07-12-2011
Hintergründe
Kommentare zu Chinas Beitritt zur WTO

Was das Thema WTO angeht, haben die Chinesen gemischte Gefühle: neben dem sehnsüchtigen Wunsch ist sorgfältiges Vorgehen bestimmend. Als sich die Nachricht, daß China und die USA eine Vereinbarung über Chinas Beitritt zur WTO erzielt hatten, verbreitete, waren die meisten Chinesen jedoch voller Freude.

 

Chinesische und ausländische Korrespondenten in gespannter Erwartung am 15. November 1999 nach der Unterzeichnung der Vereinbarung über Chinas Beitritt zur WTO im Ministerium für Außenhandel und wirtschaftliche Kooperation. Foto: Gao Xueyu

 

 

Ein Zeitungsautomat zeigt ein Foto auf der Titelseite der ,,Washington Times": die chinesischen und amerikanischen Verhandlungsvertreter nach der Unterzeichnung. Foto: Xin Hua

Der Beitritt zur WTO trägt zur Vertiefung der Reform bei

Li Xiaoxi, ein chinesischer Wirtschaftsexperte, sagte: Auf lange Sicht gesehen, trägt der Beitritt zur WTO zur Reform und Entwicklung Chinas bei. Die chinesische Reform hat bereits einen 20 Jahre langen Weg zurückgelegt und befindet sich gegenwärtig wieder in einem entscheidenden Moment. Die Lösung aller tiefsitzenden Widersprüche erfordert eine gründlichere Reform. Der Beitritt zur WTO wird den staatseigenen Unternehmen und Monopolbranchen große Impulse geben, ihre Reform zu beschleunigen, sich der internationalen Konkurrenz auszusetzen und das Betriebsführungs- und Dienstleistungsniveau zu erhöhen.

Wu Zhengzhang, außerordentlicher Wissenschaftsrat des Forschungs- und Entwicklungszentrums beim Staatsrat, stellte fest: Nach der 20jährigen Reform und Öffnung verschmilzt China allmählich mit der Weltwirtschaft, wobei inzwischen etwa 40% des chinesischen Außenhandels von der Weltwirtschaft abhängt. Der Beitritt zur WTO und die Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung und Kooperation werden für die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft ein noch stabileres äußeres Umfeld schaffen. Kurzfristig werden chinesische Wirtschaftsbranchen wie die Automobil-, pharmazeutische und chemische Industrie, die Landwirtschaft und Dienstleistungsbetriebe nach dem Beitritt mit dem Druck der Konkurrenz konfrontiert sein; aber auf lange Sicht gesehen, trägt die Handelsund Investitionsliberalisierung für China noch mehr dazu bei, die in- und ausländischen Märkte und Ressourcen zu nutzen und die Niveauhebung der Wirtschaftsstruktur zu fördern. Noch wichtiger ist, daß China mit Hilfe der Mechanismen für die Lösung multilateraler Streitigkeiten im großen und ganzen seine eigenen Rechte und Interessen schützen können wird.

Liang Youcai, Chefwirtschaftsexperte des chinesischen Wirtschaftsinformationsnetzes, teilte die Meinung, daß der Beitritt zur WTO ,,mehr Vor- als Nachteile bringen wird". Er sagte: Der Beitritt zur WTO wird unvermeidlich den chinesischen Export fördern und die Verbesserung des Exports wird sicher das Wachstum der Wirtschaft als ganzes beschleunigen. Schätzungsweise wird die chinesische Wirtschaft im nächsten Jahr (7,5%) schneller als in diesem Jahr (etwa 7%) wachsen.

Ein Verantwortlicher der chinesischen Dachgesellschaft für die petrochemische Industrie, äußerte, es sei unausweichlich, daß die petrochemische Branche nach dem Beitritt zur WTO ihren Markt öffnen und die Preise herabsetzen werde. Die Öffnung des Einzel-und Großhandelsmarktes nach drei bis fünf Jahren z. B. werde für die einheimische petrochemische Branche eine kritische Herausforderung bilden. Diese Branche habe im letzten Jahr bereits Maßnahmen ergriffen, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern, die technische Umgestaltung zu beschleunigen, die Kosten zu reduzieren und den Marktanteil zu erhöhen, um so für den fremden Wettbewerb gewappnet zu sein. ,,Da der Schutz durch die Regierung nur zeitweiliger Natur ist, müssen wir auf lange Sicht mittels unserer eigenen Stärke mit der Konkurrenz fertig werden", sagte dieser Verantwortliche. Dr. Zhang Xiaoji, Leiter der Außenwirtschaftsabteilung des Entwicklungs- und Forschungszentrums beim Staatsrat, stellte fest, daß nach dem Beitritt zur WTO die Unternehmen mit Außenhandel in der Umstrukturierung der chinesischen Wirtschaft eine noch wichtigere Rolle spielen werden. Die Entwicklungsstrategie ,,Zunächst das tun, was getan werden kann", die von der chinesischen Regierung zur Anleitung der Entwicklung der staatseigenen Wirtschaft aufgestellt worden sei, entspreche nicht nur dem Trend der Globalisierung der Wirtschaft, sondern habe auch ausländischen Investoren mehr Gelegenheiten zur Entwicklung gegeben. In den Bereichen, die Zutritt zum chinesischen Markt haben werden, und in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung werden Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung über die Bedingungen verfügen, sich an der Versteigerung von staatseigenen Unternehmen oder durch Fusion oder Aufkauf an der Reform der letzteren zu beteiligen.

China in der Vorbereitung

Experten aus der Staatlichen Planungskommission und dem Informationsministerium äußerten, daß China bereits früh Vorkehrungen für den Beitritt zur WTO getroffen habe. Die wichtigste politische Maßnahme sei, das Bank-, Versicherungs- und Fernmeldewesen, die Erdölbohrung und -förderung, die Erdgaserschließung und -beförderung, die Computerherstellung, den Strom-und -Übertragungsmarkt sowie diesbezügliche Industrien bevorzugt im nordwestchinesischen Gebiet in alle Richtungen zu öffnen. Nach dem Beitritt zur WTO werde China bevorzugt seine Westgebiete nach außen öffnen, was für die landesweiten Monopolbranchen keine sofortige tödliche Bedrohung darstellen werde. Zugleich könne die Einfuhr ausländischen Kapitals in westliche Landesteile chinesische Fabriken und Firmen veranlassen, sich dem internationalen Wettbewerb auf dem einheimischen Markt anzupassen.

Shen Si, Mitarbeiter der Shanghaier Pudong-Entwicklungsbank, die vor kurzem an der Shanghaier Wertpapierbörse notiert worden ist, erklärte, von Aktienhandelsbanken wie seiner Bank aus gesehen, habe die Unterzeichnung des chininesisch-amerikanischen Abkommens über Chinas Beitritt zur WTO für die Entwicklung der Handelsbanken neue Chancen geschaffen und zur Integration der einheimischen Finanzinstitutionen mit dem internationalen Finanzsystem beigetragen. ,,Druck ist eine gute

Sache. Die Pudong-Entwicklungsbank will in Zukunft eine Handelsbank erster Klasse werden", so Shen. Ein Angestellter der Chinesischen Aufbaubank wies darauf hin, daß die einheimischen Banken niemals vollständige Vorbereitungen treffen würden, solange keine Frist gesetzt würde. Die Chinesische Aufbaubank habe bereits seit langem Vorbereitungen getroffen, einschließlich Risikomanagement und interner Anreizmechanismen.

Meng Qingfu, Direktor der Beijing-Filiale der Bank of China, ist der Ansicht, vom Bankgeschäft her gesehen, bestünde, was Chinas Anschluß an den Weltfinanzmarkt angehe, noch eine große Kluft, und der Druck sei enorm. Die Bank of China habe sich bereits der internationalen Konkurrenz ausgesetzt und entfalte weltweit ihre verschiedenen Geschäfte. ,,Wir werden den Geschäftsbereich erweitern und lernen in der Geschäftsführung stetig auf dem internationalen Markt." Shi Yilun, Generaldirektor der Im- und Exportgesellschaft für Nahrungsmittel der Provinz Guangdong (Gruppe), sagte: In den letzten Jahren wickelte unsere Gesellschaft nach dem Prinzip des Markteintritts und nicht nach dem Lizenzprinzip Geschäfte ab. Nach der Unterzeichnung der bilateralen Vereinbarung zwischen China und den USA soll eine große Anzahl von amerikanischen Produkten auf den chinesischen Markt gebracht werden. Obwohl die USA eine entwickelte Landwirtschaft und günstige Agrarprodukte haben, haben wir asiatische Nahrungsmittelprodukte chinesischer Prägung, die nach wie vor unsere Stärke sind. Wir müssen das Bewußtsein für Markenprodukte pflegen, eigene bekannte Marken schaffen und die Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte verstärken.

Zhang Shiduan, Generaldirektor der chinesischen Seite der Citroen Automobile Co. Ltd., ein chinesisch-französisches Joint Venture, das PKWs der Marke ,,Fukang" herstellt, sagte, der WTO-Beitritt werde die chinesische Automobilindustrie in eine Phase historischer Umwälzung eintreten lassen, die für die Regulierung des Automobilsystems und -struktur sehr günstig sein werde. Durch die schärfere Konkurrenz auf dem Markt könnten Produkte schlechter Qualität und Leistungsfunktion ausgeschieden werden, wodurch die chinesische Automobilindustrie veranlaßt werde, sich auf eine höhere Stufe zu entwickeln.

Begeistertes Echo vonseiten amerikanischer Investoren

Richard Latham, Vorsitzender der amerikanisch-chinesischen Handelskammer, der AmCham-China, sagte: ,,Die amerikanischen Handelskreise in China sind über diesen Deal sehr erfreut und begeistert."

John Sullivan, Vizevorsitzender der AmCham-China und Anwalt der amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei Baker & McKenzie, stellte fest: ,,Die Stabilität und Voraussicht, die mit Chinas Beitritt zur WTO gewährleistet werden, können offensichtlich dazu beitragen, daß amerikanische Firmen mehr Investitionen in China anlegen werden."

In einer Erklärung äußerte General Motors, der größte ausländische Investor in China,: ,,In Anbetracht des Umfangs der chinesischen Wirtschaft und deren Einfluß auf das Welthandelssystem entspricht der Eintritt Chinas ins multilaterale Handelssystem den Interessen aller Menschen."

Michael Chen, Vorsitzender von Lucent Technologies (China), erklärte: ,,Lucent ist über die Handelsgelegenheiten, die die bilaterale Vereinbarung zwischen China und den USA mit sich bringen wird, erfreut und begeistert."

Die Motorola Inc. (China) äußerte: ,,Über unsere eigenen Interessen eines wichtigen Investors und Exporteurs hinausgehend und von der Tatsache ausgehend, daß das Land mit der größten Bevölkerung in der Welt alle Kraft für die WTO einsetzen wird, glauben wir, daß die Vereinbarung für die gesunde Entwicklung des internationalen Handels von großer Bedeutung ist."

Jim Jarret, Generaldirektor der Intel (China), beschrieb die Vereinbarung mit den folgenden Worten: Die Vereinbarung ,,ist ein wichtiger Fortschritt und kann China eine breitere Basis dafür liefern, daß es in Zukunft in der Weltwirtschaft eine noch größere Rolle spielen wird. Sie wird unseren Kunden Vorteile bringen und die Investitionen ausländischer Firmen in China weiterhin fördern".

Philip M. Condit, Vorstandsvorsitzender und Chefexekutivbeamter der amerikanischen Boeing Co., gab in Seattle eine unterstützende Erklärung über Chinas Beitritt zur WTO ab und sagte, daß die Vereinbarung den Völkern der beiden Länder, Chinas und der USA, eine gute Chance für die Schaffung einer noch schöneren Zukunft gebe, einen noch breiteren Markt für ausländische Firmen eröffne, die in China investieren, und die gesunde Entwicklung der Weltwirtschaft fördern werde.

Wie sehen die Sorgen der einfachen Menschen aus?

Am Nachmittag des 15. November, als die bilaterale Vereinbarung zwischen China und den USA gerade geschlossen worden war, führte die Chinesische Geschäftsstelle für gesellschaftliche Erhebungen sofort eine telefonische Umfrage durch und erhielt 1156 gültige Antworten.

Die Umfrage zeigte, 94,5% der chinesischen Bürger sind der Ansicht, daß die Unterzeichnung der Vereinbarung wie ,,strömendes Wasser, das sich mit der Zeit ein Bett gräbt" sei. Der Beitritt Chinas zur WTO sei eine historische Notwendigkeit; 98,9% teilten die Meinung von Ministerpräsident Zhu Rongji, die er während seines USA-Besuches äußerte, nämlich daß der ,,Beitritt Chinas zur WTO ebenfalls den Interessen des chinesischen Volkes entspricht".

Die Erhebung demonstrierte, 80% der Befragten sind der Ansicht, daß nach dem Beitritt zur WTO der Importzoll Chinas heruntergesetzt und die Lage für die Verbesserung des Lebensstandards des Volkes günstig sein werde; 87% äußerten, das Befriedigendste sei, daß nach dem Beitritt Chinas zur WTO die Konsumentenmassen mehr Vorteile bekommen würden.

Taxifahrer Liu Baochun sagte, was ihn nach dem Beitritt Chinas zur WTO am meisten beeinflussen werde, sei vielleicht die Preissenkung für Autos. Die Taxis in Beijing sollen dann auch durch neue ersetzt werden. ,,Ich werde auch ein neues Auto kaufen." Allerdings könne dies eine ziemlich lange Zeit in Anspruch nehmen, aber es gebe letztendlich gute Aussichten auf die Zukunft.

Frau Xie Hui, Ladenangestellte für Telekommunikationsprodukte, sagte: Als ich diese Nachricht im Fernsehen sah. war meine erste Reaktion, daß mehr ausländisches Kapital in den chinesischen Markt strömen und dies für die einheimische Telekommunikationsindustrie noch mehr Schwierigkeiten bedeuten werde, genau wie sich auch die gegenwärtige Lage zeigt — von China hergestellte Mobiltelefone z. B. können sich mit Produkten von Motorola und Nokia kaum messen.

Frau Wang, Verkäuferin des Nordstar-Kaufzentrums, sagte: Ich verkaufe hier elektrische Geräte. Nehmen wir Fernseher als Beispiel. Auf dem einheimischen Markt hat sich die Konkurrenz bereits voll entwickelt, die Qualität der von China hergestellten Produkte ist zuverlässig und ein umfassendes Servicesystem ist vorhanden. Nach dem Beitritt Chinas zur WTO wird der Preis für importierte Fernsehgeräte sinken, aber ihr Kundendienst wird mit der Zeit nicht Schritt halten können. Deshalb werden sie den Absatz einheimischer Unternehmen nicht stark beeinträchtigen.

Herr Han, Aktionär, sagte, die Nachricht, daß China und die USA diese Vereinbarung unterzeichnet haben, mache ihm nichts aus. In seinen Augen werde der Beitritt zur WTO sich auf dem Aktienhandel günstig auswirken, zumindest werde man die Aktien der Industrien, auf die sich der Beitritt zur WTO besonders auswirken wird, in Zukunft noch umsichtiger handeln, denn es sei schließlich in der Tat kein gutes Gefühl, wenn einem erst einmal die Schlinge um den Hals gelegt werde.

Obstverkäufer Lu Liru: Ich verkaufe importiertes Obst, und mein Stand ist der am wenigsten frequentierte im Laden. Die hohen Kosten und Zolltarife machen die Verkaufspreise für importiertes Obst zu hoch, was das Konsumniveau der einfachen Menschen übersteigt. Nach dem Beitritt zur WTO werden die Preise fallen, und amerikanisches Obst wird nicht mehr so teuer sein.

Zhu Qinghua, Mitarbeiter auf dem Auto-Markt im Asian Games Villages in Beijing, erklärte: Da ich mich mit dem Verkauf von Autos beschäftige, schenke ich dem Einfluß Chinas Beitritts zur WTO auf die Automobilindustrie besondere Aufmerksamkeit. Ich weiß, daß der Importzoll für Autos allmählich herabgesetzt wird. Aber ich hoffe, daß dieser Tag möglichst spät kommen wird, weil meine Firma gerade erst eine Anzahl von japanischen Personenwagen beim Zoll deklariert hat. Wenn die Preise jetzt sofort sinken, können wir die daraus verursachten Verluste nicht tragen. Hier kann man ersehen, daß Manager und Konsumenten unterschiedliche Ansichten haben, was die WTO-Vereinbarung angeht.

Die ,,Beijinger Jugendzeitung", eine Zeitung mit einer großen Anzahl von Abonnenten, eröffnete am 16. November eine Hotline für ,,Chinas Beitritt zur WTO". Fast alle Leser, die diese Nummer wählten, wollten wissen, welche Auswirkungen der Beitritt auf Chinas Wirtschaft ausüben wird.

Zhang Jianhua, ein Student, fragte, ob der Beitritt die Beschäftigung der Studenten stark beeinträchtigen wird?

Herr Jiang, Mitarbeiter des Chinesischen Forschungsinstituts für Topographie und Kartographie, wollte wissen, was für Aussichten und was für Ermahnungen Ministerpräsident Zhu Rongji den einfachen Menschen im Land nach Chinas Eintritt in die WTO geben wird?

Wang Wei, Hotelangestellter, wollte erfahren, wieviel Verhandlungen China für seinen formellen Beitritt zur WTO noch benötigen wird? Könne der Beitritt die Entwicklung Chinas Zentral- und Westgebiete beschleunigen?

Li Bin, Computerfan, fragte, ob es zu einer heftigen Konkurrenz zwischen dem Beijinger Zhongguancun-High-Tech-Park und der US-Silicon-Valley nach dem Beitritt zur WTO kommen wird?

Zhao Li, Grundschullehrer, fragte, ob die Erschließung neuer Industrien nach dem Beitritt zur WTO in den Brennpunkt des Interesses rücken werde? Wird dies den einfachen Menschen neue Beschäftigungsmöglichkeiten bringen?

Statistiken der Hotline zufolge sind 80% der Leser bezüglich Chinas Beitritt zur WTO voller Zuversicht; 75% wünschen sich mehr Informationen über den Inhalt relevanter Paragraphen der WTO-Vereinbarung; 72% hegen Zweifel bezüglich des Einflusses auf einige Industrien nach dem Beitritt zur WTO. (Quelle: Beijing Rundschau, 1999, Nr. 49)