01-07-2011
Lebensgeschichten
China-Verbundenheit eines deutschen Marx-Engels-Forschers
von Xu Bei

Der 71-jährige Eike Kopf stammt aus der Heimat des Marxismus. Wo immer er sich auch befindet, die Marx-Engels-Forschung sieht er stets als seine Lebensaufgabe.

Eike Kopf

Geboren im Jahr 1940 in dem Dorf Bollstedt bei Mühlhausen in Thüringen, begann er 1965 an der Universität Jena mit seinen Forschungen zum Werk von Karl Marx und Friedrich Engels. Im Jahr 1967 gründete er am Pädagogischen Institut Mühlhausen (ab 1969 Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen) die Forschungsgruppe „Marx-Engels-Forschung", die wegen ihrer wissenschaftlichen Leistungen ab 1978 direkt zur Bearbeitung von Bänden der historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) eingeladen wurde. Von 1997 bis März 2011 arbeitete er als ausländischer Experte in der Marx-Engels-Abteilung des Büros für die Sammlung und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas in Beijing und ist dort an der Bearbeitung von Bänden der zweiten chinesischen Ausgabe der Werke von Marx und Engels beteiligt, die auf der Grundlage der MEGA ediert wird.

 

Verbundenheit mit China

Als Angehöriger der Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, hat Eike Kopf die Wechselfälle der deutschen Geschichte miterlebt. Kurz nach der Wiedervereinigung wurde Mitte Dezember 1990 mitgeteilt, dass alle DDR-Hochschullehrer der Bereiche Sozialwissenschaften, Pädagogik, Psychologie und Polytechnik der Pädagogischen Hochschule zum 31. Dezember 1990 gekündigt sind.

„Man hatte damals zwei Möglichkeiten: Entweder meldete man sich ab dem 2. Januar beim Arbeitsamt arbeitslos und verlor damit die Berechtigung, das Gelände der Hochschule zu betreten, oder man konnte bis Sommer 1991 bleiben, die begonnene Ausbildung der Studierenden zu Ende führen und sich dann anschließend arbeitslos melden", erinnert sich Eike Kopf.

Gerade erst im Frühjahr 1989 hatten Kopf und seine Forschungsgruppe zwei neue Verträge mit den Herausgebern der MEGA abgeschlossen: Es ging um die Edition von Band 15 der Zweiten Abteilung (3. Buch des „Kapitals"), der bis 1994 fertiggestellt werden sollte und dann zehn Jahre später als geplant, also 2004, auch erschienen ist. Ebenfalls vereinbart war die Bearbeitung der als Nr. 25 und 28 der Vierten Abteilung (Exzerpte) geplanten Bände der MEGA. In ihnen sollten sich die letzten ökonomischen Arbeiten von Marx aus seinem Nachlass wiederfinden.

Um nicht den Zugang zu seinem Arbeitszimmer zu verlieren, in dem auch all die Materialien des MEGA-Projektes lagerten, entschloss sich Eike Kopf, bis zum Sommer 1991 an der Hochschule zu bleiben. Nachdem er und seine Arbeitsgruppe die Zugangsberechtigung zur Hochschule verloren hatten, haben sie dann im Stadtarchiv Mühlhausen die Tätigkeit fortgesetzt. „Das ist übrigens auch aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus geschehen, weil ich feststellte, dass man schnell 'verblödet', wenn man über Jahrzehnte tagtäglich bei Lehrveranstaltungen, Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Prüfungen und in der Forschungsarbeit geistig tätig gewesen ist und dann  plötzlich in die Arbeitslosigkeit geschickt wird. Auch deshalb habe ich weiter an der MEGA mitgearbeitet, was ich im Grunde bis heute tue", sagt Eike Kopf.

Trotz der Arbeitslosigkeit hielt Eike Kopf bis 1995 an der Bearbeitung der Werke von Max und Engels fest. „1995 wurde ich vom damaligen Sekretär der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam angesprochen, ob ich Lust hätte, in China für ungefähr 420 DM im Monat an der zweiten chinesischen Marx-Engels-Ausgabe mitzuarbeiten", sagt Eike Kopf. Die Neuübersetzung wurde vom "Büro für die Sammlung und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin bem Zentralkomitee der KPCh" erarbeitet.

Allerdings sagte er nicht sofort zu, sondern versuchte zunächst eine Gelegenheit zu bekommen, sich in Beijing an Ort und Stelle zu informieren und sich vorzustellen. Er wollte sich so einen Eindruck verschaffen, wie es um die Arbeitsmöglichkeiten vor Ort bestellt sei. Er erzählt: „Ich habe letztendlich eine Leserreise genutzt, um China zu besuchen, und habe mich mit den Bedingungen im Büro – insbesondere der Bibliothek – vertraut gemacht. Ich habe dann gesehen, dass sie sehr umfangreiches und gutes Material haben, mit dem man auch entsprechend arbeiten kann."

Von 1953 bis 1983 war in China bereits eine erste chinesische Marx-Engels-Ausgabe in 50 Bänden herausgegeben worden. Allerdings war diese Ausgabe eine Übersetzung aus Teilen der zweiten russischen Ausgabe der Werke von Marx und Engels. Der Ausgabe lagen also nicht die in Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und anderen Sprachen verfassten Originaltexte zugrunde. Um diesem Missstand bei einer neuen Edition abzuhelfen, wurde Professor Kopf nach China eingeladen. „Die Übersetzung wurde von chinesischen Übersetzern in Gang gebracht. Wenn sie bei der Übersetzung auf  Schwierigkeiten trafen, wandten sie sich an mich", so Kopf.

Neben der Bearbeitung der Werke von Marx und Engels hat Kopf in den letzten Jahren auch an einigen internationalen wissenschaftlichen Konferenzen teilgenommen, die in China veranstaltet wurden und sich mit dem Werk von Marx und Engels befassten.

In den Augen von Eike Kopf bieten solche Veranstaltungen eine gute Gelegenheit, darüber zu informieren, was aktuell im "Büro für die Sammlung und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin beim Zentralkomitee der KPCh" erarbeitet wird. „Als Reaktion darauf haben inzwischen eine ganze Reihe von Mitarbeitern von Universitäten und Forschungseinrichtungen Interesse an der zweiten chinesischen Marx-Engels-Ausgabe bekundet", sagt Kopf.

 

Anwendung und Weiterentwicklung des Marxismus erleben

Durch seine Verbundenheit mit China hat Kopf über die konkrete Praxis des Marxismus seine eigene Meinung. Er meint, dass man auf heutige Fragen nicht die Antworten von früher wiederholen kann. Aber die Analysen und Schlussfolgerungen von Marx und Engels können wir als Anleitung oder Mittel zur Untersuchung und zum Studium unserer zeitgenössischen Lage und ihrer spezifischen Probleme nutzen. Die Existenzprobleme der Menschheit können nur durch international geregelte Anstrengungen gelöst werden.

„In dieser Weise verfährt seit wenigstens drei Jahrzehnten die politische Führung der Volksrepublik China, wie ich während meiner Tätigkeit seit 1997 auch erleben konnte", sagt Kopf. „Ich habe aber auch insgesamt den Eindruck, dass die bewusste Absicht des derzeitigen ZK besteht, intensiver als vielleicht in den vorangegangenen fünfzehn Jahren wieder die Analysen von Marx und Engels aufzugreifen, die aus einer Zeit stammen, als die kapitalistische Entwicklung noch einfacher zu überblicken war als heute. Das ZK will die daraus erarbeiteten politischen Schlussfolgerungen und Hinweise für die künftige Entwicklung nutzen."

 

Große Herausforderungen für die KP Chinas

Obwohl die KPCh in den vergangenen dreißig Jahren viele auffällige Errungenschaften zu verzeichnen hatte, meint Eike Kopf, dass in der Geschichte der Menschheit keine kommunistische Regierungspartei auf der Welt mit so großen Herausforderungen konfrontiert gewesen sei, wie die KP Chinas.

Zur allgemeinen Lage Chinas bemerkt Eike Kopf, dass das Land über eine Gesamtfläche verfügt, die fast der gesamten Fläche Europas entspricht. Auf diesem Boden gebe es sehr unterschiedliche geographische und klimatische Bedingungen, es lebten auf ihm verschiedene nationale Minderheiten, die sich in verschiedenen Entwicklungsphasen befänden. Deswegen sei die Lage, mit der die KP Chinas in der gegenwärtigen Entwicklungsphase konfrontiert sei, ziemlich kompliziert.

„Es ist ein Sozialismus der Tat: Ein Volk schafft sich in China sein Leben......  Die einen sozialistischen Gesellschaftszustand gestaltende Volksrepublik China ist nicht nur für fast ein Viertel der Menschheit, sondern zugleich für die Weltwirtschaft und den Weltmarkt ein wichtiger Faktor der Entwicklung. Es handelt sich dabei nicht um ein abstraktes Gedankengebilde, sondern um reale Tatsachen, um die reale Gestaltung eines Sozialismus im 21. Jahrhundert", meint Eike Kopf.