04-07-2013
Unterwegs in China
Radeln in Beijing: Anarchie auf zwei Rädern
von Maike Schulte

Das Rad ohne Rücktritt: Fehlt auch bei Rädern ohne Gangschaltung. Daher sind gut funktionierende Bremsen umso wichtiger!

Helme, eine echte Rarität: Während in Deutschland immer wieder über die Helmpflicht für Radfahrer diskutiert wird, ist diese Kopfbedeckung in Beijing sehr, sehr unbekannt. Auch bei motorisierten Zweirädern sucht man sie meist vergeblich. Gelingt mal ein Blick auf eins der seltenen Exemplare, deutet das fast immer auf einen ausländischen Zweiradfahrer hin. Gibt es z.B. im Supermarkt in Light-Ausführung ab rund 40 Kuai.

Klingel: Sinnvolle Zusatzanschaffung. Der gemeine Beijinger Fußgänger läuft einfach, wohin er will, gerne auch auf Radwege. Um ihn zu verscheuchen, hilft energisches Klingeln. Das ist er von dauerhupenden Autos schließlich schon gewöhnt. 

 

 

Fahrradreparaturen werden in Beijing direkt an der Straße erledigt. Ersatzteile und Zubehör hat der selbst ernannte Zweiradmechaniker massenweise im Angebot.

 

Reparaturen – günstig und schnell

Reifen platt, Bremsen zu locker? Kein Problem, Reparaturen erledigen neben den Radgeschäften die zahllosen selbst ernannten Radmechaniker am Straßenrand. Erkennungszeichen: Alte Schränke, vollgestopft mit einer Unmenge an Reparaturwerkzeugen, Ersatzteilen und Zubehör. Geht schnell und kostet wenige Kuai. Platte Reifen kann man außerdem mit einer Hochdruckpumpe selbst bequem und kostenlos wieder in Form bringen.

 

Links Autos, rechts Autos, dazwischen wenige Zentimeter. Auf manchen Radwegen herrscht echter Platzmangel.

 

 Radwege chinesischer Prägung

Angesichts des Verkehrschaos auf den Straßen mag man überrascht sein: Es gibt ein Straßenverkehrsgesetz in China - und es befasst sich auch mit den Radlern. Verboten sind beispielsweise: schneller als 15 Stundenkilometer zu fahren, jemand auf dem Gepäckträger mitzunehmen und Gehwege und Straßen zu nutzen, falls ein Radweg vorhanden ist. Weniger überraschend: Die Vorschriften werden meistens als Kann-, weniger als Muss-Regeln verstanden.

Anders als in Deutschland gibt es in Beijing aber nicht nur mehr Chaos, sondern auch deutlich mehr und breitere Radwege. Oder es sind Fahrstreifen für Radler durch Metallgitter von der Straße abgetrennt. So muss der Radfahrerhimmel aussehen, könnte man meinen. Doch der Hang zum Chaos macht natürlich auch vor Radlern nicht halt. Denn:  

Erstens: Es wird nebeneinander und hintereinander, gegen und mit der Fahrtrichtung der Autofahrer geradelt. Fahrspuren und -richtungen werden gern spontan gewechselt.  

Zweitens: Der Radweg ist nicht nur für Räder da. Man hat Gesellschaft von E-Bikes, Motorrollern, motorisierten Dreirädern, die alle mögliche lebende oder nicht lebende Fracht transportieren, von Taxis sowie Autos von Anwohnern, die möglichst bis vor ihre Haustür fahren wollen. Auch sie kommen von vorn, von hinten, von rechts und von links. Mal warnen sie per Hupsignal, mal kleben sie lautlos fast am eigenen Hinterreifen und sorgen für einen echten Schreckmoment, wenn sie plötzlich an einem vorbeiziehen. Last but not least weichen auch Fußgänger vor allem abends von überfüllten Gehwegen, die wiederum von Open-Air-Restaurants und Fresswägelchen belegt sind, gerne auf Radwege aus.   

Fazit: Rasen ist angesichts des Hindernisparcours nicht und man sollte ausgeschlafen auf die Radpiste gehen. Wenn man sich einmal an den chinesischen Radfahrmodus gewöhnt hat, hat das ganze Gewusel auch Vorteile: Es funktioniert nämlich irgendwie, alle improvisieren, schlängeln sich  durch und selbst beim Ausweichen auf den Bürgersteig wird man garantiert nicht von selbst ernannten Polizisten („Dies hier ist kein Radweg", „Dies ist die falsche Seite des Radwegs") angemault.

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