03-06-2011
Kultur 2011
Jagd nach Profit
von Yin Pumin

Das Palastmuseum der Verbotenen Stadt in Beijing steht im Mittelpunkt heftiger Kontroversen um den angemessenen Schutz wertvoller Kulturgüter

Nationales Kulturerbe: Der Taihe-Pavillon in der Verbotenen Stadt in Beijing
 

Das Palastmuseum der Verbotenen Stadt, Weltkulturerbe der UNESCO und ehemalige Wohnstätte der letzten Kaiser Chinas, ist in letzter Zeit von zahlreichen Skandalen erschüttert worden.

In der Nacht auf den 9. Mai 2011 wurden aus einer schwer bewachten Ausstellung neun Objekte aus Gold und Edelsteinen gestohlen. Wenige Tage darauf wurde berichtet, dass die Leitung des Museums den Versuch unternommen hat, den Jianfu-Pavillon, ein Gebäudekomplex, der aus Gärten und mehreren Bauwerken besteht, in ein exklusives Clubhaus für die Superreichen umzuwandeln.

Derartige Negativschlagzeilen haben Bedenken hinsichtlich des Zustandes des chinesischen Kulturerbes und seiner angemessenen Bewahrung und Sicherung ausgelöst.

 

Der Würde beraubt

Der Diebstahl vom 8. Mai ist der erste im Palastmuseum seit zwanzig Jahren. Am 11. Mai wurde ein Mann gefasst, der die Tat bereits gestanden hat. 

Der Tatverdächtige Shi Baikui, 28, er stammt aus dem Kreis Caoxian in der ostchinesischen Provinz Shandong, wurde 58 Stunden nach dem Diebstahl verhaftet, wie die Beijinger Polizei in einer Presseerklärung ausführte.

Shi wird verdächtigt, ein Loch in eine behelfsmäßige Wand in der Zhai Gong Halle gebohrt zu haben, durch das er unbemerkt von allen Sicherheitseinrichtungen in den Ausstellungsraum gelangen konnte. Ma Jige, Leiter des Ausstellungswesens des Palastmuseums räumt ein, dass weder die Überwachungskameras noch die Alarmanlagen den Einbruch bemerkt hätten. 

Bei den gestohlenen Gegenständen handelte es sich um Leihgaben des Hongkonger Liangyi Museums, das 19 Möbelstücke aus Holz und 111 Geldtaschen und juwelenbesetzte Kosmetikdöschen im westlichen Stil für eine Ausstellung vom 29. April bis zum 27. Juni zur Verfügung gestellt hatte. Tracy Wong, Kuratorin des Liangyi Museums, beziffert den Wert der Exponate auf mindestens 30 Millionen Yuan (rund 3,2 Millionen EUR).

Am 9. Mai um 8.30 Uhr wurde der Diebstahl entdeckt: Insgesamt neun Einzelstücke aus den Jahren 1920 bis 1945, darunter ein ovales Kosmetikdöschen von Tiffany aus Gold, waren verschwunden. Zwei Gegenstände wurden später an einer Mauer an der Ostseite des Palastmuseums gefunden. Drei Preziosen aus der Beute wurden beim Tatverdächtigen gefunden, drei Stücke werden nach wie vor vermisst. 

Die Beijinger Polizei hat am 17. Mai eine Belohnung ausgesetzt für die Rückgabe der Gegenstände oder für Hinweise auf ihren Verbleib.

Feng Nai'en, stellvertretender Kurator und Sprecher des Palastmuseums sagte auf einer Pressekonferenz zum Tathergang, dass ein Wächter den Dieb gegen 22.30 Uhr auf dem Museumsgelände gesehen und angehalten habe, es sei ihm aber in der Folge die Flucht gelungen, bevor der Wächter Verstärkung anfordern konnte. Den Rest der Nacht durchkämmten Polizisten und mehr als zwanzig Museumsbedienstete die Verbotene Stadt nach dem Tatverdächtigen, jedoch erfolglos.

Neben den üblichen Sicherheitsmaßnahmen wie Streifengehen und technische Vorkehrungen, wie sie auch in anderen Museen üblich sind, unterhält das Palastmuseum noch zehn Polizeihunde für die Sicherung der Verbotenen Stadt, berichtet die  Beijing News. Das Museum verfügt über eine 240 Mann starke Wachmannschaft, die in acht Abteilungen untergliedert ist. Bei der Schließung des Museums um 16.30 Uhr sorgen die Wächter dafür, dass die Besucher das Areal verlassen. Jeder Winkel des Museumsgeländes wird dreimal durchsucht. Mindestens 1 600 elektronische Diebstahlssicherungen, 3 700 Rauchmelder und 400 Überwachungskameras sind Tag und Nacht in Betrieb. 

„Wenn sich ein Diebstahl dieser Art zutragen kann, sind unsere Sicherheitsmaßnahmen sicherlich unzureichend", sagt Feng, der dennoch hofft, dass die Leute nicht das Vertrauen in die Sicherheit des Palastmuseums verlieren werden.

Es gibt Gerüchte, wonach die Alarmanlage während des Einbruchs nicht funktioniert hätte.

Feng bestätigt eine Überprüfung aller Sicherheitseinrichtungen in allen Ausstellungsräumen, Magazinen und Innenhöfen, um mögliche Schwachpunkte aufzudecken und die Sicherheitsmaßnahmen zu verbessern.

Sicherheitsexperten sind jedoch der Auffassung, dass Hi-Tech- Diebstahlssicherungen allein kein ausreichendes Sicherheitsniveau garantierten.

„Alle Alarmanlagen sind lediglich Werkzeuge. Man muss sich vor allem auf die Effektivität derjenigen verlassen können, die diese Systeme kontrollieren. Der menschliche Faktor ist unbedingt einzukalkulieren", sagt Professor  Wang Dawei von der Chinese People's Public Security University.

Der Diebstahl im Palastmuseum erinnert andere Museen daran, ein effektives Sicherungssystem aufzubauen, das auf ausgebildeten Wächtern und verbesserten Überwachungsanlagen beruht.

Am 11. Mai hat das Staatliche Büro für Denkmalschutz die Museen des ganzen Landes zur kurzzeitigen Schließung aufgefordert, um die Sicherungseinrichtungen zu überprüfen.

Das Ministerium für öffentliche Sicherheit hat eine achtmonatige Kampagne zur Verbrechensbekämpfung in 17 Provinzen und autonomen Gebieten ausgerufen. Das Ziel: Die um sich greifende Kriminalität effektiver zu bekämpfen, die auch die Sicherheit von Kulturgütern bedroht.

 Shan Jixiang, Direktor des Staatlichen Büros für Denkmalschutz, sagt, dass Kriminelle mittlerweile ihren Blick auf größere Objekte richteten, darunter Gegenstände, die auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes stünden.

"Obwohl die Zentralregierung 150 Millionen Yuan (16,1 Millionen EUR) zur Verbesserung der Sicherheit von Museumsgut ausgegeben hat, ist der Standard zum Schutz der Kulturgüter ziemlich niedrig", sagt Shan und nennt ungeschultes Museumspersonal, veraltete Einrichtungen und laxe Aufsicht als Hauptprobleme. 

Im März unterbreitete Shan auf der 4. Sitzung des 11. Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes den Vorschlag, dass der Staat den Museen, die freien Eintritt gewährten, Subventionen für die Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen und zur Schaffung einer Unfallversicherung für das Wachpersonal zukommen lässt.

Der Vorschlag wäre wahrscheinlich beim Nationalen Volkskongress besser aufgehoben gewesen, meint Wang Chao vom Lu Xun Museum in Beijing. "Der jüngste Diebstahl in der Verbotenen Stadt hat auch sein Gutes. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass als eine Folge davon die Sicherheitseinrichtungen und die Verwaltungspraxis der Museen verbessert werden."

 

 Elitäres Clubleben

Nach der Schelte wegen mangelhafter Sicherheitseinrichtungen geriet das Palastmuseum Mitte Mai erneut unter Beschuss.

Ein Netzbürger enthüllte im Internet die Existenz eines todschicken Clubs der besonders Betuchten. Er selbst hatte eine Aufforderung zur Mitgliedschaft erhalten, nachdem er im März an der Feier zur Wiedereröffnung des vor kurzem rekonstruierten Jianfu-Pavillons teilgenommen hatte.

Am 11. Mai schrieb Rui Chenggang, Nachrichtensprecher beim Staatssender CCTV, in seinem Mikroblog, dass der Jianfu-Pavillon in einen Privatclub umgewandelt werde, der nur den Allerreichsten offenstünde. Die Mitgliedschaft sei so exklusiv, dass höchstens 500 Personen dafür in Frage kämen. Angeblich hätte ihm ein Fremdenführer gesagt, das ein US-Milliardär mit seiner Familie gerade ein Festmahl in dem Gebäude veranstaltet hätte, obwohl die Öffentlichkeit noch immer keinen Zugang zu dem Gebäude hat.

Der Jianfu-Pavillon war 1923 durch einen Brand zerstört worden; dank einer Spende des Hongkonger Geschäftsmannes Ronnie Chan in Höhe von 14 Millionen US-Dollar wurde er in den Jahren 2000 bis 2005 neu errichtet. Der Garten, in dem das Gebäude steht, ist auch als Westgarten bekannt. Er wurde 1740 errichtet und war der zweitgrößte Garten der Verbotenen Stadt. 

Am 13. Mai veröffentlichte die Verwaltung des Palastmuseums eine Erklärung, in der es heißt, dass der Jianfu-Palast hauptsächlich zum Empfang hochrangiger chinesischer und ausländischer Gäste, sowie zur Veranstaltung von Vorträgen, Seminaren und Pressekonferenzen diene. „Es ist unmöglich, dass daraus ein Privatclub werden könnte", kann man in der Erklärung nachlesen. 

Netzbürger aber lieferten am darauf folgenden Tag den Gegenbeweis in Form einer Fotografie der Abmachung zwischen den Betreibern des  Jianfu-Pavillons und Mitgliedern des Privatclubs.

In der Übereinkunft heißt es, dass Clubmitglieder, ihre Ehepartner und Gäste das Privileg genössen, Bankette und Konferenzen in den Räumlichkeiten abzuhalten, vorausgesetzt, sie würden regelmäßig ihren Mitgliedsbeitrag entrichten.

Die Abmachung war von der Forbidden City Cultural Development Co. unterzeichnet, einem Marketingunternehmen des Palastmuseums. Seit März hätte die Firma Stellenanzeigen für Köche, Kellner, Barkeeper und Sicherheitspersonal geschaltet.

In seinem Mikroblog schrieb Rui am 14. Mai, dass eine Club-Mitgliedschaft mindestens eine Million Yuan (107 000 EUR) kosten würde: „Allein das Aufkommen durch Mitgliedsbeiträge in Höhe von 500 Millionen Yuan (53,5 Millionen EUR) übersteigt die Kosten für den Wiederaufbau der Halle um das Fünffache!"

Das Palastmuseum sei ein nationales Kulturgut, das allen Chinesen gehört und nicht profitorientierten Unternehmen offen stehen sollte, unterstreicht Rui.

Am 16. Mai gab die Verwaltung des Palastmuseums zu, dass tatsächlich ein Plan vorgelegen habe, eine Palasthalle in einen gewinnorientierten Privatclub zu verwandeln, aber die Museumsleitung hätte nichts von diesen Plänen gewusst.

„Der Club war eine Idee der Forbidden City Cultural Development Co. , die nicht von der Museumsleitung abgesegnet wurde", hieß es in einem entsprechenden Statement.

Liu Chaoying, stellvertretender Direktor der lokalen Denkmalschutzbehörde Beijings, spricht sich gegen profitorientierte Aktivitäten in öffentlichen Einrichtungen wie dem Palastmuseum aus. 

„Man findet in jedem Museum der Welt ein Restaurant oder Cafés, zum Beispiel auch im Louvre", sagt Liu. "Aber die Restaurants sind dafür gedacht, den Besuchern einen besseren Service zu bieten und den kulturellen Besonderheiten des Ortes gerecht zu werden, und dienen nicht nur der Gewinnmaximierung."

„Museen sollten der Allgemeinheit dienen, nicht dem Einzelnen. Das Palastmuseum hat gegen seinen Ehrenkodex verstoßen", sagt Ma Zishu, Generaldirektor der Stiftung für den Schutz chinesischen Kulturgutes.

In der Tat beschränkt sich der Missbrauch erstrangiger Kulturgüter nicht auf die Verbotene Stadt. Das Landhaus von Song May-ling in Nanjing in der Provinz Jiangsu, das im Jahr 2001 in die Liste der historischen Kulturgüter aufgenommen wurde, ist Berichten zufolge in ein Luxusrestaurant verwandelt worden, das hochkarätige Hochzeitsbankette anbietet. Song May-ling war die Ehefrau von Chiang Kai-shek, dem damaligen Parteivorsitzenden der Kuomintang und Staatspräsidenten Chinas.

Nach einem anderen bekannt gewordenen Plan sollte ein Gebäude in der alten Sommerresidenz der Qing-Kaiser in Chengde in der nordchinesischen Provinz Hebei in einen Club umgewidmet werden.

„Es lässt sich nicht leugnen, dass das gegenwärtige System zur Bewahrung von Kulturgut einige Lücken aufweist", sagt Gao Guoxi, Soziologieprofessor an der Fudan Universität in Shanghai gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua. In China, so Gao, komme es nicht selten vor, dass Kulturdenkmäler zu kommerziellen Zwecken missbraucht würden.

An Jiayao, ein Forscher am Institut für Archäologie an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, meint, dass China zwar in vergangenen Jahrzehnten lauthals den Schutz seiner Kulturgüter verkündet hätte, aber ein Mangel an Bewusstsein für die Bedeutung dieser Güter zu einer nachlässigen Anwendung der einschlägigen Bestimmungen geführt habe. Gao ruft die Regierung dazu auf, eine härtere Gangart einzuschlagen und Übeltäter strenger zu bestrafen, um zu verhindern, dass wertvolles Kulturgut weiterhin Schaden nimmt.