem Wettbewerb wurden enorme Fortschritte erzielt. Auch beim Bewusstsein für marktwirtschaftliche Orientierung, Rechtsstaatlichkeit und bei der Gesetzgebung zum Schutz geistiger Eigentumsrechte schreiten wir mit großen Schritten voran." 

Im letzten Jahrzehnt hat sich China schneller entwickelt als je zuvor seit Gründung der Volksrepublik 1949. Nie war der wirtschaftliche Austausch zwischen China und dem Ausland intensiver. 

„Im Schnitt haben wir in den letzten zehn Jahren jährlich Waren im Wert von 750 Milliarden Dollar eingeführt, umgerechnet rund 561,7 Milliarden Euro. Allein dadurch wurden im Ausland mehr als 14 Millionen Arbeitsplätze geschaffen", resümiert Yu.

Gleichzeitig hat sich China in den vergangenen zehn Jahren aktiv an der Durchführung der Maßnahmen zur Handelsförderung und Hilfe für das Ausland beteiligt, etwa in den Bereichen Infrastruktur, öffentliches Bauwesen, soziale Einrichtungen, Landwirtschaft, Medizin und Bildung. Durch seine Initiative hat China vor allem die am wenigsten entwickelten Länder der Welt unterstützt, sich aktiv am globalen Handel zu beteiligen.

Der WTO-Beitritt hat auch die Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft in China gefördert. „In der Planwirtschaft wurde die Wirtschaft durch Regierungspapiere verwaltet. Jetzt wird sie durch Gesetz und Regelungen gesteuert. Offenheit und Transparenz sind dabei zu den zentralen Prinzipien der Regierungsarbeit geworden. Das gilt für alle Ebenen, sowohl für Zentralregierung als auch die lokalen Regierungen", erklärt der Minister.

 

Den Blick in die Zukunft richten

Zehn Jahre nach dem WTO-Beitritt feiert China das Jubiläum seiner Mitgliedschaft  und zieht Bilanz. Seit Beginn des Jahres häufen sich Feierlichkeiten und Symposien anlässlich des WTO-Jubiläums. „Wichtiger als der Rückblick auf die vergangenen Entwicklungen ist der Blick in die Zukunft und die Frage, wie es weitergehen soll", erklärt Miao Jianmin, Vorsitzender des Versicherungsunternehmens China Life Asset Management.

Zwar habe China seine Gesetze und Vorschriften den WTO-Richtlinien angepasst, bei der ordnungsgemäßen Umsetzung der Maßnahmen aber hapere es noch immer an vielen Stellen, so Miao. „Zudem sollte China parallel zur weiteren Öffnung auch Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen. Hier müssen wir aus der Vergangenheit lernen, etwa der Finanzkrise in Asien 1997 und der globalen Finanzkrise 2008", sagt der Wirtschaftsexperte.

 Chinas Finanzbranche habe sich durch die Erweiterung der virtuellen Wirtschaft rasant entwickelt. Jetzt müsse China die Beziehungen zwischen der Realwirtschaft und der virtuellen Wirtschaft besser verstehen lernen. „Wir sollten hier von den Erfahrungen anderer Länder profitieren, etwa der EU", sagt Miao.

 „In Zukunft sollte China sich noch aktiver an den Doha-Verhandlungen und den Reformanstrengungen der Weltgemeinschaft im Bereich des internationalen Handels-, Finanz- und Währungssystems beteiligen und der Welt noch mehr öffentlich zugängliche Produkte anbieten", sagt Zhang Yansheng.

 Der 12. Fünfjahresplan der Regierung für den Zeitraum von 2011 bis 2015 sieht vor, die Im- und Exporte noch weiter zu steigern. Auch soll noch mehr ausländisches Kapital nach China fließen. Gleichzeitig plant die Regierung, die Investitionen im Ausland auszuweiten. Auch der Außenhandel soll ausgewogenerer werden. „Wir werden alles daran setzen, den internationalen Austausch und die Arbeitsteilung weiter zu stärken. Wir wollen einer der wichtigsten Absatzmärkte der Welt werden", so Zhang.

 Eines scheint sicher: China wird die Öffnung seiner Märkte auch in Zukunft weiter vorantreiben, ganz gleich mit welchen Herausforderungen sich das Land konfrontiert sieht. Nur durch eine weitere Öffnung sei eine nachhaltige Entwicklung für China realisierbar, erklärte E Defeng, stellvertretender Direktor der Abteilung für WTO-Angelegenheiten des Handelsministeriums, bei einer Pressekonferenz am 21. November. Das Handelsministerium werde die nötigen Richtlinien ausarbeiten, um die weitere Öffnung des Landes voranzutreiben.