29-01-2012
Unterwegs in China
Weihnachten auf Hainan – Ein Überlebensbericht
von Brandon Taylor

Es hat keinen Zweck, über die klirrende Kälte in Beijing zu jammern, befand Brandon Taylor. Der Amerikaner, der in Beijing lebt und arbeitet, entschloss sich kurzerhand, es den Zugvögeln gleichzutun und über die Weihnachtsfeiertage gen Süden zu steuern – nach Sanya, hinein ins Badeparadies auf Chinas tropischer Insel Hainan. Doch Taylor musste schnell feststellen: Postkartenidylle gibt es eben nur auf Postkarten, nicht auf Hainan.

Hainan (BRANDON TAYLOR)

Die Zugvögel haben es schon immer gewusst: Im Winter wird es kalt. Deshalb scheuen sie keine lange Wege, sondern machen sich gen Süden auf, dorthin, wo es warm ist. Anders als bei meinen gefiederten Freunden war es bei mir bisher stets so: Sobald es kalt wurde, habe ich meinen Wintermantel aus dem Schrank gekramt und mich auf eine viermonatige Odyssee des Grübelns und Jammerns über die Beijinger Temperaturen begeben.

Im letzten Jahr, gerade als ich mal wieder einem Schwarm Zugvögel nachsah, der sich in Richtung Äquator aufmachte, fasste ich einen Entschluss: Auch ich wollte meinen tierischen Instinkten folgen und Richtung Süden fliegen, nach Hainan, in Chinas tropisches Inselparadies! Das war mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, ein hübscher Geschenkkorb prall gefüllt mit Stränden, Sonne, wolkenlosem Himmel, Palmen und leckerem Essen, so die Theorie.

Die Insel Hainan liegt im Südchinesischen Meer gegenüber von Vietnam. Lange galt sie als verkümmerter Ableger des chinesischen Festlands, als Exil der Verbannten. Heute durchläuft sie einen raschen Wandel vom unbewohnbaren und unzugänglichen Eiland hin zum noblen und gastfreundlichen Feriendomizil. Chinas Regierung hat in den vergangenen Jahren ordentlich Geld in die Inselprovinz gepumpt. Hainan soll das „Hawaii des Orients" werden. Ferienresorts, Hotels, Infrastruktur, ein wuchtiges Bauprojekt nach dem anderen wird aus dem Boden gestampft.

Ich flog also nach Sanya, südlichste Stadt in Chinas südlichster Provinz und beliebtes Badeparadies. Im Gepäck: große Erwartungen. Ich sah mich über die Weihnachtsfeiertage an einem der unberührten, von Palmen gesäumten Strände der Stadt unter smogfreiem Himmel ausgiebig Sonne tanken, jeden Tag frischer Fisch und Meeresfrüchte auf der Speisekarte, und ich würde endlich diese südchinesischen Affen sehen, von denen immer alle erzählten.

Aber es sollte alles ein wenig anders kommen.

Es war ein bisschen, wie wenn man den Weihnachtsmann beauftragt, ein iPhone 4S unter den Baum zu legen, man dann aber stattdessen ein iPhone 3GS aus dem Geschenkpapier pellt: Die Bildqualität ist etwas schlechter, der Spaßfaktor geringer und auch in Sachen Coolness muss man sicherlich Abstriche machen. Aber nichtsdestotrotz: Es handelt sich noch immer um ein iPhone und nicht um eine dieser prähistorischen Maschinen, mit denen die eigenen Eltern herumhantieren.

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