Vor dem 60-jährigen Jubiläum der Gründung des V.R.Chinas hat Professor Theodor Bergmann, ein 93-jähriger Wissenschaftler und langjähriger Abonnent der Beijing Review, der sich selbst als „kritischen Kommunisten" bezeichnet, mit der Journalistin der Beijing Rundschau über seine Vorstellungen von der sozialistischen Gesellschaft nach der Gründung der V. R. China und seine Ansicht von der Zukunft von Sozialismus und Marxismus gesprochen.
Beijing Rundschau: Wie reagierte man in Europa als Mao Zedong vor 60 Jahren die Gründung der Volksrepublik China ausrief?
Theodor Bergmann: 1949 war bei den Werktätigen und Sozialisten eine große Begeisterung. Wir haben damals noch nicht viel gewusst über die weltweite Entwicklung, aber dass die chinesischen Kommunisten imstande waren, sich gegen die kapitalistische Mächte zu behaupten und zu siegen, war eine ganz große Sache, ein historisches Ereignis.
Damals hoffte man, dass nach dem Sieg der Kommunisten, der Sowjetunion über Hitler-Deutschland, der Jugoslawen gegen die Faschisten, die Welt sich verändern werde, und der Sozialismus sich in weiteren Ländern ausbreitet. Wir als kritische Kommunisten haben gesagt, es sei sehr gut, dass jetzt nicht Stalin allein an der Macht ist, dass jetzt der Kommunismus vielfältig wurde. Dass keiner allein die kommunistische Weltbewegung dominieren und deren Richtung bestimmen kann, ist eine große positive Veränderung: vom Monopolanspruch Stalins zur Vielfalt, zum Polyzentrismus.
Das Bürgertum hat natürlich ganz anders gedacht. Bei den Kapitalisten haben die Siege der chinesischen Kommunisten, der Jugoslawen, der roten Armee der Sowjetunion Angst ausgelöst und zu einem verstärkten Antikommunismus geführt. Das Wort von Winston Churchill von 1946 hat sich durchgesetzt: „Wir müssen die Ausbreitung des Kommunismus bekämpfen, wir müssen den Kommunismus eindämmen." Das war der Beginn des Kalten Krieges. Die Eindämmung, das war damals die Vorstellung der kapitalistischen Welt, die Kapitalisten konnten sich nicht vorstellen, dass es noch ein anderes System geben muss als der Kapitalismus.
Haben Sie irgendeinen Spitzenpolitiker Chinas getroffen?
Ich habe zwar nicht die ganz großen Leute getroffen, aber einige interessante Menschen. ich bin seit 1978, zwei Jahre nach Maos Tod, immer wieder nach China gefahren und habe immer meine Reisen selbst bezahlt. Ich wollte nicht offiziell eingeladen werden. Dank meinem großen Interesse an China habe ich verschiedene Leute kennen gelernt, z. B. Wang Guangmei, die Witwe von Liu Shaoqi, Du Runsheng, einen der großen Agrarfachleute sowie Israel Epstein, den jüdischen Polen, der chinesischer Staatsbürger geworden ist, und eine ganz Reihe Kollegen aus meinem Fach, der Agrarökonomie.
Wie haben Sie Wang Guangmei kennen gelernt und welchen Eindruck haben Sie von den chinesischen Kommunisten?
Ich habe die Werke von Liu Shaoqi in zwei Bänden auf Deutsch herausgegeben - noch vor den Chinesen, und in diesem Buch einen Beitrag über Liu Shaoqi geschrieben, da ich Liu Shaoqi für einen sehr klugen Maxisten halte. Er war zum Beispiel der Ansicht, man könne auch durch Selbstschulung ein guter Kommunist werden. Das Buch habe ich Wang Guangmei geschickt und sie dann 1994 persönlich getroffen. Zwei Stunden hat sie auf Chinesisch gesprochen, obwohl sie gut Englisch konnte, die Übersetzerin hat jeden Satz übersetzt, ich habe gut zugehört.
Ich finde, diese bedeutenden chinesischen Kommunisten, sowohl Wang Guangmei als auch Israel Epstein, waren sehr ansprechbar und sehr offen. Alle meine Gesprächspartner waren bereit, über die großen Probleme zu sprechen.
Welche Probleme interessierten Sie damals?
1978 bin ich zum ersten Mal in China gewesen. Ich habe mich natürlich dafür interessiert, was passiert nach Maos Tod, was machen die chinesischen Kommunisten nach seinem Tod, um seine Fehler zu korrigieren, worüber wird diskutiert. Deng Xiaoping hat schon damals angeregt, alle Opfer der Kulturrevolution zu rehabilitieren. Nach meiner Meinung sind „der Große Sprung nach Vorn" und die „Kulturrevolution" große Fehler gewesen. Fei Xiaotong, der 1978 gerade rehabilitiert wurde, sagte, „Kulturrevolution? Keine Kultur, keine Revolution, bsondern Konterrevolution."
Als kommunistischer Agrarökonom interessierte ich mich, wie gehen die Kommunisten mit den Bauern um, ein agrarökonomisch-politisches Problem für Marxisten. Bei meinem ersten Besuch gab es noch Volkskommunen, als ich 1980 zum zweiten Mal kam, wurden die Volkskommunen schon in Frage gestellt.
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