Professor Rudolf G. Wagner,geschäftsführender Direktor des Exzellenzclusters „Asien und Europa im globalen Kontext" der Universität Heidelberg
Dr. Henrik Jäger vom Institut für Philosophie der Universität Hildesheim
In einem am 6. September veröffentlichten Weißbuch der chinesischen Regierung ist „friedliche Entwicklung" ein zentraler Begriff. Darin heißt es, China habe mehrfach vor aller Welt erklärt, dass es unbeirrbar einen Weg der friedlichen Entwicklung gehe und sich bei der eigenen friedlichen Entwicklung gleichzeitig um die Wahrung des Weltfriedens und um die Prosperität aller Länder bemühe.
Der Begriff „friedliche Entwicklung" hat sowohl mit chinesischer Geschichte und traditioneller chinesischer Philosophie, als auch mit der aktuellen Situation in China zu tun, meinen die deutschen Sinologen Rudolf G. Wagner aus Heidelberg und Henrik Jäger vom Institut für Philosophie der Universität Hildesheim.
Eine vernünftige Strategie friedlicher Entwicklung
Rudolf G. Wagner, geschäftsführender Direktor des Exzellenzclusters „Asien und Europa im globalen Kontext" der Universität Heidelberg, ist der Meinung, dass es bei der Verschiebung der Kräfte zwischen Staaten verschiedene Strategien gebe. Die militärische Konfrontation sei eine davon, wie die Beispiele Deutschland und Japan lehrten. Aber die Ergebnisse seien ja ganz offensichtlich alles andere als optimal gewesen. China habe in den letzten dreißig Jahren einen extrem raschen wirtschaftlichen Aufstieg erlebt. Alles für die Herstellung einer friedlichen internationalen Umgebung zu tun, die es China erlaubt, sich zu entwickeln und einen angemessenen Platz einzunehmen, sei eine richtige und vernünftige Strategie. Die chinesische Regierung habe dies wohl durchdacht.
Nach Wagner hatten die historischen chinesischen Staaten im Grunde keine großen expansiven Interessen: „Teils weil es nicht viel zu holen gab. Wenn sie die Nachbarländer Chinas betrachten, dann finden sie dort meist Eis, im Westen ist überall Sand, im Osten ist überall Wasser, da gibt es nicht viel zu erobern, und die Wüste Gobi zu erobern, ist nicht besonders interessant!", lacht Rudolf G. Wagner. Aber man kann feststellen, dass es in China die Tradition gebe, ein friedliches Arrangement mit den Nachbarländern zu erzielen.
Auch Henrik Jäger sieht die Grundlage für die Wahl des Begriffs „friedliche Entwicklung" in den konfuzianischen Klassikern: „In ihnen wird der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass alle Persönlichkeiten und Familien in der ganzen Welt miteinander im Gleichgewicht sein sollen."
China als Chance für den Westen
Henrik Jäger meint, dass sich das Erbe der chinesischen Tradition für moderne Fragestellungen und Probleme vielfältig fruchtbar machen lässt, es gibt zum Beispiel bei Zhuangzi und Mengzi interessante Gedanken über das Verhältnis von Menschen, die sich als Elite mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen auseinandersetzen, zu Problemen der Ökologie. Es sei sehr interessant zu sehen, dass die alten Chinesen eine ökologische Vision hatten und dass gesellschaftliche, ökonomische, politische und ökologische Fragen alle eng miteinander verbunden seien. Es gebe keine Lösungen, die sich auf einen Bereich beschränken könnten. Alle Fragen hingen miteinander zusammen, man braucht stets eine weite Perspektive.
Chinas Wirtschaftsentwicklung ermögliche, dass Deutschland viel exportieren kann, dadurch seien in Deutschland sehr viele Arbeitsplätze gesichert, so Jäger weiter.
Über die Chancen, die der Aufstieg Chinas für Deutschland bereithalte, meint Rudolf G. Wagner, dass der Innovationsabstand zwischen Deutschland und China sich zwar verkleinern, aber weiter ziemlich groß bleiben werde. Für Deutschland gebe es Chancen zur Kooperation, u. a. im Bereich der Umwelttechnologie. Auch bei vielen konventionellen Produkten wie Kühlschränken stelle Deutschland zwar keine Hi-Tech- aber Hoch-Qualitäts-Produkte her, für die es in China einen großen Markt gebe.
Auf der anderen Seite sei es für Deutschland wichtig, einen Teil des besten wissenschaftlichen intellektuellen Nachwuchses aus China anzuziehen. Der sollte zum Studium nach Deutschland kommen, dort arbeiten und so eine stetige Zusammenarbeit entwickeln. Da sei Deutschland nach Meinung von Wagner noch zu wenig aktiv. Deutschland gilt in China als ein Land, das über große Erfahrung in der Entwicklung exportfähiger Produkte verfüge. Chinesische Manager und Ingenieure könnten in deutschen Unternehmen Quality-Management lernen. „Beide Seiten können voneinander viel lernen und voneinander profitieren," davon zeigt sich Rudolf G. Wagner überzeugt.
Falsches China-Bild
Nach Henrik Jäger werden in europäischen Medien immer wieder falsche Bilder über China reproduziert. In Artikeln wird behauptet, dass China gefährlich sei, leider gibt es ganz wenig Kenntnisse über chinesische Geschichte und Kultur in Deutschland, hier bräuchte es mehr „Aufklärung und Dialog".
Auch Rudolf G. Wagner meint, dass die Berichte über China in westlichen Medien stark übertrieben seien, zum Beispiel die Einschätzung von Chinas Wissenschaftskraft. In einigen Zeitschriften sei sinngemäß zu lesen gewesen: „Oh, Gott, die Chinesen investieren viel in Wissenschaft, wie sieht es wohl erst in zwanzig Jahren aus, dann werden die wichtigsten Erfindungen in China gemacht und wir sind abgehängt!" Er hingegen glaube nicht, dass China in den nächsten zehn Jahren diese fantastischen Durchbrüche erreichen könne. Das ginge nicht so schnell, es brauche seine Zeit. Ein Zeitraum von fünfzig Jahren sei als realistisch anzusetzen. Er halte solche Reden für Propaganda: „Wenn die deutsche Regierung dafür wirbt, die Ausgaben für Wissenschaft und Bildung zu steigern, dann sind derartige Reden sehr nützlich. Sie sollen unterstreichen, dass, wenn wir nichts tun, die Chinesen uns den Rang ablaufen werden."
Rudolf G. Wagner erkennt an, dass China sich große Mühe gegeben habe, um das Image des Landes zu verbessern. Dieses Bemühen sei relativ effektiv und erfolgreich. Die internationale Zusammenarbeit sei sehr erleichtert worden, China beteilige sich an vielen internationalen Aktionen und Debatten und übernehme verstärkt Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft. Es gebe sogar laufend Gespräche zwischen dem chinesischen und amerikanischen Militär: „Auch dies ist ein Beitrag zur Schaffung einer friedlichen Umgebung." |