Zwar ist das offizielle Gründungsdatum der Sonderwirtschaftszone der 26. August 1980, aber die erste Etappe in Richtung Modernisierung der Region war im Jahr 1979 die Eröffnung des Shekou-Industriebezirks. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde hier zum ersten Mal entgegen den Prinzipien von Planwirtschaft und Kollektivismus gehandelt" /> Shenzhen: Vom Fischerdorf zur modernen Metropole
25-08-2010
30 Jahre Versuchslabor Shenzhen
Shenzhen: Vom Fischerdorf zur modernen Metropole
von Lü Ling

"Von einem kleinen Fischerdorf an der Grenze zu Hongkong ist Shenzhen zu einer modernen Metropole geworden", fast alle Vorträge über Shenzhen beginnen mit diesem Satz. Heute ist der Lianhuashan-Park, der auf der gleichen Magistrale wie der Zentralplatz liegt, der beste Aussichtspunkt, um einen Blick auf die Skyline der Stadt zu werfen: Wolkenkratzer reiht sich an Wolkenkratzer, jeder in einem anderen Stil gebaut. Der Anblick ähnelt der Betrachtung eines alten chinesischen Rollbilds: in den letzten dreißig Jahren wurde das Stadtbild langsam entrollt und trat allmählich dem Betrachter als Bild der neuen Zeit vor Augen. Eine Miniatur – so die einhellige Meinung – die Auskunft gibt über der Erfolg der Reform und Öffnung in ganz China. 

Zwar ist das offizielle Gründungsdatum der Sonderwirtschaftszone der  26. August 1980, aber die erste Etappe in Richtung Modernisierung der Region war im Jahr 1979 die Eröffnung des Shekou-Industriebezirks. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde hier zum ersten Mal entgegen den Prinzipien von Planwirtschaft und Kollektivismus gehandelt: Für jede Schubkarre Erde, die man zusätzlich zur Norm bewegte, gab es eine Zulage in Höhe von vier Cent. Modern ausgedrückt gab man einen Leistungsanreiz. Niemand hat damals daran gedacht, dass die Zentralregierung von dieser Maßnahme auch nur Notiz nehmen würde. Aber gerade diese „vier Cent" lösten einen Run auf die Sonderwirtschaftszone aus: Boomtown Shenzhen war geboren. Die eingeschlagene Richtung hatte Rückwirkungen auf das ganze Land. Von Süden bis Norden wurde das System starrer Planwirtschaft allmählich durchlöchert.  

Im August 1980 nahm der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses eine Regelung über den Aufbau von Sonderwirtschaftszonen an. Die Sonderwirtschaftszone Shenzhen wurde offiziell ins Leben gerufen. Mit der Änderung des Wirtschaftssystems setzte der Zustrom von Talent, Kapital und Technologie nach Shenzhen ein. Bis heute ist er nicht versiegt. Die Ankunft talentierter Menschen spielte die Schlüsselrolle bei die Entwicklung der Stadt. Shenzhen war und ist eine Stadt der Zuwanderer. Shenzhen, das war ein Reservat der „unbegrenzten Möglichkeiten", in dem sich Menschen aus ganz China daranmachten, ihre Träume zu verwirklichen. 

Als die ersten Unternehmen damit begangen, aus angelieferten Teilen mit Hilfe mitgelieferter Blaupausen ihre Produkte zu montieren und die ersten Bodenauktionen veranstaltet wurden, bekamen die Menschen wieder eine Vorstellung vom Wert des Kapitals und der Arbeitskraft. Das Denken des Menschen und sein Alltagsleben haben sich in der Folge nachhaltig verändert. Shenzhen erlangte Modellcharakter für den Aufbau der Marktwirtschaft in China. 

In den ersten zwanzig Jahren setzt man in Shenzhen mit der Herrschaft der Fertigungsindustrie voll und ganz auf die Wirtschaft. Im Jahr 2000 ist Shenzhen die Stadt mit dem höchsten BIP pro Einwohner in ganz China. Aber mit dem Wachstum der Wirtschaft geriet Shenzhen in einen Kapazitätsengpass, der sich sei dem Jahr 2002 abzeichnete. Ein Zeitungsartikel unter der Überschrift: „Shenzhen, wer hat dich im Stich gelassen?" erregte damals im ganzen Land Aufsehen. Die Sorge wuchs, dass Shenzhen seine Rolle als Motor nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Fortschritts verlieren könnte. Shenzhen stand erneut vor einer historischen Herausforderung.  

Als das Wort von der im Stich gelassenen Stadt die Runde machte, begann der Wegzug großer Unternehmen aus der Stadt. Jahr für Jahr kehrten mehr Betriebe der Stadt den Rücken. Im Jahr 2005 kommt sogar das Gerücht auf, dass die vier wichtigsten Unternehmen mit Hauptsitz in Shenzhen die Region verlassen wollen: „Huawei", „Zhongxing", „Merchant Bank" und „Pingan". Die Befürchtungen erweisen sich zwar rasch als unbegründet, aber die Bewohner der Stadt bleiben nervös.

Man beginnt, sich um den Verlust des Reformgeistes in Shenzhen zu sorgen. „Die Reformarbeit wird immer zäher, die bislang von Reformen unberührten Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft sind ganz besonders harte Nüsse, die nur schwer zu knacken sind," meint Wang Min, Chef des Amtes für Sozialabsicherung und Arbeit in Shenzhen. Heute ist Shenzhen eine riesige Metropole mit über zehn Millionen Einwohnern und einer schier unübersichtlichen Gemengelage gegensätzlichster Interessen: „Jede Reform kann Widerspruch hervorrufen. Denn jede Veränderung berührt immer die Interessen einzelner Gruppen. Um Reformen durchzusetzen, bedarf es außergewöhnlichen Mutes. Zudem geht das Reformprogramm der Sonderwirtschaftszone heute schon weit über eine Reform des Wirtschaftssystems hinaus. Es hat sich eigentlich schon zu einer Reform des Gesellschaft ausgewachsen. Besonders wichtig ist eine Verwaltungsreform, denn eine Millionenstadt hält andere Herausforderungen für die kommunale Verwaltung bereit als ein Fischerdorf", sagt Zhong Jian, Direktor des Forschungszentrums für chinesische Sonderwirtschaftszonen an der Universität Shenzhen.

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