21-07-2011
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Chinas Wirtschaft weiter auf Hochtouren
von Hu Yue

 

Eindämmung der Inflation behält Priorität

„Die Eindämmung der Inflation bleibt eine der obersten Prioritäten der Regierung, auch wenn sich das Wirtschaftswachstum weiter abschwächt", sagt der Präsident der chinesischen Zentralbank Zhou Xiaochuan. „Unsere dynamische Wirtschaft kann ein gewisses Maß an Inflation verkraften", meint der Ökonom. „Die Zentralbank wird die Feinabstimmung ihrer geldpolitischen Instrumente weiter justieren. So werden wir die Inflation kontrollieren, das Wirtschaftswachstum stabil halten, eine hohe Beschäftigung garantieren und die internationale Zahlungsbilanz aufrecht erhalten."

Im Juni lag der Verbraucherpreisindex (VPI), ein wichtiges Barometer für die Inflationsentwicklung, 6,4 Prozent höher als im Vergleich zum Vorjahr. Er kletterte damit auf ein 35-Monatshoch. Im ersten Halbjahr lag der Index 5,4 Prozentpunkte höher als im gleichen Zeitraum 2010. Beide Zahlen liegen somit deutlich über dem von der Regierung für das ganze Jahr angestrebte Ziel von 4 Prozent. Vor allem die Lebensmittelpreise haben den VPI in die Höhe getrieben. Innerhalb der ersten sechs Monate zogen die Preise für Grundnahrungsmittel wie Getreide, Fleisch, Eier und Gemüse im Vorjahresvergleich um 11,8 Prozent an. Die Wohnungskosten stiegen um 6,3 Prozent.

Auch der Erzeugerpreisindex (EPI), ein Indikator für Inflation auf dem Großhandelslevel, legte mit 7,1 Prozent im Juni und 7 Prozent in der ersten Jahreshälfte kräftig zu. Aufgrund des Verzögerungseffektes der Kreditschwemme vor zwei Jahren hat die Wirtschaft gegenwärtig noch immer mit überschüssiger Liquidität zu kämpfen, was Inflationstendenzen starken Rückenwind verschafft. Gleichzeitig treibt auch der Preisauftrieb im internationalen Rohstoffhandel den chinesischen EPI in die Höhe, was wiederum auch die Verbraucherpreisinflation befeuert. Auch die steigenden nationalen Land- und Arbeitskosten stärken hartnäckig und dauerhaft bestehende Inflationstendenzen.

Die Politik hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um der Inflation zu begegnen. In diesem Jahr verfolgte die Regierung eine äußerst besonnene Geldpolitik und verabschiedete sich somit endgültig von der eher laschen Zinspolitik, die angesichts der globalen Finanzkrise betrieben wurde. Bereits dreimal hat die Zentralbank in diesem Jahr ihre Leitzinsen erhöht, die Rate der vorgeschriebenen Reserven wurde sechsmal angehoben.

„Es gibt keinen Grund, wegen des Verbraucherpreisindexes vom Juni in Panik zu verfallen", sagt Zhang Liqun, Wissenschaftsrat am Forschungszentrum für Entwicklung beim Staatsrat. Von einer Verschärfung der Inflation in China könne bislang keine Rede sein. Der VPI-Anstieg sei zu einem guten Teil auch ein Übertrageffekt der Preisanstiege aus dem vergangenen Jahr, so Zhang.

Liu Shucheng, Leiter des Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Akademie der Sozialwissenschaften, erwartet für die zweite Jahreshälfte einen rückläufigen Trend für die Verbraucherpreise. Hierzu würden die angebotsfördernden Maßnahmen der Regierung, die abnehmende Marktliquidität sowie weltweit sinkende Immobilienpreise beitragen.

Im Vergleich zu anderen Schwellenländern stelle sich die Inflationslage in China wesentlich weniger ernsthaft dar, sagt Yao Jingzuan, Chefökonom des SSA. Indien hatte im Mai eine Inflationsrate von 9 Prozent bekannt gegeben. „China ist dank seiner großen Getreidereserven in der Lage, die Inflation in Schach zu halten", so Yao.

Auch Li Daokui, Mitglied der Kommission für Geldpolitik der chinesischen Zentralbank und Direktor des Zentrums für Chinas Rolle in der Weltwirtschaft der Tsinghua Universität, zeigt sich optimistisch, was die zukünftige Entwicklung betrifft: „Angesichts unserer industriellen Überkapazitäten ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Land erneut eine zweistellige Inflationsrate erleben wird, wie es sie Ende der 1980er Jahre gegeben hatte."

„Wenn sich die internationalen Erdölpreise stabilisiert haben, wird sich Chinas Verbraucherpreisindex bis zum Ende des Jahres wieder auf einem Niveau von vier bis fünf Prozent einpendeln. Für die nächsten paar Jahre ist ein Niveau von drei bis fünf Prozent zu erwarten", sagt der Volkswirt.

„Die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Inflation zeigen bereits erste Effekte", sagt Guo Tianyong, Leiter des Forschungszentrums für chinesisches Bankenwesen der Zentraluniversität für Finanzen und Wirtschaft. Da die Lebensmittelpreise den VPI in die Höhe trieben, seien vor allem angebotsfördernde Maßnahmen ein effektives Mittel zur Inflationsbekämpfung, so Guo. „Wir sollten aber von einem übermäßigen Einsatz administrativer Schritte zur Kontrolle des Preisniveaus absehen. Generell sollten wir den Marktkräften mehr Spielraum gewähren."

Zhuang Jian, Chefökonom für das Chinageschäft der Asian Development Bank, plädiert für eine schnelle Aufwertung des Yuan. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass Importwaren für die einheimische Kundschaft erschwinglicher würden.

Sheng Laiyun, Sprecher des SSA, geht davon aus, dass sich die Inflationssorgen noch innerhalb des laufenden Jahres auflösen werden. „China hat in diesem Sommer Rekordernten an Getreide eingefahren. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Konjunkturabschwächung auch die Nachfrage senken wird. Das wird die Verbraucherpreise zusätzlich entlasten", so Sheng. Hinzu kämen die gesunkenen internationalen Rohstoffpreise. „Sie helfen, die importierte Inflation zu schmälern", so Sheng. Außerdem werde die Regierung die Zuschüsse für schwache Einkommensgruppen erhöhen und so die Auswirkungen der Inflation abfedern.

 

Wichtige Rolle für die Weltwirtschaft

Obwohl die chinesische Wirtschaft an Schwungkraft eingebüßt hat, spielt sie weiterhin eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der Weltwirtschaft. Die internationale Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) warnte im Juni sogar davor, dass ein plötzliches Abflauen der chinesischen Konjunktur einen Verfall der Rohstoffpreise von 50 bis 75 Prozent des derzeitigen Levels verursachen könne. Ivan Glasenberg, Geschäftsführer des multinationalen Bergbau- und Rohstoffunternehmens Glencore mit Sitz in der Schweiz, sagt, die hohen Verbraucherpreise in China und die Maßnahmen des Landes zur Eindämmung der Inflation hätten die globale Nachfrage nach Rohstoffen deutlich zurückgehen lassen.

Trotzdem sieht Glasenberg mittelfristig eine positive Perspektive. Die Effekte von Chinas derzeitig straffer Geldpolitik seien nur von kurzer Dauer. „Wir haben es hier mit einer kurzfristigen Ebbe zu tun, wie wir sie immer mal wieder von Zeit zu Zeit erleben", sagt der Experte. „Wir glauben noch immer an das starke Fundament der asiatischen Wirtschaft mit ihrer weiter steigenden Nachfrage, vor allem in China und Indien."

Tatsächlich wird die Welt wohl von Chinas wirtschaftlicher Transformation hin zu einem langsameren, nachhaltigeren Wachstum profitieren. Die kontinuierlich steigende Binnennachfrage sowie wachsende Importe sind ein wahrer Segen für Chinas Handelspartner. In der ersten Jahreshälfte 2011 beliefen sich Chinas Importe auf 829,37 Milliarden Dollar (572,69 Milliarden Euro), was einem Plus von 27,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Gleichzeitig ging Chinas Handelsüberschuss 2011 stetig zurück; in der ersten Jahreshälfte lag er bei 44,93 Milliarden Dollar (31,03 Milliarden Euro), eine Abnahme von 18,2 Prozent im Vergleich zu 2010.

Trotz des nationalen Wachstumsdämpfers trage China weiterhin einen beträchtlichen Anteil am globalen Wirtschaftswachstum, sagt Zheng Xinli, stellvertretender Vorsitzender des Zentrums für internationalen wirtschaftlichen Austausch. China schlage außerdem einen immer grüneren Wachstumsweg ein, was ausländischen Unternehmen aus dem Bereich erneuerbarer Energien und Umweltschutz große Chancen biete. „Chinas massive Urbanisierung garantiert weiterhin eine rege Nachfrage und wird der Weltwirtschaft neues Leben einhauchen", so Zheng.

„China ist immer noch eines der Länder mit dem größten Anteil an amerikanischen Staatsanleihen, die für die USA eine zentrale Rolle beim Ausgleich ihres wachsenden Haushaltsdefizits spielen", sagt der Ökonom. „Hinzu kommt, dass chinesische Unternehmen verstärkt im Ausland investieren und den Zielländern dadurch zusätzliche Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bescheren."

 

Zukunftsmusik

„China muss es gelingen, eine Balance zwischen anhaltendem Wachstum und Inflationsbekämpfung zu schaffen", sagt Ba Shusong, stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts für Finanzen am Forschungszentrum für Entwicklung des Staatsrates. Ob Chinas Regierung den Rest des Jahres weiter an der Kreditschraube drehen wird, um die Inflation zu bändigen, bleibt fraglich. Hier sind sich die Experten uneins. Eine zu starre Geldpolitik, sagt Ba, werde der bereits schwächelnden Wirtschaft den Wind aus den Segeln nehmen. Eine Reihe kleinerer und mittelständischer Unternehmen kämpften angesichts teurer Kredite bereits jetzt ums Überleben. Eine zu straffe Zinspolitik würde außerdem den Geldfluss vieler Infrastrukturprojekte zum Stocken bringen und die Verschuldung der lokalen Regierungen erhöhen. Außerdem gerieten die Bauunternehmer unter enormen finanziellen Druck, da sich die Wohnungsverkäufe angesichts abnehmender Investitionen auf dem Immobiliensektor im Sturzflug befänden.

„Angesichts der sinkenden Gesamtinflationsrate und der zunehmenden Sorge um das Wachstum halte ich weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr für äußerst unwahrscheinlich", sagt Lu Ting, Volkswirt der Bank of America Merrill Lynch. „Wir gehen davon aus, dass die Inflationsrate ab Juni stetig zurückgeht und gegen Jahresende 4 bis 4,5 Prozent erreichen haben wird. Auf diesem Level wird es sich wohl für einige Jahre einpendeln."

Qu Hongbin, Chefökonom der HSBC, erklärt: „Obwohl ein Ende der straffen Geldpolitik deutlich absehbar ist, scheint der Kampf gegen die Inflation noch immer in vollem Gange." Auch Qu prognostiziert eine Abschwächung der Inflation in der zweiten Jahreshälfte.

Der unabhängige Volkswirt und Direktor von Rosetta Stone Advisors Andy Xie ist anderer Meinung: „Die Regierung wird nicht locker lassen und ihre Anstrengungen im Kampf gegen die Inflation weiterführen, da sie die Inflation als größtes Wachstumsrisiko sieht." Es werde möglicherweise zwei bis drei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr geben, so Xies Einschätzung, nicht zuletzt deshalb, weil sich der maßgebliche Zinssatz  für Einlagen mit einjähriger Kündigungsfrist effektiv im Minusbereich bewegte.

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