28-09-2014
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Jürg Baumberger :"China bleibt China"
von Zeng Wenhui

 
 
Jürg Baumberger zusammen mit seiner Frau Eleonore (Foto von Shi Gang)
 
50 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Beijing Rundschau am 22. September 1964, ist Jürg Baumberger zusammen mit seiner Frau Eleonore an seinen alten Arbeitsplatz zurückgekehrt. Der Schweizer arbeitete zwischen 1972 und 1974 als ausländischer Experte für die Beijing Rundschau, seine Frau war gleichzeitig an der Peking Universität in China tätig. Die beiden waren die ersten ausländischen Experten nach dem Beginn der Kulturrevolution in China und damals echte Exoten, die in Xi´an in der Provinz Shaanxi sogar einen Verkehrstau auslösten. In einem Interview sprach Jürg Baumberger über das China von gestern und heute.

 

Beijing Rundschau: In diesem Jahr feiert die Beijing Rundschau, die deutsche Ausgabe der Beijing Review, ihren 50. Geburtstag. Zugleich wird die Volksrepublik China 65 Jahre alt. Können Sie sich noch an Ihre Arbeit bei der Beijing Rundschau erinnern?

Jürg Baumberger: Ich erinnere mich sehr gut, denn dies war eine wichtige Zeit für mich. China war für mich prägend, ich profitiere heute noch davon. Ich konnte zwei Jahre lang mit Menschen in China arbeiten, die im Laufe der Zeit unsere guten Freunde wurden, mit denen wir auch heute noch viel Kontakt haben. Wir kommen seit damals regelmäßig nach China, und wenn immer möglich nach Beijing, um sie zu besuchen und auch die Stadt, die wir lieben.

 
Gruppenfoto mit ehemaligen Kollegen: In den 1980er Jahren reiste das Ehepaar erneut nach China und traf seine alten Freunde wieder
 
 
Wie sah die Arbeit damals aus?

Das war vor dem elektronischen Zeitalter. Die chinesischen Kollegen – „Genossen" hieß das damals – übersetzten die Texte aus dem Chinesischen, das ich nicht sprach und auch heute noch nur rudimentär beherrsche. Ich korrigierte dann die mit der Schreibmaschine mit großem Abstand geschriebenen Manuskripte von Hand. Ich suchte den Sinn direkt in den Übersetzungen; wenn ich etwas nicht verstand, hatte ich die englische Version, die die Leitübersetzung war, als Referenz. Und wenn diese für mich auch keinen Sinn machte, erläuterten die Übersetzer mir den chinesischen Text, und wir suchten eine Lösung.

Die Arbeit erforderte eine hohe Konzentration, denn ich musste viele Texte in kurzer Zeit bearbeiten. Außerdem mussten mich die Kollegen jederzeit unterbrechen können, wenn sie meine Schrift nicht lesen konnten oder wenn sie mit etwas nicht einverstanden waren, denn sonst hätten sie nicht weiterarbeiten können. Am Schluss des Textes wusste ich oft nicht mehr, was am Anfang gestanden hatte.

Am Montag musst etwa die Hälfte des Textmaterials korrigiert werden. Am Dienstagmittag muss alles für die Druckerei fertig sein. Deshalb war Montag der anstrengendste Tag für mich. Während der nächsten Tage hatte ich Zeit für weitere Texte der nächsten Ausgabe sowie für je einen halben Tag Arbeit in Radio Peking und für die Buchabteilung des Fremdsprachenverlags.

 

Warum haben Sie sich damals entschieden, in China zu arbeiten?

Wir waren als Studenten in der Studentenbewegung der 1960-er Jahre natürlich politisch an China interessiert. Die Kulturrevolution – die wir damals vor allem romantisch interpretierten – war von großer Bedeutung. Daneben haben wir aber im Soziologiestudium auch wissenschaftlich über die Sozialgeschichte Chinas gearbeitet, vor allem über China im 19. Jahrhundert. Da wir das ausschließlich im Rahmen europäischer Sprachen tun konnten, wollten wir Chinesisch lernen. Und wo, wenn nicht in China selbst.

Wir fragten auf der chinesischen Botschaft in Bern an. Dort aber beschied man uns, das sei nicht möglich. Aber wir könnten mit einem abgeschlossenen Studium als Sprachexperten arbeiten.

Da haben wir zugegriffen, auch wenn wir gar nicht wussten, was uns erwartete. In der Botschaft mussten wir noch einen Sprachtest machen, da der Verlag sicher sein wollte, dass wir auch genügend Englisch konnten. Wir haben wir innerhalb von zwei Stunden drei Seiten der Schriften von Mao Zedong vom Englischen ins Deutsch übersetzt.

Chinesisch haben wir so leider nur im Rahmen eines Abendkurses neben unserer Arbeit an der Peking Rundschau und an der Universität gelernt, weshalb wir heute etwas sprechen und verstehen können – genug um allein durch China zu reisen   aber nicht lesen und schon gar nicht schreiben.

 

 Welche Vorbereitungen haben Sie getroffen?

Mehr oder weniger gar keine. Wir sind mit offenem Geist einfach hingefahren. Wir wussten nur ungefähr, welche Jobs uns erwarteten: Es war dann eine Dozentenstelle an der Peking Universität, die Elo übernahm, und die Arbeit an der Beijing Rundschau, die mir zufiel. Wir wussten auch nicht, was wir verdienen würden: die Aussage auf der Botschaft „genug zum Leben" genügte uns vollkommen.

 

Was waren Ihre beeindruckendsten Erlebnisse in China?

Wir waren das erste Mal aus Europa heraus, das erste Mal in einem Entwicklungsland, und wir haben gelernt, dass es neben der europazentrischen auch andere Perspektiven gibt, aus denen die Welt anzusehen ist, Perspektiven, die ihre eigene Gültigkeit haben.

Außerdem kamen wir im Freundschafts-Hotel, in dem damals alle Sprachexperten gelebt haben, mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt zusammen, was unseren Blick weiter geöffnet hat.

Aber am meisten beeindruckt hat uns das chinesische Volk mit seinem Willen, aus einer tiefen historischen Depression heraus die Zukunft in die eigene Hand zu nehmen und aus eigener Kraft die Zukunft zu gestalten.

 

Wie lange sind Sie in China geblieben? Warum sind Sie nicht länger geblieben?

Wir kamen direkt nach dem Studium für zwei Jahre nach China. Wenn wir beruflich in Europa Fuß fassen wollten, durften wir nicht zu lange bleiben.

 

Was haben Sie durch Ihre Arbeit in China gewonnen?

Wir waren vor gut 40 Jahren noch jung; trotzdem hat mir die Beijing Rundschau viel Vertrauen geschenkt, was nicht selbstverständlich war. Das hat uns Selbstvertrauen gegeben.  

Wir haben gelernt, besser unter die Oberfläche zu sehen. Wir waren in der Endphase der Kulturrevolution in China, einer schwierigen Zeit vor allem für unsere chinesischen Freunde. Da musste vieles indirekt gesagt werden. Und vieles war scheinbar so, in Wahrheit aber anders.

 

Was haben Sie in der Schweiz gearbeitet? Gab es einen Bezug zu China?

Beruflich ergaben sich für mich keine Beziehungen zu China, sieht man davon ab, dass ich einmal als Experte für Gesundheitssysteme zu einem Symposium in Beijing eingeladen war.

Meine Frau hat eine Dissertation zur Sozialgeschichte Chinas geschrieben, zur Modernisierung Chinas nach dem Eindringen der Europäer im 19. Jahrhundert bis zur Revolution von 1949. In ihrem späteren Beruf als Journalistin hat sie viel über China geschrieben, Reiseberichte und Reportagen verfasst, Chinas erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung verfolgt, kulturelle und politische Ereignisse kommentiert und Chinas Rolle in der Welt beobachtet und erklärt. Dabei hat der zweijährige Aufenthalt in Beijing zuvor sehr geholfen, ebenso wie die Beschäftigung mit der chinesischen Geschichte und viele Reisen in China.

Neben dem Beruf waren wir aber beide in leitenden Funktionen der Deutschen und der Schweizer Freundschaftsgesellschaften viele Jahre aktiv, um mit Vorträgen, der Organisation von Chinareisen, der Redaktion der Vereinszeitungen, der Organisation von Veranstaltungen und Ausstellungen in Europa und auch in China etwas zu tun für das bessere Verständnis zwischen unseren Völkern und Ländern. So konnten wir etwas von dem zurückgeben, was wir in China und von den Chinesen erhalten haben.

 

Sie kommen seitdem oft nach China? Wie beurteilen Sie die Veränderungen im Land?

Die Veränderungen sind groß, wirtschaftlich, kulturell und – wenn auch etwas weniger – politisch. Vieles gefällt uns, und wir freuen uns, dass es dem chinesischen Volk vor allem wirtschaftlich besser geht. Das ist wichtig. Diese Entwicklung hat aber auch sichtlich große Probleme mit sich gebracht: Verschmutzung der Umwelt, wachsender Graben zwischen Arm und Reich, Korruption und anderes mehr. Wir haben jedoch Verständnis dafür, dass das chinesische Volk seine Probleme selbst lösen muss. Und wir sind sicher, dass es dies auch tun wird.

Aber auch wenn sich vieles geändert hat, vor allem in der äußeren Erscheinung, so ist China doch im Wesentlichen immer noch China und wird es auch bleiben.

 

Wie sollte die Beijing Rundschau China in der Welt präsentieren? Haben Sie einen Vorschlag?

Selbstbewusst, doch zugleich offen für kritische Fragen von außen. Und immer mit Blick darauf, welche Fragen die Leser im Ausland haben.

 

 

Profile:

Dr. Eleonore Baumberger, 1947, ist Soziologin. Sie hat in der Schweiz als Journalistin gearbeitet

Dr. Jürg Baumberger, 1946, ist Soziologe. Er war Experte für das Gesundheitswesen international tätig.