Wenig Geld zur Hand und trotzdem Lust zu shoppen? Kein Problem in Beijing. Die zahlreichen China-Malls mit ihren dicht an dicht gedrängten kleinen Verkaufsständen, vollgestopft vom Boden bis zur Decke, sind ein Nirwana für Schnäppchenfreunde. Preise sind Verhandlungssache und wer sich von theatralischen Protesten der Verkäufer nicht zu schnell beeindrucken lässt, kann sich zu einem Bruchteil der Preise in westlichen Shopping-Tempeln tütenweise glücklich shoppen.
China-Souvenirs gibt es in jedem chinesischen Markt in Hülle und Fülle (Fotos von Maike Schulte)
Weihnachten muss es glitzern: Winterliches Gedränge im Tianyi-Markt
Der Seidenmarkt in Chaoyang, der Yashow-Kleidermarkt in Sanlitun, die unterirdische Mall 77th Street in Xidan, der Tianyi-Markt und der Wantong-Markt in Xicheng sind einige der bekanntesten und größten China-Malls in Beijing. Im Aufbau sind sich alle ähnlich. Im Untergeschoss finden sich meist Lederwaren (die nicht immer welche sind), im Erdgeschoss China-Schnickschnack wie Lampions, Glücksknoten, Jadeschmuck und andere Dekoschmankerl, in den Etagen darüber kann man sich zu Spottpreisen mit („Designer")-Kleidung eindecken. Es folgt die ganze Palette der Haushaltswaren von Elektrogeräten, Geschirr bis hin zu Bettwäsche, ferner Bürobedarf, Handys und Kameras, Spielzeug, Kosmetik oder noch Spezialabteilungen für Schmuck oder Handgeschneidertes. Kurzum, es gibt fast nichts, was es nicht gibt. Und irgendwo dazwischen darf natürlich eine Imbissmeile nicht fehlen.
Bei der Auswahl der passenden Mall ist es ein wenig wie mit einem Reiseziel. Nicht jeder wird in jeder Mall glücklich. Man sollte seine eigene Shoppingseele also vorab kurz auf die Couch legen. Wie ist es um die nervliche Konstitution bestellt, wie schnell lässt man sich vom dauernden „Look Lady, wanna shop a bag, a coat…?" aus der Ruhe bringen? Wie sieht es aus mit der Widerstandsfähigkeit gegen die dauernde Reizüberflutung durch ein überquellendes Warenangebot und Menschenmengen? Und wie mit einem gesunden Grad an Abgebrühtheit beim Feilschen mit den Verkäufern?
Der größere Stressfaktor für sensiblere Shopping-Seelchen sind zum einen sicher der Seidenmarkt, vor dem täglich Busladungen an Touristen abgesetzt werden, und der Yashow-Markt. Beide Märkte werden in jedem Reiseführer erwähnt und sind daher schon auf Ausländer eingestellt. Sich wie von zu Hause gewohnt in Ruhe umzuschauen, Waren und Preise zu vergleichen, seine Beute langsam einzukreisen, ist in etwa so illusorisch wie die Vorstellung von einem Chinesen ohne Handy. Die Konkurrenz ist groß, denn die Warenpalette der dicht an dicht liegenden kleinen Ladenräume ist fast identisch. Vor allem im Seidenmarkt werden die Verkäufer nicht müde, jeden vorbeischlendernden Kunden mit den immer gleichen Standardsätzen in Englisch anzusprechen. Der Gang durch eine Ladenpassage kann so fast zu einem Spießrutenlauf werden. Wer kein „Dyor"- oder „Amrani"-Ensemble erwerben will und irgendwann nur noch flüchten will, den versucht man, mit „Pianyidiar" (Es geht noch billiger") hartnäckig doch noch vom Gegenteil zu überzeugen.
Aber auch der bei Ausländern wenig bekannte Tianyi-Markt in Xicheng kann beim ersten Besuch allein durch seine schiere Größe und die Vielzahl der Gebäude und Eingänge zu leichten Überforderungssymptomen führen. Die Außenfassaden mit ihrem bunten Sammelsurium an Türmchen, Weihnachtsmännern, Löwen und Rehen erinnern an einen Disney-Park, um das riesige Gelände herum tummeln sich zahlreiche Händler, die Waren auf Dreirädern an- und abtransportieren, all das will erst einmal verarbeitet werden.
Etwas beschaulicher und zurückhaltender geht es dagegen im 77th Street in Xidan (vor allem auf Mode für Twentysomethings spezialisiert) und im Wantong-Markt in Xicheng zu, der in der obersten Etage außerdem Marken-Sportkleidung zu extrem reduzierten Preisen verkauft. Auch hier kaufen vorwiegend Chinesen ein, mit Englisch sprechenden Verkäufern sollte man also nicht rechnen.
Eine Regel gilt aber für alle Malls: Es muss gefeilscht werden, und zwar ausgiebig. Ein Wollschal, der anfänglich 125 Yuan kosten soll, kann mit etwas Verhandlungsgeschick und Geduld am Ende für 25 Yuan in die Einkaufstüte wandern. Jedem Kauf geht ein kleines unterhaltsames Dramolett voraus, sein Ablauf ist immer gleich, es wird aber nichtsdestotrotz mit vollem Einsatz aufgeführt: Szene 1: die Frage nach dem Preis. Szene 2: ein Vorschlag, der leicht doppelt bis dreimal so hoch ist wie der Endpreis mit dem Hinweis auf die Qualität oder den „Designer" des Produkts. Szene 3: Empörte Ablehnung „Viel zu teuer!". Dann wird der Taschenrechner gezückt, ein neuer Vorschlag eingetippt, der wieder abgelehnt und mit einem neuen Angebot, entrüstetem Gesichtsausdruck und dramatischem „Günstiger geht es wirklich nicht!" beantwortet wird. Am Tonfall und Gesichtsausdruck der Händler merkt man schnell, wann aus Spiel Ernst wird und die Verhandlungszeremonie tatsächlich ihren Endpunkt erreicht hat. In den Fällen, in denen Waren mit Preisschildern ausgezeichnet sind, kann das recht schnell geschehen. Eine Winterjacke für 280 Yuan geht dann zu einem vergleichsweise geringen Preisnachlass für 210 Yuan über die Ladentheke.
Nilpferde als Heizdecken
Neben den günstigen Preisen machen die typisch chinesischen Produkte den besonderen Reiz der China-Malls aus. Hier gibt es Dinge, die man in westlichen Einkaufszentren garantiert vergeblich sucht. Die Kreativität bei der Erfindung von witzigen Nonsens-Produkten scheint unbegrenzt. Wo sonst etwa findet man Plüschnilpferde oder Schildkröten mit eingebauter kleiner elektrischer Heizdecke (40 Yuan) oder bunte Plastikschweine, die absurd laut grunzen, wenn man sie drückt (das Paar für 25 Yuan)? Stifte, deren Schrift erst sichtbar wird, wenn man sie der eingebauten kleinen Lampe beleuchtet, lassen nicht nur Kinderherzen hüpfen. Und zum kommenden Jahr des Schafes quellen die Regale in der Spielzeugabteilung natürlich über vor Knuddel-Schafen in allen Größen und Formen. Wer sich an der verrückten Überfülle an Dingen, die die Welt nicht braucht, erfreuen kann, für den sind die chinesischen Einkaufsmärkte ein echtes Paradies.
Neben diversem Schnickschnack gibt es aber auch einige sehr praktische Erfindungen für den Alltag im Warensortiment. Wie etwa die für den kalten Beijinger Winter extrem hilfreichen Thermo-Leggins (rund 70 Yuan). Von außen sehen sie wie eine normale Strumpfhose aus, von innen sind sie mit Kunstfell gefüttert. Wer sich je über die zahlreichen Shortsträgerinnen bei Minustemperaturen gewundert hat, dieses Kleidungsstück liefert die Erklärung. Ebenfalls typisch chinesisch sind wattierte Beinschützer für das Fahrradfahren in der Kälte oder bunt gemusterte Ärmelschoner, die im Sommer gleichzeitig gegen unvornehme Sonnenbräune schützen.
Im Winter lohnt besonders ein Besuch im Tianyi-Markt, der sich dann in ein knallbuntes Weihnachtsspektakel verwandelt, von dem chinesische Kunden magnetisch angezogen werden. So wird der Eingang des Markts von lebensgroßen Eisbärfiguren im Santa-Claus-Kostüm bewacht, als Weihnachtsmänner verkleidete Parkwächter lotsen die Kunden auf die noch freien Plätze, einzig chinesisches Accessoire: die Zigarette im Mundwinkel. Direkt hinter den schweren Türvorhängen im Erdgeschoss ragen Plastiktannen mit blinkender Beleuchtung bis unter die Decke, bewacht von überlebensgroßen Weihnachtsmännern aus Pappe. Während in den anderen Abteilungen entspanntes Treiben herrscht, kommt man bei den Weihnachtsartikeln nur zentimeterweise vorwärts. Dicht an dicht stehen die Plastiktannen zu beiden Seiten des Gangs, vor lauter Kunstschnee, elektrischen Kerzen und Glitzerschmuck sind die Zweige kaum noch zu sehen. Die Leute drängeln sich vor beleuchteten Weihnachtssternen, Geschenkpapierrollen und Plüschrentieren. Weihnachten als bunt-blinkende Disney-Show, alles andere als besinnlich, aber ein sehr sehenswertes Spektakel.
Info:
Seidenmarkt: Xiushui Dongjie 8, direkt an der U-Bahnstation Yonganli (Linie 1).
Yashow-Markt: Der Markt in Sanlitun ist leider vorerst Geschichte. Für Renovierungen wurde er nach einer wochenlangen Schnäppchenschlacht am 29. Dezember geschlossen.
77th Street: Von der U-Bahnstation Xidan (Linie 4) gelangt man direkt in die unterirdische Mall.
Tianyi-Markt: Fuchengmenwai Dajie 259, mit der Linie 2 bis zur U-Bahnstation Fuchengmen, dann weiter mit dem Bus 101 oder 102 bis direkt vor den Markt.
Wantong-Markt: Fuchengmenwai Dajie 2, direkt am Ausgang D der U-Bahnstation Fuchengmen (Linie 2).
|