Um mehr über die Ursachen für die verheerende Schlammlawine von Zhouqu zu erfahren, hat News Sichuan ein Interview mit Professor Fan Xiao gemacht, dessen Beiträge regelmäßig in geologischen Fachzeitschriften veröffentlicht werden.
News Sichuan: Professor Fan, können Sie die Gründe für die Schlammlawine von Zhouqu erläutern?
Fan Xiao: Im Einzugsgebiet des Flusses Bailong finden häufig Erdrutsche statt. So blockierte im Jahr 1981 ein Erdrutsch den Flusslauf, wodurch Wasser zu einem See aufgestaut wurde. Ein Teil von Zhouqu wurde überflutet. Die gegenwärtige Schlammlawine hat sich in zwei Tälern im Norden des Kreises Zhouqu ereignet. In der Vergangenheit waren diese zwei Täler bereits häufiger von Schlammlawinen betroffen. Tatsächlich liegt der Landkreis Zhouqu auf einer durch Schlammlawinen entstandenen Aufschüttungsebene. In den vergangenen 180 Jahren sind hier elfmal große Schlammlawinen abgegangen. Schon die Schlammlawine vom 4. Juni 1992 hatte schlimme Konsequenzen: Ingesamt 87 Menschen sind damals ums Leben gekommen, zahlreiche weitere wurden verletzt. Umfang und Intensität einer Schlammlawine hängen von der Regenmenge ab. Diesmal war die Niederschlagsmenge größer als jemals zuvor, der Umfang der Schlammlawine ist ebenfalls größer und der Verlust ist schwerer als bei vergleichbaren Ereignissen.
Im Sanyan-Tal wurde einige Projekte zur Vorbeugung von Schlammlawinen in Angriff genommen, aber wegen Geldknappheit sind diese Projekte nicht vollendet worden. Es gibt auch Probleme beim Frühwarnsystem. Zwei Stunden nach dem Wolkenbruch ist die Schlammlawine abgegangen. Noch während des starken Regenfalls sollte man eine Frühwarnung herausgeben. In der Stadtplanung sollte ein Korridor berücksichtigt werden, in den die Schlammlawine fließen kann ohne größere Schäden zu verursachen. Aber aufgrund der wachsenden Ausdehnung der bebauten Flächen stehen heute viele Gebäude mitten in der Gefahrenzone. Wenn eine Schlammlawine kommt, sind dann schwere Schäden und Verluste unvermeidlich.
News Sichuan: Gibt es neben starker Niederschläge und unzureichender Vorsorge noch andere Ursachen für die Katastrophe?
Fan Xiao: Gerade haben wir über Projekte von Menschenhand gesprochen. Diese wirken sich nicht nur auf den Kreis Zhouqu aus, sondern beeinflussen das gesamte Einzugsgebiet des Bailong-Flusses. Früher war der Bestand an bewaldeten Flächen sehr hoch. Durch die Abholzung von den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die 90er Jahre schrumpfte die Fläche um mehr als 47 000 Hektar. Die Bodenerosion wird immer gravierender.
Ein anderer wichtiger Grund ist die Ausdehnung des Ackerlandes. Es herrschen rund 2500 Meter Höhenunterschied zwischen dem Kreis Zhouqu und dem Randgebirge. Man hat auf Berghängen mit 40 Prozent Gefälle Felder angelegt. Ackerland auf solch abschüssigem Terrain ist eine latente Gefahr für die Umwelt.
Eine weitere Ursache ist die Erschließung der hydroelektrischen Energie seit 2000. In Gannan sind 156 Wasserkraftwerke gebaut worden, einige weitere sind geplant. Der Bewuchs wird durch die Aufbauprojekte zerstört und somit die Fläche ausgedehnt, die der Bodenerosion ausgesetzt ist. Der Abräumschutt und Bauabfälle werden einfach im Tal gelagert. Diese losen Erdhäufen bieten ideale Bedingungen zum Entstehen einer Schlammlawine. Wenn es dann noch sehr stark regnet, ist ein Erdrutsch unvermeidlich. Der letzte und wichtigste Grund für die Katastrophe aber sind die Erweiterung des menschlichen Siedlungsraumes und der Aufbau einer Verkehrsinfrastruktur. Diese Bebauung destabilisiert die Böden. In einem Gebiet, in dem geologische Ereignisse schon allein aufgrund der natürlichen Verhältnisse gehäuft auftreten, verschärfen Bauprojekte zusätzlich das Ausmaß einer Katastrophe. Es gibt zwei Phasen: Vor dem Jahr 2000 wurde die Umwelt hauptsächlich durch Rodungsmaßnahmen und starken Holzeinschlag geschädigt. Nach dem Jahr 2000 sind Infrastrukturmaßnahmen der Hauptverursacher von Umweltschäden. Vor allem der Bau von Wasserkraftwerken, Ausdehnung der Siedlungsflächen und Verkehrsprojekte sind hier zu nennen.
News Sichuan: Wenn man derartige Großprojekte angeht, ist eine Genehmigung erforderlich. Man wird eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellen, um die Risiken abzuschätzen. Fehlt es an der Umsetzung von Bauauflagen?
Fan Xiao: Es gibt noch viele Probleme. In den letzten zwei Jahren haben einige meiner Kollegen Artikel über die Lage des Umweltschutzes in Gannan vor dem Hintergrund der Erschließung der Wasserkraft geschrieben. Sie haben Verstöße der Kommunalverwaltungen gegen geltendes Recht hervorgehoben. Zur Anwerbung von Investitionen senken die Lokalregierung die Umweltstandards. Einige Projekte sind sogar ohne Genehmigung begonnen worden.
News Sichuan: Warum gibt es in diesem Jahr so häufig sintflutartige Regenfälle?
Fan Xiao: Die Zunahme extremer Wetterereignisse hängt mit dem globalen Klimawendel zusammen, also zum Beispiel der Erderwärmung. In unserem Land ist die Provinz Gansu nur ein Beispiel unter vielen. Andere Provinzen stehen vor einer ähnlichen Situation. Zahlreiche Großprojekte liegen in den Gebirgsgebieten im Westen des Landes, also dort, wo regelmäßig geologische Erscheinungen registriert werden. Diese Projekte greifen in die Topografie der Erdoberfläche ein und beeinflussen die Qualität der Böden durch Zerstörung des Pflanzenbewuchses und Bodenerosion. Katastrophen finden immer häufiger statt und sind stärker geworden. Deshalb sollten Planung, Bauausführung und Finanzierung von Projekten besser geplant und überwacht werden.
News Sichuan: Der Kreis Zhouqu liegt im Erdbebengürtel von Wenchuan. In dieser Zone liegen viele Gebiete, die von Naturkatastrophen betroffen sind. Was können wir aus der Katastrophe von Zhouqu lernen?
Fan Xiao: Es ist schwer das Wetter zu kontrollieren. Wir können über den Einfluss der riesigen Anzahl von Bauprojekten nachdenken und Erfahrungen auswerten. Die Wirtschaftsentwicklung darf nicht ungehemmt erfolgen. Wir brauchen wissenschaftliche Planung und eine Diskussion der eingereichten Pläne. Die Aufbauprojekte sollten nach einheitlichen Standards erfolgen und immer von einer Umweltverträglichkeitsstudie begleitet sein. Wir müssen zu umfassenden Kosten-Nutzen-Rechnungen kommen und dabei Umweltaspekte berücksichtigen. Wir müssen uns über latente Gefahren bewusst sein.
Bei der Städteplanung müssen verstärkt die jeweiligen geologischen Bedingungen berücksichtigt werden. Die Dichte der Bebauung ist abhängig von der Fläche eines Gebietes. Wenn die Ausdehnung der Siedlungsfläche einen gegebenen Rahmen sprengt, ist die Stadt so gefährdet wie eine Porzellankiste. Aber das bedeutet nicht, dass die Stadt verlegt werden muss. Es bedarf lediglich einer sorgfältigen Planung. Man kann recht genau sagen, welche Abschnitte auf jeden Fall bei einer Katastrophe betroffen sein werden. Diese Zonen müssen unbebaut bleiben oder durch Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden.
Außerdem ist ein Frühwarnsystem wichtig. Katastrophen wie Schlammlawinen haben Vorzeichen. Vom Einsetzen der Regenfälle bis zur Entstehung der Schlammlawine vergehen einige Stunden. In besonders gefährdeten Gebieten sollen Warten eingerichtet werden. Während der Regenzeit müssen diese Warten besetzt sein, damit rechtzeitig Alarm ausgelöst werden kann.
Die Bewohner der Gebiete am Unterlauf des Bailong sollten die Fähigkeit erwerben, sich selbst zu helfen und zwar bereits durch die Abwehr einer Katastrophe. Und sie sollten an Evakuierungsmanövern teilnehmen. Katastrophenschutz ist ein vollständiges System. Schon bevor eine Katastrophe einsetzt, sollten wir alle Maßnahmen ergreifen, um die Verluste so gering wie möglich zu halten.
News Sichuan: Es ist gefährlich, dass so viele Leute in diesem katastrophengefährdeten Gebiet wohnen. Müssen sie umgesiedelt werden?
Fan Xiao: Diese zwei Täler mit hohem Risiko für die Entstehung einer Schlammlawine sind in der Tat eine Gefahrenquelle für den Landkreis. Links und rechts der Talsenken wird die Stadt nicht wieder aufgebaut werden. Aber die Sicherheitszone dazwischen kann man für Besiedlung in Erwägung ziehen. Man braucht nur entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Der Wiederaufbau der Stadt soll vernünftig geplant und verantwortungsbewusst umgesetzt werden. Und ein System zur Verhinderung von Katastrophen sollte lückenlos aufgebaut werden. |