09-06-2011
60 Jahre friedliche Befreiung Tibets
Aktion „Eigenes Foto" für Tibeter
von Peng Dawei

 

       Fotosession mit Abu am 24. Mai (Foto: Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation)

24. Mai 2011: Um sechs Uhr abends weht der Wind durchs Steppenland in der Provinz Qinghai und treibt die Feuchte aus dem Gestrüpp. Plötzlich ein Lichtkegel in der Dunkelheit: in seinem Schein nimmt ein fröhliches tibetisches Kind verschiedene Posen ein. Das Kind heißt Abu und stammt aus einer Hirtenfamilie im Kreis Jianzha. Heute bekommt Abu zum ersten Mal in seinem Leben eine Fotografie von sich zu Gesicht.

Eine Gruppe Fotografen mit modernsten Kameras schießen Fotos für Abu. Es sind Freiwillige der Initiative „Gesang-Puzhao" des Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation.

Die im Jahr 2010 gestartete Initiative „Gesang-Puzhao" ist ein vom Tibet-Kulturfonds durchgeführtes Projekt, das armen Einwohnern in abgelegenen Gebieten Zugang zur Fotografie bieten möchte. „Gesang-Puzhao" ist ein Mischwort aus Tibetisch und Chinesisch: „Gesang" heißt „Glück" auf Tibetisch. Die „Glücksblume", eine anspruchslose Pflanze, die unter den härtesten Bedingungen auf dem Hochland nicht nur überlebt, sondern auch gedeiht, ist den Tibetern das Symbol zufriedenen Lebens. „Pu" ist Chinesisch und bedeutet „weitverbreitet" und „gewöhnlich". „Zhao" heißt nicht nur „Foto" und „fotografieren" sondern auch „scheinen". Damit will man ausdrücken, dass nicht nur jeder Bewohner dieses Gebiets sein eigenes Foto bekommen, sondern sich Freude wie brillanter Sonnenschein über das Hochland verbreiten soll.

He Bin, der Leiter dieser Initiative, und fünf weitere Freiwillige kommen am 23. Mai nach Gajia-Yicun und Gajia-Ercun im Kreis Jianzha in der Provinz Qinghai, um das Sozialprogramm dieses Jahres durchzuführen. Heuer ist ihre Hauptaufgabe, der armen tibetischen Bevölkerung kostenlose Fotografiermöglichkeiten zu bieten und ihnen gerahmte Fotos von sich selbst zu schenken. „Wir haben sogar einen speziellen Tür-zu-Tür-Service für ältere oder behinderte Menschen eingerichtet", sagt He.

Das erste Foto von sich selbst: Tibetaner in Gajia im Kreis Jianzha freuen sich sehr über ihr gelungenes Konterfei. (Foto: Tibet-Kulturfonds der China Charity Federation)

Auf die Frage, wie er auf die Idee zu dieser Initiative gekommen sei, erzählt He Bin, dass er während einer Expedition nach Tibet und Qinghai zufällig herausgefunden hat, dass Digitalkameras, die eigentlich in ganz China Verbreitung gefunden haben, unter den Tibetern in Qinghai nahezu unbekannt sind. Wegen der Abgelegenheit und der unterentwickelten Wirtschaft der Region haben viele Menschen ihr ganzes Leben lang noch kein Foto von sich machen können. „Dabei ist eine Fotografie für sie von großer Bedeutung. Durch Fotos können sie sich an ihre Familienangehörigen und an schöne gemeinsame Zeiten erinnern", meint He.

Innovatives Kulturprogramm

Der 23. Mai ist das 60. Jubiläum der friedlichen Befreiung Tibets. Dank der gemeinsamen Bemühungen der Zentralregierung, der Gesellschaft und zahlreicher Nichtregierungsorganisationen  hat sich die Lebensqualität der Tibeter deutlich erhöht.

„Die Initiative ´Gesang-Puzhao` ist ein innovativer Versuch der Wohlfahrt auf kulturellem Gebiet, der vom Tibet-Kulturfonds finanziert wird", so He Bin. Sein Ziel ist es, nicht nur das materielle Leben, sondern auch das kulturelle Leben der Tibeter zu bereichern: „Ein Foto ist unscheinbar, aber wenn man es sein Leben lang aufbewahrt, kann es seinem Besitzer ein unendlicher Trost sein."

Dieses Programm fand sofort begeisterte Aufnahme unter den Tibetern. Am 26. Mai besucht die Gruppe ein Waisenhaus im Kreis Jianzha. He Bin ist sehr beeindruckt. Es leben hier viele Waisenkinder aus dem Katastrophengebiet Yushu in Qinghai, die ihre Eltern durch das Erdbeben verloren haben, und seither von Traurigkeit beherrscht werden.

„Fotografie macht die Waisen erstaunlich glücklich und lässt sie für einen Moment ihr Schicksal vergessen", sagt He. Beim Fotografieren finden die Kinder zu ihrer alten Fröhlichkeit zurück und springen munter umher.

Gongji, eine tibetische Studentin an der Beijinger Naturwissenschaftlichen und Technischen Universität, ist eine der fünf  Freiwilligen, die ins Hochland gereist sind. Sie ist Amateurfotografin und hat sich spontan zur Teilnahme am „Gesang-Puzhao"-Programm gemeldet. Sie möchte dabei helfen, den Traum der Menschen aus dem Hochland zu verwirklichen.

 23.30 Uhr beginnen wir mit Gongji zu telefonieren. Trotz der späten Stunde sind alle Freiwilligen noch bei der Arbeit, um am nächsten Morgen den Tibetern ihre Fotos zu überreichen. „Es freut uns so, das Lächeln der Menschen zu sehen, wenn sie ihre Fotos bekommen. Deshalb arbeiten wir gerne bis in die Nacht hinein", meint Gongji.

Für Yang Fan, einen weiteren Freiwilligen aus dem Team, ist diese Reise nach Qinghai von besonderer Bedeutung: „Ich bin zum ersten Mal auf dem Dach der Welt und nun doch sehr angenehm überrascht von Land und Leuten!" Yang arbeitet in Beijing in der IT-Branche. Obwohl er nicht Tibetisch kann, kommuniziert er ganz gut mit den Kindern, einfach durch Augenkontakt und Gesten: „Lächeln dient uns als universale Sprache."

Gongji hat der Aufenthalt im Hochland auch die eigenen Wurzeln wiederentdecken lassen: „Früher habe ich gedacht, es kommt nur auf das materielle Wohlergehen an. Aber jetzt erkenne ich die große Bedeutung einer reichen Kultur auch für einen glücklichen Alltag der Menschen", erklärt die Studentin.

Das `Gesang-Puzhao` -Programm wird im laufenden Jahr in fünf Zeitabschnitten veranstaltet. Die Gruppe mit Yang und Gongji hat die Absicht, in noch entlegenere Gebiete zu reisen und noch mehr Fotos zu verschenken. Der Tibet-Kulturfonds hat bereits einen Mikroblog eröffnet, der um Aufmerksamkeit und Unterstützung für die tibetische Kultur wirbt.