11-10-2011
Lebensgeschichten
„Wir wollten auch die Stimmen hören, die bei uns nicht gehört werden“
von Matthias Mersch

Der Generalsekretär des Goethe-Instituts Hans-Georg Knopp im Gespräch mit der Beijing Rundschau über eine ungewöhnliche Buchreihe und was zu tun ist, damit sich Kulturen ein wenig weniger fremd sind.

Hans-Georg Knopp, Generaldirektor des Goethe-Instituts, am 11. September 2011 in Beijing (Foto: Matthias Mersch)

Am 11. September 2011 wurde im Café Kubrick im exklusiven Neubauviertel MOMA in Beijing der dritte Band der Buchreihe POSITIONEN vorgestellt: „Zeitgenössische Künstler aus China". Die im Steidl-Verlag verlegte Reihe wird vom Goethe-Institut und von der Akademie der Künste in Berlin herausgegeben, die jeweils durch Hans-Georg Knopp und Johannes Odenthal vertreten sind. Positionen III: „Zeitgenössische Künstler aus China" enthält Beiträge zum zeitgenössischen Schaffen chinesischer Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Theater, Tanz, Musiktheater, Literatur und Film.

Hans-Georg Knopp, der als Generalsekretär des Goethe-Instituts neben dem kaufmännischen Direktor den Vorstand des Instituts bildet und für dessen inhaltliche Ausrichtung verantwortlich ist, reiste zur Präsentation des Bandes aus dem Münchner Hauptquartier des Goethe-Instituts an. Der Reporter der Beijing Rundschau nutzte die Gelegenheit für ein Gespräch mit ihm über das Konzept der Buchreihe und aktuelle Tendenzen in der Vermittlung fremder Kulturen.

 

Beijing Rundschau: Wenn man von Kulturvermittlung im Ausland spricht, denkt man meistens an eine Roadshow mit Künstlern oder Filmen. Die Buchreihe POSITIONEN kehrt die Verhältnisse um: Statt über deutsche Kultur im Ausland zu informieren, bietet sie einen Überblick über die Kultur ausgewählter Gastländer des Goethe-Instituts. Bislang sind Bände über Südafrika und die Türkei erschienen, der neueste Band präsentiert nun China.

Aufklärungsarbeit im eigenen Land über fremde Kulturen zu betreiben, finde ich vernünftig, weil trotz medialer Überpräsenz doch letztlich wenig darüber bekannt ist, was Künstler in ihrer jeweiligen Gesellschaft umtreibt. Welche Überlegungen liegen der Reihe POSITIONEN zu Grunde?

Hans-Georg Knopp: Wir wissen oft sehr gut über vergangene Kulturen Bescheid. Dafür haben wir die großen ethnologischen Museen, Museen für islamische Kunst, indische Kunst, japanische und chinesische Kunst. Aber über das zeitgenössische Kunstleben dieser Länder wissen wir nichts. Dahinter steckt das Vorurteil, dass es eine zeitgenössische moderne Kunst nur im Westen, in Europa und den USA gäbe. Heutzutage sollten wir aber alle wissen: Es gibt eine Moderne in China, in Indien, in Brasilien! Aber wir wissen zu wenig über sie. Nur sehr selten finden Ausstellungen, Filme oder Tanzprojekte aus diesen Ländern den Weg nach Europa. Wenn das Goethe-Institut einen Dialog führen will, dann hat es auch die Aufgabe, die Menschen in Deutschland über das zeitgenössische Kulturleben etwa in Polen, China und Ägypten zu informieren.

 

Bei der Präsentation haben Sie einen Band über den deutschen Kulturbetrieb erwähnt, der in Vorbereitung sei. Befindet sich also auch die Vermittlung deutscher Kultur in Deutschland in einem Notstand?

Nein, aber die Reihe erscheint in Kooperation mit der Akademie der Künste in Berlin. Die Akademie bringt diesen Deutschlandband als Antwort auf die Positionen aus dem Ausland ein. Darin steht die Frage im Vordergrund, wie wir zu den Kulturen aus der Ferne stehen. Es werden deutsche Künstler nach ihrem Verhältnis zur Außenwelt befragt, nach aktuellen Einflüssen, denen sie sich aussetzen.

 

Vielleicht gibt es regional unterschiedliche Ausformungen in den Künsten der Welt, aber eben auch einen großen Gleichmacher, den Kunstmarkt. Der zieht in Form neuer Biennalen mittlerweile in die Welt hinaus. Oder traditionelle Veranstaltungen, die wie die Biennale von São Paulo seit Jahrzehnten bestehen, geraten in den Fokus einer europäischen Öffentlichkeit. Ist dies sie eine Tendenz, die zur Vereinheitlichung führt oder dazu führt, dass Unterschiede im Kunstschaffen verschiedener Länder stärker herausgearbeitet werden?

Ich glaube, das ist auch ein Problem der Wahrnehmung, eine der ganz großen Fragen bei der Reihe Positionen. Wir wollten auch die Stimmen hören, die im Land wichtig sind, aber bei uns nicht gehört werden. Zum Beispiel, weil die Künstler kein Englisch sprechen. Das ist ein wesentlicher Punkt: wer Englisch spricht, macht sich hörbar, wird international wahrgenommen. Wer nur Chinesisch spricht, wer nur Arabisch spricht, wird bei uns einfach nicht wahrgenommen. Mit der Reihe Positionen wollten wir das durchbrechen. Deshalb haben wir immer mit einheimischen Künstlern, Interviewern und Kuratoren zusammengearbeitet, um herauszufinden, wer für die jeweilige Kultur wichtig ist. Wir haben großen Wert darauf gelegt, in diesem Buch auch diejenigen vorzustellen, die bei uns nicht wahrgenommen werden, aber für die chinesische Kultur wichtig sind. 

 

Ketzerisch gefragt, Wie misst sich die Wichtigkeit eines Künstlers? Lässt sie sich ablesen an der Zahl von Erwähnungen in Zeitschriften, an Verkaufsziffern? Es gibt ja die wunderbare Statistik, wer ist der Künstler mit dem größten Marktwert in der Welt.

Bei jedem Band war das ein langer Diskussionsprozess mit denjenigen, mit denen wir den Band konzipiert haben. Allein für China hätte man drei, vier Bände machen können und wahrscheinlich immer noch nicht genug Künstler vorgestellt. In gewisser Weise ist das eine subjektive Auswahl. Aber vielleicht ist es ein Anfang, um zu zeigen, es gibt in China mehr als die zwei, drei Künstler, die wir wahrnehmen.

 

Wobei sich Bekanntheit ja auch im Spiegel des Auslandes misst. Es findet eine Rückprojektion ins eigene Land statt.

Wir haben eine Art von Mischung gefunden. Wir wollten nicht diejenigen drin haben, die sehr oft im Ausland publizieren oder sehr oft im Ausland sind. Es gibt ja einige Künstler, über die jede zweite Woche etwas in der Zeitung steht.

 

Mo Yan ist im Band allerdings auch vertreten, und der ist natürlich sehr bekannt im Ausland!

Man muss natürlich auch solche Künstler berücksichtigen, aber Sie haben natürlich Recht, diese Auswahl folgt nicht unbezweifelbaren Kriterien, das stimmt! Die Aussagen dieser Künstler sind auch nicht als offizielle Positionen zu werten. Es sind auch keine allgemeinen Beschreibungen. Wir haben die Künstler nach ihrer subjektiven Meinung befragt, wir wollten ihre ganz persönlichen Perspektiven dokumentieren.

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