Am 25. September 2010 wurde die  wieder aufgebaute Kreisstadt der Regierung der Kreisstadt Beichuan übergeben." /> Beichuan: Auferstanden aus Ruinen, der Zukunft zugewandt!
09-05-2011
Beijing Rundschau Vor Ort
Beichuan: Auferstanden aus Ruinen, der Zukunft zugewandt!

Cheng Piyi, Huang Guiqiong und Huangcheng Dorjee in neuer Wohnung (Foto von Shi Gang)

 

Drei Jahre sind seit dem verheerenden Erdbeben im Südwesten Chinas vergangen. Jahre der Trauer, Jahre der Planung, Jahre der Hoffnung und Jahre des Aufbaus. Die einzige Stadt, die nicht am gleichen Ort wieder aufgebaut wurde, steht nun vor dem Neuanfang. 

 

 Von Chen Ran

 

„Dorjee, sei schön brav im Kindergarten!", sagt Huang Guiqiong, während sie dem Kleinen den Kragen richtet und den Brotbeutel in die Hand drückt, bevor er sich umdreht und im Gebäude verschwindet. 

Seit dem 28. Februar 2011 bringt die 38-jährige Huang jeden Werktag Punkt acht Uhr ihren dreijährigen Sohn zum Kindergarten Yongchang in der wiederaufgebauten autonomen Kreisstadt Beichuan der Qiang in der Provinz Sichuan. Um 17.00 Uhr holt sie ihr Kind wieder ab.

Der Kindergarten ist nur zehn Gehminuten vom Heim der Huangs entfernt. Kurz vor Neujahr 2011 hat Huang zusammen mit 7 397 anderen Einwohnern an der Verlosung  der Wohnungen in der neuen Kreisstadt teilgenommen. Am 14.Januar 2011 haben Huang, ihr Ehemann Cheng Piyi und ihr Sohn Dorjee ihr neues Heim in der Zone A des Viertels Erma bezogen. Das Notquartier Yongxing, in dem sie zwei Jahre lang gelebt haben, ist für sie nur noch Geschichte. 

 

Sich von der Trauer lösen

 „Erma" heißt „wir" in der Sprache der Qiang. In der neuen Siedlung gibt es mehr als 6 000 Wohnungen für Menschen, die das Erdbeben obdachlos gemacht hat. Die Familie Huang wohnt im vierten Stock eines nagelneuen Gebäudes. Es ist eine 106 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung. Vor der Wohnungstür liegt eine rote Fußmatte, auf der ein Spruch Sicherheit auf allen Wegen wünscht. An der Wand hängen Teppiche, auf denen Huang eigenhändig Inschriften wie „Eine harmonische Familie sorgt für Glück" und „Langes Leben" gestickt hat. Außerdem gibt es Blumenbilder an der Tür zum Balkon. All dies zeugt davon, dass die Bewohner der Wohnung mitten im Leben stehen und optimistisch die Forderungen des Tages angehen.

„Das ist eine Stickerei, mit der meine Frau anfing, als wir noch im Notquartier lebten", sagt Cheng Peiyi voller Stolz; er zeigt dabei auf eine zwei Meter lange Stickerei, die über dem Fernseher hängt.

„Ich habe nach Feierabend jede Menge Zeit. Daher sticke ich jeden Tag. Insgesamt habe ich für diese Arbeit weniger als ein Jahr gebraucht", sagt Huang lachend. „Ich mag den Titel  'Aufgehende Morgensonne', weil er bedeutet, dass das Leben mit dem Sonnenaufgang immer besser wird."

Die starke Liebe zwischen den Ehepartnern, die gemeinsam durch dick und dünn gegangen sind, bildet die Grundlage für diesen Optimismus. Die beiden sind selbstbewusst und blicken voller Hoffnung in die Zukunft.

Vor dem Erdbeben der Stärke 8,0 auf der Richterskala am 12. Mai 2008 lebte die Familie in der Gemeinde Qushan der Kreisstadt Beichuan. Damals war Cheng als Techniker für den Betrieb der Dampfkessel in einem Kurhotel des Thermalbades Luofushan verantwortlich. Seine Frau arbeitete als Inspekteurin bei einer Firma für Elektroartikel. Als sich das Erdbeben ereignete, ruhte sich Cheng gerade zu Hause aus. Das starke Beben schleuderte ihn vom dritten in das zweite Stockwerk des Gebäudes. In aller Eile griff er nach seinem damals nur vier Monate alten Sohn und floh gemein mit seiner Frau aus dem Haus. Als er zur Grundschule der Gemeinde Qushan lief, um seine 10-jährige Tochter zu holen, sah er schon von weitem, dass das Schulgebäude durch einen Bergrutsch restlos zerstört worden war. Seine Tochter kam ums Leben.

Das Epizentrum des Erdbebens vom 12. Mai 2008 befand sich zwar in der Gemeinde Yingxiu, die zur Kreisstadt Wenchuan gehört, und immerhin in 140 Kilometer Entfernung liegt. Beichuan befindet sich zwischen dem Ausläufer des Himalaya und dem Ausläufer des Longmen-Gebirges. Als geologische Formation herrscht Schiefergestein in der Gegend vor. Die Auswirkungen des

 Erdbebens sind in der Kreisstadt Beichuan besonders schlimm – was immer die Gründe dafür sein mögen. Die Stadt hat jedenfalls die meisten Opfer zu beklagen und die größten Schäden zu verzeichnen. Fünf Gemeinden der Kreisstadt sind dem Erdboden gleichgemacht worden. Auch der Wiederaufbau sollte sich in Beichuan am schwierigsten gestalten. Am 25. Mai 2008, gerade einmal dreizehn Tage nach dem Erdbeben, fasste die chinesische Regierung den Entschluss, die autonome Kreisstadt Beichuan der Qiang an einer anderen Stelle wieder aufzubauen.

Nachdem die Erde vorläufig zur Ruhe gekommen war, ist Cheng zurück nach Hause gelaufen und hat dort unter Lebensgefahr die Urkunde geborgen, die sein Wohneigentum bestätigt. Danach hat er gemeinsam mit Huang und seinem Sohn bei Verwandten in Mianyang in der Provinz Sichuan Zuflucht gefunden. Drei Monate später ist Familie Cheng gemeinsam mit der Mutter von Huang Guiqiong ins provisorische Wohnviertel Yongxing gezogen, das nicht weit vom Sportstadion Jiuzhou in Mianyang entfernt liegt. Er half dort bei der Distribution von Hilfsgütern und im Sanitätsbereich. Seine Frau arbeitete in einer Fabrik als Inspekteurin. In ihrer Freizeit besuchte sie einen Kurs für den Tanz Guozhuang der Qiang und beschäftigte sich mit Stickereien. An Feiertagen gaben sie zur Unterhaltung mit den Nachbarn Tanzaufführungen in ihren improvisierten Wohnquartieren.

Die Erdbebenexperten haben von Juni bis August 2008 mehr als 20 Gemeinden im  ganzen Kreis Beichuan und über 300 Bergdörfer besichtigt und begutachtet. Schließlich kamen sie überein, die neue Kreisstadt bei Bandengqiao wiederaufzubauen. Bandengqiao ist 23 Kilometer südöstlich vom alten Standort der alten Kreisstadt entfernt, und liegt zwischen den Gemeinden Anchang und Huangtu. Nach Mianyang sind es etwa 40 Kilometer.

Laut  Li Xiaojiang, dem Direktor des Chinesischen Instituts für Stadtplanung, besteht in Bandengqiao nur eine sehr geringe Erdbebenwahrscheinlichkeit. Hingegen hält er es für wesentlich, dass die Qiang nach wie vor in einer Gegend leben können, die über Berge und Flüsse verfügt, denn dies ist ihr angestammter Lebensraum. Auch siedeln Qiang bereits seit alters in der Region um Bandengqiao. Für den Erhalt der Qiang-Kultur ist es also sehr vorteilhaft, die neue Kreisstadt an dieser Stelle zu errichten.

 Im Februar 2009 genehmigte das chinesische Mnisterium für Zivile Angelegenheiten eine Gebietsreform mit dem Ziel, die Gemeinden Anchang und Yongan sowie die Dörfer Changle, Hongyan, Shunyi, Hongqi , Wenquan und Dongyu verwaltungstechnisch der autonomen  Kreisstadt Beichuan der Qiang  zu unterstellen. Der chinesische Staatspräsident Hu Jintao verlieh der neuen Kreisstadt den Beinamen Yongchang, was so viel heißt wie „Ewigwährende Prosperität".

Beichuan ist damit bislang die einzige Kreisstadt Chinas, die an anderer Stelle neu errichtet wurde.

 

Auf die Zukunft setzen

Der zerstörerische Bergrutsch, die eingestürzten Häuser, die aufgerissenen Straßen … Die alte Kreisstadt Beichuan hat das große Erdbeben am 12. Mai und die Schlammlawine am 24. September durchgemacht und ist völlig zerstört worden.

 Dort ist auch der Ort, an dem Cheng Peiyi am traurigsten ist. Außer am buddhistischen Totenfest Qingming (2011 fiel es auf den 5. April) kommt Cheng auch am 100. Tag nach dem Erdbeben, am Neujahrstag, am Gedenktag für die Opfer des Erdbebens und am letzten Tag des Jahres nach dem chinesischen Kalender hierher, um der Seele seiner Tochter zu opfern. 

 Am 14. Mai 2010 wurde das Empfangszentrum der Gemeinde Leigu des Kreises Beichuan offiziell eröffnet. Nach der Umsetzung der Nothilfemaßnahmen, der Ausbesserung der Straßen und der neuen Beschilderung der Straßen im Umland ist die alte Kreisstadt zu einer Gedenkstätte für die Opfer des Erdbebens geworden, die nun seit knapp einem Jahr der Öffentlichkeit teilweise zugänglich ist. Täglich können bis zu 1 000 Besucher empfangen werden. 

Das Budget für den Unterhalt der Gedenkstätte und den Schutz der Ruinen liegt bei 677 Millionen Yuan. Die Tongji-Universität in Shanghai hat die Planung durchgeführt. Zum dritten Jahrestag des Erdbebens soll die Gedenkstätte ab 12. Mai in all ihren Bereichen öffentlich zugänglich sein.

Auf der Fahrt zur neuen Kreisstadt blickt Cheng stumm aus dem Fenster. Der Fluss Anchang durchzieht die neue Kreisstadt von Nordwesten nach Südosten. An seinem rechten Ufer liegt das langfristige Erschließungsgebiet der Stadt, links sind die Wohngebiete, Gewerbeflächen, Schulgelände und Verwaltungsgebäude. Beiderseits des Flusses sind immergrüne ökologische Korridore geplant. Sie sollen dazu beitragen, das Klima der von Bergen umgebenen Kreisstadt in Balance zu halten.

Am 12. Mai 2009 wurde offiziell mit dem Bau der Mittelschule Beichuan begonnen. Es war dies das erste Projekt für ein öffentliches Gebäude der neuen Kreisstadt. Du Hongling ist Beamter der Koordinationsstelle der Provinz Shandong in Beichuan. Er hat die Wiedergeburt der Kreisstadt miterlebt, vom Aufbau des provisorischen Wohnviertels über die Überwachung der Bauqualität bis hin zum Innenausbau der Neubauten.

Laut Du habe die Provinz Shandong insgesamt 4,4 Milliarden Yuan im Rahmen von 82 Projekten investiert, die sechs verschiedenen Kategorien angehören: dem Wiederaufbau von Gemeinden, öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen, der Infrastruktur, Aufforstungsmaßnahmen, Kulturtourismus sowie Industrieparks. Während des Wiederaufbaus wurde besonderer Wert auf Umweltschutz und die Wahrung des ökologischen Gleichgewichts gelegt. Die Regulierung der Flussläufe war ein weiteres wichtiges Anliegen beim Wiederaufbau. Insgesamt wurden 1,34 Millionen Quadratkilometeran Grünflächen ausgewiesen. Pro Einwohner sind dies rund 44 Quadratmeter. Der Anteil der Grünflächen am gesamten Stadtgebiet beträgt 46 Prozent. Mehrere Projekte haben die Auszeichnung "Tianfu" (Land des Reichtums) erhalten, das Prädikat für höchste Bauqualität, das von der Provinz Sichuan vergeben wird.

Bei der Planung der neuen Kreisstadt wurden der Erdbebensicherheit und dem Katastrophenschutz besondere Beachtung geschenkt. Alle Gebäude verfügen über Erdbebensicherheit der Stufe VII. Fluchtwege und erdbebensichere Schutzräume stehen flächendeckend zur Verfügung und sind in Grünanlagen, Sportstadien, öffentlichen Plätzen integriert. Die Anlagen zum Hochwasserschutz sind auf Überflutungen ausgelegt, wie sie alle dreißig Jahre vorkommen. Die Uferbereiche der Nebenflüsse können einem Hochwasser standhalten, wie es sich nur alle zehn Jahre einmal ereignet.

Am 25. September 2010 wurde die von der Provinz Shandong wieder aufgebaute Kreisstadt Beichuan der Regierung der Kreisstadt Beichuan vollständig übergeben.

Am 23. Januar 2011 wurde die neue Kreisstadt Beichuan offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Beim dritten Frühlingsfest nach dem Erdbeben lebten bereits mehr als 10 000 Menschen, die durch das Erdbeben obdachlos geworden waren, in der neuen Kreisstadt.

Du ist sich seiner Sache sicher: „Beim Wiederaufbau habe ich gemerkt, dass Bauqualität am wichtigsten ist. Die Gebäude, die wir errichtet haben, werden bei einem großen Erdbeben nicht zusammenbrechen und bei einem kleinen Erdbeben keine Schäden davontragen."

Momentan gibt es in der neuen Kreisstadt Wohnungen, Bildungs- und Unterhaltungsstätten, medizinische, kommerzielle und touristische Einrichtungen. Die neue Kreisstadt hat alle grundlegenden Funktionen zur Erfüllung ihrer Aufgaben als Lebensraum, Produktionsstandort und Verwaltungszentrum. Täglich wächst die Zahl ihrer Einwohner. Die Hauptgeschäftsstraße bietet auf 7 600 Quadratmetern moderne Einkaufsmöglichkeiten. Die Läden werden allmählich bezogen, die Innenstadt belebt sich. 

Beamte der Kreisregierung gehen in Dörfer, Straßenkomitees, Stadtviertel, Hilfsstationen, provisorische Wohnviertel und Firmen, um für die neue Stadt zu werben. Außerdem informieren sie die Einwohner über die aktuelle Politik. Sie verschaffen den Bürgern Arbeits- und Ausbildungsplätze in der neuen Stadt. Sie lassen ihnen Subventionen und Sozialhilfe zukommen. Ferner bündeln sie die Kräfte der Gewerkschaften, des Kommunistishen Jugendverbandes, des Frauenverbandes, des Behindertenverbandes, der Personalabteilung und der Abteilung zur Sozialabsicherung. Dadurch kombinieren sie aufs Engste die Berufsbildung und die Ausbildung arbeitsloser Bauern. Sie ergreifen alle nur denkbaren Maßnahmen, um den neuzugezogenen Bewohnern Arbeitsplätze zu verschaffen.

Als Cheng seinen Sohn Dorjee nach dem Kindergarten malen sah, lächelte er wieder.

Ein Jahr nach dem Erdbeben sagte Cheng gegenüber der Beijing Rundschau, dass es sein größter Wunsch sei, in der neuen Kreisstadt zu wohnen und dort seinen Sohn aufwachsen zu sehen. Der erste Wunsch ist heute bereits in Erfüllung gegangen. Und sein Sohn fühlt sich sichtbar wohl in der neuen Umgebung.

 „Viele meiner alten Nachbarn sind hier wieder zusammengekommen. Wenn ich im provisorischen Wohnviertel einen Job gehabt hätte, und mir hier kein Job geboten worden wäre, so würde ich doch lieber hier in der neuen Stadt leben", sagt Huang entschlossen. „Die neue Kreisstadt Beichuan wird noch immer aufgebaut. Wir haben der Regierung unsere tolle Wohnung zu verdanken. Ich bin überzeugt, dass es sich hier immer besser leben werden wird!"