Kann man sagen, dass Sozialismus in China große Erfolge erzielt hat?
Das kann man ganz gewiss sagen, die chinesischen Kommunisten haben nach dem Ende der Mao-Ärä aus den Fehler gelernt. Deng Xiaopings Politik der Reform und Öffnung ist eine sehr gute Idee, und sie ist erfolgreich gewesen. Damit wurden die Schwierigkeiten der überzentralisierten Planwirtschaft behoben. Es gibt weiter Planwirtschaft, aber die Planung ist lockerer und offener geworden. Am Anfang war ein direkter Plan in der großen Not notwendig, aber wenn die Wirtschaft sich weiter entwickelt und sich diversifiziert, dann muss man öffnen. Die Planwirtschaft muss sich im Laufe der Zeit ändern. Ich finde die Leistung von Deng Xiaoping bewundernswert. Er hat u.a. gesagt: Markt und Plan sind keine Gegensätze. Im Sozialismus gab und gibt es immer Markt. Nur wenn man die Menschen arbeiten läßt und ihnen Anteil am Fortschritt gibt, dann machen alle motiviert mit.
Deng Xiaoping war ein bedeutender Kommunist, der das praktische Leben der Menschen gekannt hat. Er hat es verstanden, die Menschen zu großen Anstrengungen zu motivieren. Und er war kein Autokrat, sondern hat immer wieder mit seine Genossen und den Fachleuten gesprochen, auf sie gehört, keine einsamen Beschlüsse gefaßt. Mit vielen klugen Köpfen hat er sich beraten, wie es weiter gehen sollte.
China hat den Erfolg vorzuweisen, dass alle Menschen satt zu essen haben, alle Kinder in die Schule gehen. Das Land ist heute ein wichtiger Faktor in der Welt. Das Land hat sich modernisiert und wird sich weiter modernisieren. Es ist imstande, alle Probleme zu lösen, zwar nicht an einem Tag, aber nach und nach. Ich denke, es ist wichtig, dass man, nachdem die Produktion gestiegen ist, die anderen Problemen in Angriff nimmt, z. B. Umweltschutz, sparsamer Gebrauch von Ressourcen, Sozialpolitik, Ausbau des Gesundheitswesen, alle Menschen müssen sozial versichert sein, u.s.w. Aber zuerst mußte die Regierung dafür sorgen, dass jeder satt wird, dass hat sie getan.
Was sind die Aussichten des Sozialismus?
Ich denke, die gegenwärtige Zeit, die große Krise des Kapitalismus zeigt, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein kann. Ich habe eine andere große Krise des Kapitalismus erlebt: 1929-1933. Die Weltwirtschaftskrise heute hat den gleichen Charakter wie 1929, aber ist viel breiter und tiefer. Es ist eine Krise, die zum Kapitalismus gehört. Die kapitalistische Gesellschaft ist mangelhaft.
Ich denke, der Sozialismus kann und muss ein besseres System schaffen, das kann in Deutschland nicht genau so sein wie in China, Vietnam oder Kuba.
Ich sehe heute, dass die chinesischen Kommunisten eine andere Politik betreiben als die deutschen Kapitalisten und ihre Regierung. In Deutschland werden die Löhne gesenkt, in China werden die Löhne erhöht. China versucht, den Lebensstandard der Menschen zu verbessern, den inneren Markt zu vergrößern, in Deutschland schrumpft der Binnenmarkt. Es gibt da einen großen Unterschied in den Wegen zur Lösung der Krise, deswegen fahre ich im September zum 14. Mal nach China, um zu erfahren, was die chinesischen Kommunisten in der Krise machen.
Die Zukunft gehört dem Sozialismus, aber der Sozialismus kann nicht irgendeinem Modell folgen, er muss vielmehr in jedem Land anders aussehen. Man muss sich nach den natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen des einzelnen Landes richten. Es kann sein, dass China mit seinem Entwicklungsweg vollen Erfolg hat, aber noch ist es für uns deutsche Sozialisten kein Vorbild für eine Kopie. Es gibt keine Vorbilder, jedes Land hat einen eigenen Weg zu suchen, Also müssen Sozialisten nachdenken, wie sie den Sozialismus selbst aufbauen.
Wie soll man heute Marxismus verstehen, ist dieser schon Geschichte geworden?
Der Marxismus ist ein Stück der Geschichte, aber auch ein Stück der Gegenwart. Man darf den Marxismus nicht als eine Bibel oder ein Rezeptbuch betrachten; man muss ihn auffassen als ein Instrument zur Analyse, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Gesellschaft untersuchen, auch eine sozialistische Gesellschaft, um diese besser verstehen zu lernen. Insofern ist der Marxismus immer noch sehr wichtig. Aber man darf nicht sagen, Marx hat dieses oder jenes geschrieben, das wir genau befolgen müssen. Marx hat vor 160 Jahren geschrieben, als der Kapitalismus noch jung und ganz anders war. China ist bereits in einer nachrevolutionären Phase, also muss der Marxismus weiter entwickelt werden und zwar unabhängig von der Partei und der Regierung. Man muss imstande sein, Fehler und Irrtümer in der sozialistischen Gesellschaft zu erkennen und zu kritisieren.
Welche Vorschläge haben Sie für die KP Chinas, was soll man heute besonders beachten?
Ich habe keine Vorschläge für die KP Chinas, dazu sehe ich mich nicht in der Lage. China ist ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen und verfügt über große Traditionen und große Leistungen. Da bin ich nicht fähig und willens, zu sagen, was die Regierung tun soll. Ich denke, unter den 1,3 Milliarden Menschen gibt es genügend kluge Menschen, die den besten Weg finden können und finden werden.
In der führenden bürgerlichen Presse wird überwiegend abwertend über China geschrieben, und man möchte China belehren. Sachliche Kritik finde ich notwendig, aber ich denke, die deutschen Kapitalisten haben kein Recht, andere Länder und Völker über Demokratie und Menschenrechte zu belehren.
Ich habe keine Vorschläge für China, aber die Hoffnung, dass die chinesischen Kommunisten nach und nach alle ihre Probleme lösen werden, dass sie weiterhin eine defensive Außenpolitik betreiben, aktiv ihr Haus aufbauen und verbessern, dass sie mit den anderen Ländern, auch den nicht-sozialistischen Ländern, normale diplomatische Beziehungen aufrecht erhalten, dass sie ihr Land so entwickeln, das es als Beispiel dafür dienen kann, was ein Entwicklungsland aus eigener Kraft leisten kann.
Lebenslauf von Theodor Bergmann:
Theodor Bergmann wurde 1916 als siebtes Kind eines Rabbiners in Berlin geboren. 1927 trat er dem Jungspartakusbund und dem Sozialistischen Schülerbund bei. Doch er verließ bald beide Organisationen, da sie unkritisch der Linie der KPD folgten. 1929 schloss er sich der Jugendorganisation der soeben gegründeten KPD-Opposition an. Unmittelbar nach der Machtübergabe an Hitler 1933 musste er aber Deutschland verlassen und arbeitete als Landarbeiter zuerst in Israel (Palästina), dann bis 1938 in der Tschechoslowakei und anschließend in Schweden. Nach seiner Rückkehr 1946 in die britische Zone Westdeutschlands gab er mit seinen Freunden die Zeitschrift der unabhängigen Kommunisten „Arbeiterpolitik" heraus. Nach dem Studium der Agrarwissenschaft in Bonn promovierte er 1955 an der Universität Hohenheim zum Strukturwandel in der Landwirtschaft Schwedens. Nach einem Intermezzo in der Erwachsenenbildung und einer Tätigkeit für die Landwirtschaftskammer Hannover kehrte er 1965 an die Universität Stuttgart-Hohenheim zurück, wo er sich 1968 habilitierte. Im gleichen Jahr ergreift er Partei für die Reformkommunisten des „Prager Frühlings". 1971/72 Gastprofessor in Australien, erhielt er 1973 in Hohenheim eine Professur für International Vergleichende Agrarpolitik. Seit Ende 1989 ist er Mitglied erst der PDS, jetzt der Linken. Zahlreiche Forschungsreisen und sein Engagement als „kritischer Kommunist" führten ihn in viele Länder der Welt. Theodor Bergmann ist Autor, Herausgeber und Übersetzer von 53 Büchern zur Agrarpolitik und zur Geschichte der Arbeiterbewegung. |