17-01-2011
Meinung
Ergänzen statt konkurrieren
von Liu Xuecheng

Seit dem Ende des Kalten Kriegs, insbesondere aber seit dem Amtsantritt von US-Präsident Obama bleibt es eine Schlüsselfrage, wie die chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu definieren sind. Denn nur wenn diese grundlegende Frage geklärt wird, kann man mit einer gesunden Entwicklung der Beziehungen rechnen. In der Vergangenheit betrachteten die US-Regierungen ihre jeweilige Chinapolitik primär unter strategischen Gesichtspunkten, und die Strategien wechselten. Es fehlte an gegenseitigem Vertrauen. Durch ihre Abhängigkeit von inländischen Interessengruppen blieb die Chinapolitik der amerikanischen Präsidenten instabil. Man kann sagen, dass die China-Politik der USA seit langer Zeit durch Unberechenbarkeit geprägt ist. Um die sino-amerikanischen Beziehungen für alle Seiten vorteilhaft zu gestalten und auszubauen, müssen zunächst die bilateralen Beziehungen klar definiert werden. Dabei spielt die Vertiefung des gegenseitigen Vertrauens eine Schlüsselrolle. Angesichts des Erfolgs und der positiven Atmosphäre nach den Besuchen des chinesischen Außenministers Yang Jiechi in den USA sowie des US-Verteidigungsministers Robert Gates in China gibt es Anlass zu Optimismus. Es ist zu erwarten, dass der Staatsbesuch von Hu Jintao ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der bilateralen Beziehungen werden wird.

Im Mittelpunkt des Gipfeltreffens stehen Themen wie RMB-Wechselkurs, die unausgeglichene Handelsbilanz zwischen beiden Ländern, die Aufhebung der Einschränkungen beim Export von Hi-Tech-Gütern nach China, der Schutz der Menschenrechte, die Religionsfreiheit sowie der Status Chinas als Marktwirtschaft. Ebenfalls auf der Tagesordnung dürften regionale Probleme wie die Atomfrage im Iran und in Nordkorea stehen, denn Entnuklearisierung und Stabilität in diesen Regionen sind für China und die USA von gemeinsamem Interesse. In Fragen wie Energiesicherheit, Klimawandel, Entwicklung erneuerbarer Energien sowie Kampf gegen Terrorismus haben die beiden Länder ebenfalls mehr Übereinstimmungen als Meinungsverschiedenheiten vorzuweisen.

In letzter Zeit haben die USA mehrmals Flugzeugträger in ostasiatische Seegebiete geschickt, um militärische Stärke zu demonstrieren. Dies ist ein Hinweis darauf, dass manche amerikanische Politiker immer noch der Denkweise des Kalten Kriegs unterliegen. Das Drohen mit Waffen erscheint ihnen viel effektiver zu sein als Verhandlungen. Aber es gibt auch Zeichen dafür, dass US-Politiker begriffen haben, dass Partnerschaft in der Tat der Schlüssel für friedliche Entwicklung und Kooperation ist.

China und die USA sollten gemeinsam die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel vorantreiben, um so in Nordostasien langfristig Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Für beide Länder ist dies von größter Bedeutung. Seit dem Ausbruch der Atomkrise in Nordkorea haben China und die USA enge Zusammenarbeit und Konsultationen gepflegt. China vertritt die Meinung, dass Nord- und Südkorea Zurückhaltung üben sollten und die Denuklearisierung am besten durch die Sechser-Gespräche gefördert wird.

Die Taiwan-Frage betrifft die Kerninteressen Chinas, aber als ein Teil der US-Außenpolitik wird der Waffenverkauf an Taiwan nicht von heute auf morgen aufgehoben werden. Die USA wollen auf diese Weise Stärke in der Außenpolitik zeigen. Anfang 2010 hat China wegen des Verkaufs von Waffen an Taiwan den militärischen Austausch mit den USA unterbrochen, der erst mit dem Besuch des US-Verteidigungsministers Gates in China wieder aufgenommen wurde. Sowohl China als auch den USA ist es klar, dass Spannungen und Konfrontation nur Schaden stiftet. Es ist zu erwarten, dass auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen zunächst die sino-amerikanischen Beziehungen als positiv und konstruktiv bewertet, dann aber auch die jeweiligen Standpunkte und politischen Positionen in Hinblick auf die wichtigen regionalen und internationalen Fragen ganz offen behandelt werden. Es gibt sicher Meinungsverschiedenheiten in manchen Fragen. Man tut gut dran, nicht zu große Hoffnungen auf das Treffen zu setzen, denn es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass mit einem Schlag alle seit Jahrzehnten ungelösten Fragen beigelegt werden können.

Ein friedliches und günstiges Entwicklungsklima zählt für China zu den Kerninteressen. Die USA werden ihren Status als die stärkste Nation der Welt für lange Zeit beibehalten, während China heute bereits die größte Wirtschaftsmacht Asiens geworden ist. Kooperation und Konkurrenz werden langfristig zwischen den beiden Riesen zu beobachten sein. Wichtig ist, dass beide Länder durch ständigen Dialog Missverständnisse abbauen, das Spektrum gemeinsamer Interessen erweitern und so unnötige Konflikte vermeiden können. China und die USA sollten den Umfang ihrer Zusammenarbeit erweitern. Nur so können die beiden Länder sich mit den jeweiligen Stärken ihrer Volkswirtschaften ergänzen. Während des Besuchs von Hu Jintao in den USA werden eine Reihe von Kooperationsverträgen in den Bereichen Handel, Energie, Umweltschutz, Infrastruktur und Wissenschaft unterzeichnet. Rückblickend kann man feststellen, dass jeder Staatsbesuch den bilateralen Beziehungen Schub verliehen hat. Es hat sich stets erwiesen, dass sowohl China als auch die USA dazu bereit sind, die bilateralen Beziehungen auszubauen und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität in der Welt einzusetzen.

 

Liu Xuecheng ist Asienexperte und Experte für die Asienpolitik der USA. Er ist Professor am Forschungsinstituts für internationale Fragen der Universität für Außenpolitik, der wichtigsten Ausbildungsstätte für die Diplomaten der Volksrepublik. Ferner bekleidet er das Amt des Vize-Direktors des Forschungszentrums für sino-amerikanische Beziehungen an der Tsinghua-Universität in Beijing.