15-08-2014
Unterwegs in China
„Weiter, weiter!“ Ein Tag mit einer chinesischen Reisegruppe
von Maike Schulte

 

Mikrofon in Diskolautstärke

Als wir die Stadt hinter uns gelassen haben und sich der Bus durch grüne Serpentinen schlängelt, ist es dann mit der Ruhe schlagartig vorbei. Unser Reiseleiter scheint aufgewacht und in Hochform. Das Mikrofon bis zum Anschlag aufgedreht und mit eingeschaltetem Halleffekt informiert er die Gruppe ausführlich und in Diskolautstärke über die zu erwartenden Attraktionen des Tages. Vermuten wir zumindest, denn verstehen tun wir wenig. Aber egal, wozu gibt es schließlich das Internet, und außerdem ist die vorbeiziehende grüne Gebirgslandschaft mit ihren Reisterrassen, Bambuswäldern sowie Kaffee- und Teeanpflanzungen wunderschön.

 

Fähnchen und Mikro: Die Standardausrüstung jeden Reiseleiters

Kurz vor dem Ziel biegen wir plötzlich ab in Richtung „Neubau-Tulou", der wuchtige Betonbau in Rundhaus-Optik entpuppt sich als Hotel. „Hier gibt es jetzt Mittagessen", informiert uns ein liebenswürdig besorgter Mitreisender auf Englisch, der unsere leicht verwirrten Blicke bemerkt zu haben scheint. Es ist zwar erst kurz nach zehn, aber wer weiß, wie wichtig „chifan" in China ist, versteht, dass kräftezehrende Besichtigungen unmöglich ohne eine stärkende Mahlzeit stattfinden können. Der runde Tisch ist schon gedeckt und wir machen erst einmal Mittagspause, bevor wir durchgezählt und „Zoule, zoule!" (Weiter, weiter!)  zur Eile angetrieben werden, damit es in schnörkelloser Organisation im Kleinbus mit neuer Reiseleiterin weitergeht.   

Die ist zwar winzig, aber auch ihre Stimme würde eine Konzerthalle ausfüllen. Technisch verstärkt hallt ihre Stimme bis in den letzten Winkel des Busses, detailliert schlüsselt sie uns offenbar die Obstsorten vor unseren Fenstern auf. Die Region ist ein Paradies für Liebhaber von Pomelos, so viel verstehen wir immerhin und sind damit angesichts des ungewohnten südchinesischen Akzents schon ganz zufrieden. Mittlerweile sind auch die ersten Tulous in Sicht, rund 3000 gibt es davon in Fujian, locker verstreut liegen sie einzeln oder in Gruppen in der Landschaft. Unsere Vorfreude steigt.

„Vier Gänge und eine Suppe"

Hoch über Tianluokeng im Kreis Nanjing halten wir schließlich an. Wie Ufos liegen fünf riesige Tulous eingebettet in eine grüne Talsenke. Die Amerikaner sollen die Rundhäuser auf Satellitenbildern übrigens zunächst für Raketensilos gehalten haben. In der Mitte des Ensembles thront ein quadratisches Gebäude, umrahmt wird es von vier runden Lehmbauten. „Vier Gänge und eine Suppe" heißt Tianluokeng, mit dessen Bau 1796 begonnen wurde, daher auch im Volksmund. Durch die offenen Ziegeldächer lässt sich aus der Ferne ein erster Blick auf die hölzernen Balkenkonstruktionen und Galeriegänge im Inneren erhaschen. Architektur und Natur in perfekter Harmonie, ein Anblick, der große Ruhe ausstrahlt, nur der Wind pfeift leicht über die Hänge. Zumindest erst einmal - denn dann öffnen sich die Türen der gruppenweise angerollten Busse und ihr Inhalt ergießt sich zur Aussichtsplattform, wo jeder möglichst nahe am Geländer einen ungehinderten Panoramablick erhaschen will.

Derweil hat sich unsere Reiseleitern mit gelber Fahne und Mikro in Position gebracht. Schließlich sollen wir nicht trödeln, „Zoule, zoule!", heißt es wieder, damit wir rasch mit dem Abstieg in Richtung Tal und der Besichtigung beginnen. Wirken die Tulous mit ihren bis zu zwei Meter dicken Mauern aus Lehm, Bambusstückchen, Eiweiß, braunem Zucker und Reispaste von außen wie eine abweisende Festung, so bietet sich im Innern ein ganz anderes Bild. Durch das imposante Eingangstor schieben wir uns in den runden riesigen Innenhof und lugen nach oben. Über drei Stockwerke, jedes mit 26 Räumen, erhebt sich die Holzkonstruktion, die über das offene Dach den Blick in den Himmel freigibt. Sie ist mit bunten Laternen und Bildern geschmückt, an Balken baumeln Bambuskörbe, Wäsche flattert zum Trocknen im Wind. Drei Jahre wird das verwendete Holz übrigens getrocknet, damit es besonders lange hält. Mit Erfolg, die jahrhundertealten Tulous sind bis heute bewohnt.

 

 

Blick in den Innenhof: Die Räume jeder Familie erstrecken sich vom Erdgeschoss bis unters Dach, ein Toulou besteht sozusagen aus vertikalen Wohnungen. Die Zimmer sind übrigens weitgehend gleich eingerichtet und dekoriert

Der Aufbau der Rundhäuser ist dabei immer gleich: Die oberen Stockwerke dienen als Vorratsspeicher bzw. Schlafstätte. Im Erdgeschoss werden die Hausarbeiten verrichtet. Jede Familie hat hier außerdem Platz für einen kleinen Laden, in dem sie der Besucherflut nun diverse Waren feilbietet. Der Tulou von heute gleicht einer vor Betriebsamkeit surrenden Shopping Mall für Souvenirs. Es gibt Tee aus der Region, Tonpfeifen, Bilder von Landschaften und Chinas Staatspräsident Xi Jinping, Snacks und vieles mehr. Das Geschäft scheint nicht schlecht zu laufen. Immer wieder knattern teure Motorräder am Tulou vorbei. Wir schauen, staunen, fotografieren und hätten gerne ein wenig mehr Zeit, das Treiben auf uns wirken zu lassen. Doch „Zoule, zoule!", heißt es bald erneut und wir wandern begleitet von den neugierigen Fragen eines Shanghaier Pärchens zurück zum Bus, mit dem es weiter geht zu Besichtigungspunkt Nummer zwei.

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