01-03-2013
Unterwegs in China
Neujahr in Nuanquan: Im Feuerregen aus flüssigem Eisen
von Maike Schulte

Spektakulärer Anblick: Nachdem das flüssige Eisen auf die Steinmauer geprallt ist, explodiert ein dichter Regen aus Feuerfunken. (Fotos: Maike Schulte)

Mit einer Holzkelle schleudert der Feuerwerker das Eisen in einem Bogen gegen die Mauer.

Es ist eisig kalt, die Thermometernadel ist deutlich in den Minusbereich gerutscht. Doch das Publikum harrt aus. Dick eingepackt in Daunenjacken, Mützen und Schals warten Hunderte auf den Höhepunkt des Abends: „Da Shu Hua", den „Baum zum Blühen bringen", heißt das weit über die Region hinaus bekannte Neujahrsfeuerwerk im Dorf Nuanquan, rund 250 Kilometer von Beijing entfernt. Mit dem ohrenbetäubenden Geknalle in der Hauptstadt hat es wenig zu tun. In der Provinz Hebei lässt man seit Jahrhunderten einen spektakulären Feuerregen aus flüssigem Eisen vom Himmel fallen.

Wer das erleben will, muss hart im Nehmen sein. Erst einmal gilt es, die Tanz- und Musikshow zu „überstehen", bevor sämtliche Körperteile langsam aber sicher vor Kälte taub werden. Immer neue Gruppen von folkloristisch-buntkostümierten Tänzern wirbeln zu lauter chinesischer Popmusik vor einer gigantischen Multimedialeinwand, von der viele Metropolen nur träumen könnten, über die Bühne. Im Hintergrund sind gleichzeitig die Vorbereitungen für das Feuerwerk zu sehen. Flammen lodern in der Dunkelheit in die Höhe, während das Eisen zum Schmelzen gebracht wird.

Und dann ist es so weit. Es wird dunkel auf der Bühne, ein Lichtkegel erhellt nur die in notdürftige Schutzkleidung gehüllten Männer, die das gelb glühende Eisen in einem Kessel auf die Bühne schleppen, Trommel- und Gongklänge erzeugen eine erwartungsvolle leicht unheimliche Spannung. Hat sich das Warten gelohnt? Oder erweist sich die vielgepriesene Neujahrsattraktion am Ende als nettes Mittelmaß? Es hat sich. Das mit einer Holzkelle gegen die große Mauer geschleuderte mehr als 1000 Grad heiße Eisen verwandelt sich beim Aufprall auf die kalten Steine erst in ein Rad aus Feuer, bevor es sich als ein explodierender Vorhang aus Feuerfunken über die Bühne senkt. Die Zuschauer kommentieren das Spektakel mit viel Applaus und zahlreichen „Ahs" und „Ohs". Die Kälte ist vergessen.

Das wohl einzigartige Feuerwerk hat eine lange Tradition. Ob es nun hunderte oder gar tausende Jahre sind, darüber scheiden sich die Geister. „Das Feuerwerk gibt es in dieser Art schon seit rund 2000 Jahren", behauptet jedenfalls Vera, eine einheimische Touristenführerin, „Nuanquan war eine Festungsstadt, ein militärisches Bollwerk gegen die Angriffe der Mongolen. Doch den Soldaten fehlte Geld, also schmolzen sie ihre Waffen ein, um Neujahr zu feiern." Das flüssige Eisen warfen sie dann gegen die Stadtmauer, Metallreste sind immer noch sichtbar. Da die Funken an blühende Bäume erinnern, erhielt das Spektakel den Namen „Da Shu Hua" (die Bäume zum Blühen bringen) und diente auch dazu, um eine gute Ernte im neuen Jahr zu bitten.

Die „Schutzkleidung" der Feuerwerker besteht vor allem aus Schaffellen und einem großen Hut.

Die nicht ganz ungefährliche Tätigkeit wird seitdem von Generation zu Generation weitergegeben, nur eine Handvoll Männer aus dem Dorf sind im Umgang mit dem glühend-heißen Metall erprobt. Heute ist das Feuerwerk eine Touristenattraktion mit eigener Openair-Bühne und Bestandteil des immateriellen Kulturerbes der Provinz Hebei. Es findet nicht mehr nur zum Chinesischen Neujahr und Laternenfest, sondern auch im Sommer statt.

 

Ein ganzes Dorf versteckt hinter Festungsmauern

Laternengeschmückte Gassen in Xi Gubu.

 

Auch wenn „Da Shu Hua" als Höhepunkt jeder Tour nach Nuanquan gilt, sollten Besucher sich einen Trip durch das restliche Dorf auf keinen Fall entgehen lassen. Wenn man durch die engen mit Wimpeln und Laternen geschmückten Gassen schlendert, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt, kein Wunder, dass das Dorf vielen heimischen Filmproduktionen als Kulisse diente. Nuanquan gehört wegen seines reichen kulturellen Erbes zur „Liste der historischen Dörfer" und ist für seine gut erhaltene Architektur aus der Ming- (1368-1644) und Qing-Zeit (1644-1911) bekannt.

Am zentralen Dorfplatz thront schon von Weitem sichtbar die Wang Min-Akademie. „Hier kamen die angehenden Staatsbeamten hin, um für gute Examensnoten zu beten", erklärt Tourleiterin Melissa. Im Sommer kann man heute hinter dem Schulgebäude in einem Steinpool plantschen, der von einer Thermalquelle gespeist wird.

 

Hinter hohen Festungsmauern verbirgt sich ein komplettes Dorf.

Die unbestreitbar größte Attraktion aber ist die Festung Xi Gubu, unter Kaiser Jiajing (1522-1566) erbaut. Sie ist die am besten erhaltene Festung der Provinz Hebei und steht heute unter Denkmalschutz. Hinter hohen Mauern aus Lößboden verbirgt sich ein komplettes Dorf mit Tempeln, einem Theater und zahlreichen ineinander übergehenden Wohnhöfen von teilweise imposanter Größe.

Blick in den Wohnhof eines reichen Händlers in Xi Gubu.

 

Auch eine große Tempelanlage verbirgt sich hinter den Festungsmauern.

Ein Tipp noch für den Rückweg nach Beijing: Lohnenswert ist ein Zwischenstopp im wenige Kilometer entfernten Yuxian. Die Altstadt ist für ihre kunstvollen Papierschnitte bekannt. Hier sollen sich die größten Produktionsstätten des Landes befinden, Laden reiht sich an Laden. „Normalerweise sind Papierschnitte einfarbig. Das Besondere an den hiesigen Papierschnitten ist ihre Farbigkeit", erklärt Reiseleiterin Melissa. Bei der Arbeit gibt es eine strikte Rollenverteilung: Die Männer schneiden, die Frauen bringen Farbe ins Spiel. Für wenige Yuan kann man einen der kunstvollen Fenster- oder Wandschmucke auf Reispapier erwerben – fast schon beschämend angesichts der filigranen Handarbeit.