09-01-2013
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Hinter dem Lächeln--- Die dunkle Seite des Dalai Lama
© Max Milo Éditions

 

 

 

V

 

Die Kriegskunst namens Frieden

 

 

Ist tibetischer Pazifismus, sei er atavistisch oder dem Volk durch eine allmächtige Religion eingeträufelt, Mythos oder Wahrheit? Lesen wir, was der Dalai Lama selbst dazu sagt:

            „Ich will nicht behaupten, jeder einzelne Tibeter sei ein sanftmütiger und netter Mensch – selbstverständlich hatten auch wir unsere Kriminellen und Sünder. Um einmal ein Beispiel zu nennen: Wir hatten viele Nomaden, und, obwohl sie überwiegend friedlich waren, gab es ein paar Sippen, die nichts anderes als Wegelagerer waren. Folglich mussten sich sesshafte Leute in gewissen Gegenden bewaffnen; und wer in solche Gegenden reiste, bevorzugte das unter dem Schutz einer großen Reisegesellschaft zu tun. [... Für die Khampas,] ist ein Gewehr zu besitzen wichtiger als jeder andere Gegenstand [...]" Manchmal sagt er über sein ganzes Volk, „Ich vermochte es nicht, ihren Wunsch nach Gewaltanwendung zu kontrollieren", oder ihre „gewalttätige Attitüde."

            Und weiter, obwohl er von seinem glücklichen Volk verehrt wurde,begleitete eine Eskorte von 25 bewaffneten Leibgardisten den Dalai Lama, wohin er auch reiste, und es waren auch bewaffnete Truppen entlang der Route postiert." Es stimmt, dass vorherige Dalai Lamas von Attentätern umgebracht wurden, die auf Befehl von Leuten aus deren unmittelbarer Umgebung handelten.

            Über seine Armee sagt er: „Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die Grenzposten zu besetzen, und unbefugte Ausländer [Anmerkung d. Herausgebers: somit fast alle Ausländer] an der Einreise zu hindern. Diese Armee übte auch unsere Polizeigewalt aus, außer in der Stadt Lhasa, die über ihre eigene Polizei verfügte, und in den Klöstern" (S. 40). „[...] Sie war 8500 Offiziere und Mannschaften stark. Es standen mehr als genug Gewehre für sie bereit, jedoch nur 50 zusammengewürfelte Artilleriegeschütze – außerdem 250 Mörser und etwa 200 Maschinengewehre. [...] Das war wohl kaum dazu geeignet, Krieg zu führen."

            Bitte beachten Sie, dass er nicht von der Liebe für Gewaltlosigkeit wie Gandhi spricht, sondern vom Risiko einer Niederlage.

            Der Dalai Lama wiederholte genau diese Analyse am 12. Mai 2008, fast ein Vierteljahrhundert später, in einem Interview mit dem deutschen Magazin Der Spiegel. Noch einmal, der Pazifismus des religiösen Führers scheint kein natürlicher Auswuchs seines Denkens zu sein, sondern auferlegt von der Machtdynamik, die dabei im Spiel ist: „[Soll das vielleicht bedeuten,] dass die Tibeter zu den Waffen greifen sollten, um ihreUnabhängigkeit zu erreichen? Welche Waffen denn, und wo sollen die denn herkommen? Vielleicht von den Mudschaheddin in Pakistan? Und wenn wir die Waffen bekämen, wie sollten sie denn nach Tibet gelangen? Und sobald solch ein bewaffneter Unabhängigkeitskrieg begonnen hätte, werden uns etwa die Amerikaner zu Hilfe eilen? Oder die Deutschen?"

            Am 29. April 2005 deutete Seine Heiligkeit gegenüber einer Gruppe französischer Senatoren an, die seinen Sitz im indischen Exil besuchten, dass vielleicht das Pentagon jene letzte Frage beantworten könnte. „Amerikas Politik ist darauf ausgerichtet, die Demokratie im Irak und in Afghanistan zu fördern, wobei sie mitunter kontroverse Methoden anwenden.Ich sage, umso besser, sie sind wilkommen. Aber es wäre eigentlich besser, wenn sie die Demokratie in China voranbringen würden."

            Macht das den Dalai Lama zu einem besiegten General, der sich in „zuvor vorbereitete Stellungen" zurückzieht? Praktiziert er die Kunst des Friedens oder die Kunst des Krieges, mit seinen Offensiven und Rückzügen, Burgfrieden und Waffenruhen, Siegen und Niederlagen, Propaganda und Lügen? Die Leser mögen sich ihr eigenes Bild machen, nachdem sie das folgende gelesen haben.

            Während seiner Herrschaft, drängten den Dalai Lama seine militärische Unterlegenheit und seine Angst davor, dass Peking tiefgreifende Reformen in Tibet durchführt, dazu, ausländische Mächte um Hilfe anzurufen, denn „Tibet hatte weder die materiellen Ressourcen noch die Waffen oder Truppen, um seine Integrität gegen einen ernsthaften Angriff zu verteidigen." „Vier Delegationen wurden dazu auserkoren, Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, Indien und Nepal zu besuchen, umHilfe zu erbitten." Jene Länder lehnten es glatt ab, diese Kriegstreiberei zu unterstützen und ließen ihre Soldaten zuhause. Washington „lehnte es sogar ab, unsere Delegation zu empfangen." Nun, da „niemand uns irgendeine militärische Hilfe anbot [...], fühlten wir uns schutzlos den Horden der chinesischen Armee ausgeliefert."

            Der Dalai Lama erzählt, wie er nach Indien reiste, um das Grab von Gandhi zu besuchen, „ein wahrhaftig an den Frieden und die Harmonie zwischen allen Menschen Glaubender", und er „überlegte, welch weisen Rat der Mahatma mir erteilt hätte [...]" Vielleicht hätte er empfohlen, sich nicht an vier ausländische Armeen um Hilfe zu wenden, um in eine chinesische Provinz einzumarschieren, Tod und Zerstörung auf sie herabregnen zu lassen, und sie in einer theokratischen Zwangsjacke gefangen zu halten, in der die Macht – jegliche Macht – in den Händen einer einzelnen Person konzentriert ist, jener geistige und weltliche Führer, der nicht herausgefordert werden kann, weil er vom göttlichen Wunder einer angemessenen Wiedergeburt geschaffen wurde.

            Und nachdem aller vier ausländischen Nationen das Ersuchen des friedliebenden Dalai Lama um ein bewaffnetes Eingreifen abgelehnt hatten, um seine Macht zu erhalten, was passierte dann? Um es mit seinen Worten zu sagen, einfach „des tibetischen Volkes friedlicher Aufstand in Lhasa am 10. März 1959."


            „Friedlich" nannte er es. Peking behauptet das Gegenteil, nämlich, dass es ein bewaffneter Aufstand war. Wem sollen wir glauben? Schauen wir uns die Version der Ereignisse an, wie sie der Dalai Lama in seiner Autobiographie beschreibt.

            „Die Chinesen verkündeten bei einer öffentlichen Versammlung [...], dass im Osten eine Revolte gegen ihre Herrschaft ausgebrochen sei, und dass sie voll darauf vorbereitet seien, alles nötige zu tun, um sie niederzuschlagen. Das war ein Schock für die Minister [des Dalai Lama]. Denn natürlich wussten sie, dass die Khampas kämpften [...]."

            „Die Zahl der Khampas, die sich als Guerillas in die Berge begeben hatten, war von wenigen Hundert auf Zehntausende angewachsen. Sie hatten bereits einige beachtliche Schlachten geschlagen [...]."

            „Tibeter konnte man noch nie einschüchtern oder so erschrecken, dass sie Stillschweigen bewahren, und unsere Religion anzugreifen, unseren wertvollsten Besitz, war insofern eine Politik von Geistesgestörten. Die Folge dieser Aktionen war ganz einfach, dass sich die Revolte weiter ausbreitete und intensivierte. [...] Das Volk griff zu den Waffen, überall im Osten, Nordosten und Südosten von Tibet. Nur in den westlichen und zentralen Gebieten des Landes blieb es noch relativ friedlich."

            „Ich selbst war auch sehr unglücklich, dass die Dinge diese Wendung nahmen. Das verschlimmerte mein Dilemma sogar noch. Ein Teil von mir bewunderte die Guerillakämpfer sehr. Sie waren tapfere Leute, Männer wie Frauen, die ihr Leben und das ihrer Kinder aufs Spiel setzten bei dem Versuch, unsere Religion und unser Land auf die einzige Weise zu retten, die ihnen noch zu verbleiben erschien." 

            Die Worte scheinen weiszumachen, dass die gesamte Bevölkerung sich erhob, um den Dalai Lama und seine Entourage zu verteidigen. Alexandra David-Néel's Schilderung ist qualifizierter, da sie behauptet, dass die Allgemeinbevölkerung sich nicht massiv gegen die Ankunft der chinesischen Armee stemmte. Sie sagt auch, dass den Bauern die Agrarreform in China nicht gänzlich entgangen war. „Sie blickten erwartungsvoll auf das, was auf die chinesischen Truppen folgen würde."

            Als die Revolte gegen die Zentralregierung in Peking scheiterte, obwohl sie insgeheim vom Dalai Lama bewaffnet und forciert wurde, und sich die Truppen des Religionsführers gezwungen sahen, sich nach Indien zurückzuziehen, nahm er seinen männlichen Stolz zusammen und zog eine Uniform an. Am 17. März 1959, „gegen neun Uhr abends, zog ich meine Lama-Gewänder aus und zog eine Uniform an. [...]. Ich nahm ein Gewehr von einem der Soldaten und schlang es um meine Schulter [...]". In dem glühenden Portrait, das in Compassion: The Words and Inspiration of the Dalai Lama gezeichnet wird, erdreistet sich der südafrikanische Journalist und Autor Mike Nicol, darauf hinzuweisen, dass „er sich ironischerweise in der Verkleidung eines Soldaten, mit einem Gewehr um die Schulter, bei Nacht aus Lhasa fortschlich und sich mit seinem Gefolge zur indischen Grenze aufmachte." Wie bizarr, dass der Rebellenführer, der sich selbst zum Pazifisten erklärte, als es darum ging zu kämpfen, sich dazu entschlossen haben soll, eine Uniform anzuziehen und sich ein Gewehr zu nehmen, um ihm dabei zu helfen, diskret in Sicherheit zu huschen. Allgemeinhin verkleidet sich ein besiegter Soldat, wenn er fliehen will, als Zivilist – und nebenbei bemerkt, „friedliche" Aufstände bedürfen normalerweise keiner Soldaten, da sie andernfalls laut globalem Konsens als „bewaffnet" bezeichnet werden.

            David-Néel berichtet von zahlreichen Details, die der Geflohene und Nicol unerwähnt ließen, trotz ihrer entscheidenden Bedeutung für das Schicksal des öffentlichen Vermögens in dieser bettelarmen Region. „Zahlreiche öffentliche Vertreter begleiteten ihn, und ebenso auch Bedienstete verschiedener Ränge. Eine Karawane von mehr als tausend Maultieren und ungezählten Trägern, die mit Gold und preziösen Objekten gefüllte Kisten aus dem Potala-Palast schleppten."

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