29-01-2012
Unterwegs in China
Weihnachten auf Hainan – Ein Überlebensbericht
von Brandon Taylor

Hainan (BRANDON TAYLOR)

Ja, es gab Strände in Sanya, aber sie waren klein und übersät mit Abfall. Der Himmel war frei von Smog, dafür hüllte wabernder Nebel die Bucht in einen bizarren Schleier. Den größten Teil meines Aufenthalts versteckte sich die Sonne hinter einem dichten Wolkenteppich. Ganz eindeutig: Die Vögel, die Richtung Süden Reißaus genommen hatten, konnten eindeutig nicht nach Hainan geflogen sein. Aber die Meeresfrüchte waren vorzüglich und die Affen, nun ja, es gab sie.

Was den Trip davor bewahrte, ein echter Ferienflop zu werden, war die Weihnachtsfeier, die meine Jugendherberge auf die Beine gestellt hatte. Auch wenn es überwiegend Chinesen waren, die sich in der Hotelbar tummelten, so waren die Räume doch übersät mit Weihnachtskitsch, bunten Lichtchen und ausreichend Spirituosen, um sich bis in die Morgenstunden über Wasser zu halten. Aus den Boxen säuselten weihnachtliche Klänge von Enya – gut, nicht meine erste Wahl in Sachen Festtagsmelodien, aber hey, es passte zur Jahreszeit. Die Aufnahme stotterte bei „Rudolph the Red-nosed Reindeer" unentwegt rund um die Textzeile „had a very shiny", während wir uns singend und trinkend die Nacht um die Ohren schlugen.

Um Mitternacht zauberte plötzlich jemand eine Torte hinter dem Tresen hervor und sofort stimmten alle um mich herum in ein „Happy Birthday" ein. Ich sah mich um, wollte das Geburtstagskind ausmachen. „Wer hat Geburtstag?", fragte ich einen meiner neugewonnen chinesischen Freunde. Der deutete in Richtung Himmel: „Gott". Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Passt schon, dachte ich. Immerhin war er sich des religiösen Ursprungs des Festes bewusst, trotz seiner erdrückenden Kommerzialisierung in China, selbst für westliche Maßstäbe. Immerhin war er nicht der Überzeugung, dass die Feiertage die Geburt unserer Heiligkeit Lady Gaga oder des Friedensfürsten Barack Obama markierten.

Wie vermutet, hatte tatsächlich einer der Hotelgäste Geburtstag. Der Chinese hatte sich nur einen Spaß erlaubt.

Am ersten Weihnachtsfeiertag setzte ich mich in den Zug von Sanya nach Bo'ao. Hier sollte es schönere Strände geben, hatte ich mir sagen lassen. Aber auch hier machte sich Enttäuschung breit.

In meiner Verzweiflung fand ich Trost bei einem alten Mann aus Harbin, aus der nordostchinesischen Provinz Heilongjiang, der nach Hainan geflüchtet war, um der harschen Kälte des Nordens zu entrinnen. Er bot mir an, mir die Gegend zu zeigen und stellte mir Fragen zu Amerika („Gibt es in Amerika Teigtaschen?"), meiner Person („Bist du verheiratet?"), gefolgt von tiefer gehenden Analysen („Warum bist du nicht verheiratet?") und Erläuterungen („Harbin ist so kalt.").

Mit einer seiner Fragen traf er dann mitten ins Schwarze: Warum ich denn Weihnachten nicht mit meiner Familie verbrachte? Das löste meinerseits plötzlich akute Heimwehgefühle aus, die durch die steife Meeresbrise, die aufgezogen war und beständig Sand in meine Augen peitschte, nur verschlimmert wurden. Ich versicherte ihm, dass ich zum chinesischen Frühlingsfest in die Vereinigten Staaten zurückkehren würde, dann, wenn auch alle Chinesen zu ihren Familien pilgerten. Aber mir wurde klar, dass ich - selbst wenn ich das Wetter hier deutlich bevorzugte -  statt an diesem Strand zu sitzen eigentlich zuhause sein sollte, um Weihnachten im Kreise meiner Lieben zu verbringen. Eines steht fest: Nächstes Jahr gibt es für mich keine Weihnachtsfeiertage mit chinesischem Einschlag in Beijing, sondern nur eins: Heimat, deine Zimtsterne!

Und noch wichtiger: Ich werde nicht mehr diesen Vögeln folgen, es sei denn, sie flögen nach Westen.

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