Meine Hauptstadt-Odyssee hat ein Happy End: Nach einem Jahr im Westen (Xizhimen, zu viele Rentner), einem weiteren Jahr im tiefsten Osten (Shilipu, Hochhaustristesse am Stadtrand) bin ich nun in Andingmen gelandet. Und das ist die perfekte Mischung für mich. Es ist mitten in der Stadt und doch dörflich, es ist international und hat mit seinen zahlreichen Hutongs gleichzeitig traditionellen chinesischen Charme.
In den zahllosen kleinen Geschäften an der Andingmennei gibt es nichts, was es nicht gibt (Fotos: Maike Schulte)
Paradies für hungrige Ausländer: Ganz am Ende des Yongkang Hutong stößt man auf "Chez Gérard", ein kleines Lädchen mit importieren Lebensmitteln aus aller Welt.
Typischer Anblick: Herausgeputzte Hauseingänge und Teehäuser.
Gewöhnlich zieht es Ausländer in den Osten der Stadt, nach Sanlitun oder in Richtung Dongzhimen. Zum einen wegen der vielen anderen Ausländer, die gerade am Anfang ein Gefühl der Vertrautheit in einer fremden Kultur vermitteln und natürlich wegen des abwechslungsreichen Kultur- und Nachtlebens. Aber genau darum hat der Osten der Stadt auch einen großen Nachteil: Wohnungen sind extrem teuer.
Für mein persönliches Beijing-Drama "Wohnungssuche, Teil 3" gab mir mein Chinesischlehrer den Tipp, genau in die Mitte der Stadt zu ziehen. Von Andingmen seien Arbeit (im Westen) und Vergnügen (im Osten) jeweils nur eine komfortable halbe Stunde entfernt, riet er ganz pragmatisch. Bis dahin waren die Gegend und die gleichnamige U-Bahnhaltestelle an der Linie 2 für mich nur Durchgangsstation. Einen Zwischenstopp hatte ich nur für den Ditan-Park eingelegt. Und anders als der Park erschien mir seine Umgebung als ziemlich farblos. Im Straßenbild die üblichen Wohnblöcke aus den 1970er und 1980er Jahren, das ehemalige Stadttor aus der Ming-Dynastie war zusammen mit der Stadtmauer schon in den 1960er Jahren den Abrissbaggern zum Opfer gefallen.
Zu meiner Überraschung sah es nur wenige Meter weiter, im Süden der zweiten Ringstraße, völlig anders aus. Als ich bei der Wohnungssuche die Andingmennei, die Hauptstraße des Viertels, entlang spazierte, löste sich alle Skepsis in Nullkommanichts auf. Keine von Verkehrsabgasen angegrauten Hochhäuser, die eine Verjüngungskur bräuchten, stattdessen eine lange Reihe von einstöckigen, bunten Hutong-Häuschen. Darin eine Unzahl kleiner Läden, in denen es von Obst, Kuchen, Kleidung, Kosmetika, Massageangeboten, Büchern, Taschen, Stoffen, Bettwäsche, Haushaltswaren bis hin zu Heimwerkerbedarf oder Ersatzteilen für Waschmaschinen einfach alles gibt. Dazwischen kleine Restaurants, Imbisse für den Snack zwischendurch, darunter "Xian Lao Man", ein Treffpunkt für Dumpling-Freunde, und eine kleine Bäckerei mit den besten und billigsten Eierküchlein der Welt. Für den Groß- und Günstigeinkauf gibt es außerdem einen Wu-Mart (den Aldi Chinas).
Noch schnuckeliger sind die zahlreichen kleinen Hutongs, die von der Andingmennei abzweigen. Einem alten Beijinger Sprichwort zufolge gibt es von diesen traditionellen Gassen in der Stadt so viele wie ein Ochse Haare hat. Insgesamt sollen es rund 4500 sein, die am großzügigsten angelegte über vier Meter, die schmalste gerade mal 70 Zentimeter breit.
Die Gasse der "Ewigen Gesundheit"
Ich bin in einem Mittelding gelandet, im Yongkang Hutong. Die Gasse ist genau 266 Meter lang, wie das vor Kurzem an den Straßeneingang genagelte Informationsschild verrät. Ein Auto passt hier zwar hindurch, allerdings nur in eine Richtung, und bei Gegenverkehr hilft nur Ausweichen und Warten. Benannt ist sie nach Prinz Yongkang, sein Name lässt hoffen, er bedeutet nämlich "ewige Gesundheit".
Die Ruhe könnte möglicherweise dazu beitragen. Obwohl die zweite Ringstraße nur wenige Hundert Meter entfernt liegt, ist es hier angenehm still, es herrscht eine fast dörfliche Atmosphäre. Wenn ich aus meiner Wohnung blicke, schaue ich auf die geschwungenen Dächer traditioneller Hutong-Häuschen, sehe Leute, die in aller Ruhe auf der Straße stehen und Neuigkeiten austauschen und das Dach des nahe gelegenen Konfuzius-Tempels. Noch mehr chinesischer Charme geht kaum.
Ich bin ganz offensichtlich nicht der einzige Waiguoren (Ausländer), dem das gefällt und auch die Händler haben sich darauf eingestellt. Bei "Chez Gérard", einem winzigen Lebensmittellädchen, gibt es Importiertes aus aller Welt, von Müsli, Brot, Käse bis hin zu einem umfangreichen Weinsortiment, für den Fall, dass das kulinarische Heimweh mal wieder zuschlägt. Für Vitamine sorgt der Gemüsehändler, der mich seit dem zweiten Besuch als "Lao pengyou" (bekannte Freundin) begrüßt, mir unbeirrt Komplimente über mein rudimentäres Chinesisch macht und gleichbleibend enthusiastisch seinen einheimischen Kunden vorstellt. Auch im Zigarettenlädchen geht es familiär zu, die Verkäuferin streckt mir die gewünschte Schachtel durch die offene Tür entgegen, wenn sie mich heranradeln sieh, und lässt auch mal anschreiben, wenn Kleingeld fehlt.
Langweilen muss man sich in Andingmen auch am Abend nicht. In den zahlreichen benachbarten Hutongs gibt es eine Menge gemütlicher Teehäuser, kleine Cafés, Bars und Restaurants mit oder ohne Dachterrasse oder Läden mit Kunsthandwerk. Ein wenig erinnern Wudaoying Hutong, Fangjia Hutong oder die Gouzijian Jie an die bekannte Nanluoguxiang, nur weniger touristisch und überfüllt. Ein weiteres Plus: Wer die Musikszene Beijings erkunden will, muss nur zehn Minuten radeln, zur Gulou Dong Dajie mit ihren zahlreichen Musikkneipen und -Bars. Mit Sanlitun, Dongzhimen oder Beixinqiao, wo das Nachtleben bis in den frühen Morgen dauert, lässt sich Andingmen allerdings nicht vergleichen, hier geht es gemütlicher zu, die Bürgersteige werden früher hochgeklappt. Dafür ist das Publikum, ob chinesisch oder nicht, gemischter, Anzugträger sind in der Minderheit.
Und einen weiteren, nicht unerheblichen Vorteil hat die Gegend sowieso: Auch die Mietpreise liegen irgendwo in der Mitte zwischen teurem Osten und günstigerem Westen. Noch zumindest.
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