09-01-2013
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Hinter dem Lächeln--- Die dunkle Seite des Dalai Lama
© Max Milo Éditions

 

 

 II

 

Eine unbewegliche Herrschaftsform

 

 

            Lhamo Dhondrub wurde am 6. Juli 1935 in Takster geboren, ein Dorf in der Provinz Amdo, auf einer Höhe von 2835 Metern über dem Meeresspiegel. Später wurde das Dorf in Hongya umbenannt, und die Provinz in Qinghai.

            Im zarten Alter von zwei Jahren zeigte das Kind „Beweise" dafür, dass es die Reinkarnation des 13. Dalai Lama sei. Rationale Köpfe mögen hier ihre Skepsis zum Ausdruck bringen wollen. Da aber diese Behauptung nicht Gegenstand des vorliegenden Werkes ist, wollen wir hier nicht näher darauf eingehen. Ebenso werden wir seine Mutter weiter behaupten lassen, dass das Kind, dessen Muttersprache der Xining-Dialekt des Chinesischen war, im Alter von zwei Jahren spontan Lhasa-Tibetisch zu sprechen begann, die Sprache seines Vorgängers. Der Dalai Lama selbst war stets darauf bedacht, diese allzu weit hergeholte Legende nicht zu bestätigen.

            Lhamo Dhondrub wurde als der 14. Dalai Lama mit dem Namen Jetsun Ngawang Lobsang Yeshe Jamphel Tenzin Gyatso ausgewählt, was übersetzt heißt „Heiliger Herr, Sanftmütige Glorie, Barmherziger, Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit." Er hat auch nichts dagegen, wenn man ihn einfach nur Yeshe Norbu („Wunsch erfüllendes Juwel") nennt.


            Er begann seine monastische Ausbildung im Alter von sechs Jahren. Im Jahr 1950, im Alter von gerade mal 15 Jahren, wurde er als geistiges und weltliches Oberhaupt Tibets inthronisiert.

            Der Dalai Lama herrschte somit neun Jahre lang, von 1950 bis 1959 (als er nach Indien floh). Während dieser Zeit stimmte er gemeinsam mit seinem Regenten und Beratern Praktiken zu, in denen es um die Religionsfreiheit, die Freiheit der Frauen (den des Ehebruchs für schuldig Befundenen wurden Nase und Ohren abgeschnitten), die Freiheit der Bauern, kurz gesagt, Freiheit im Allgemeinen und Barmherzigkeit für das Volk nicht besser stand (und sehr wahrscheinlich schlechter), als im mittelalterlichen Frankreich. In seiner Autobiographie erzählt er, dass er gerade dabei war, Reformen einzuleiten, als die chinesische Armee in Tibet einmarschierte. Aufgrund dessen, dass er selbst so sträflich langsam mit Reformen war, überließ er es der Zentralregierung in Peking, Sklaverei und Leibeigenschaft abzuschaffen, Fronarbeit und private religiöse Justiz zu verbannen, Schulen zu errichten, die Menschen lesen und schreiben zu lehren, das demographische Wachstum anzuregen, das seit zwei Jahrhunderten stagniert hatte, und die Lebenserwartung für die Bürger von Tibet beinahe zu verdoppeln.

            Die Sklaverei ist seit 1926 durch die Genfer Konvention verboten, seit 1930 durch die International Labour Organization (ILO) und seit 1948 mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren vierter Artikel besagt: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen untersagt."

            Der 14. Dalai Lama, der letzte in einer langen Reihe von Machthabern, floh am 17. März 1959 nach Indien. Am 28. März, also elf Tage später, wurden Leibeigenschaft und Sklaverei in Tibet abgeschafft (Nachbarländer, wo die Mönche nicht die Gesetze machten, hatten das bereits viel früher getan:1923 in Afghanistan und 1956 in Bhutan). Von der Maßnahme profitierten fast eine Million Tibeter, das entspricht 95 Prozent der Bevölkerung, die nicht zu den Herren des Landes – Aristokraten, Mönche und Lebende Buddhas – zählten.

            Im Tibet der Dalai Lamas war die Herrschaft der Mönche so streng, dass es besser ist, gar nicht näher darauf einzugehen und sich über Ausdrucksweisen zu streiten, wenn andere seine Missbräuche aufdecken. Zum Beispiel gibt es eine Kontroverse darüber, ob es dort Sklaverei und Leibeigenschaft wirklich gab oder nicht. Lassen Sie uns einmal die im Jahr 1956 angenommene Definition zuhilfe nehmen, die ein Zusatz der Genfer Konvention von 1926 ist, und insbesondere dasZusatzabkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und vergleichbarer Einrichtungen und Praktiken der Sklaverei". Es definiert die Leibeigenschaft wie folgt:

„Als Leibeigenschaft bezeichnet man die Lage oder Rechtsstellung eines Pächters, der durch Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung verpflichtet ist, auf einem einer anderen Person gehörenden Grundstück zu leben und zu arbeiten und dieser Person bestimmte entgeltliche oder unentgeltliche Dienste zu leisten, ohne seine Rechtsstellung selbständig ändern zu können."

            Befanden sich die Mittellosen in Tibet etwa nicht unter solchen Zwängen? Der Dalai Lama selbst machte in seiner Autobiographie keine solche Behauptung, ganz im Gegenteil. Sklaverei definiert die Genfer Konvention als „die Lage oder Rechtsstellung einer Person, bei welcher eine oder alle mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt werden."

            Alexandra David-Neel war eine große Entdeckerin, und ebenso gilt sie als unbestrittene Spezialistin und Freundin von Tibet. Sie wurde in Dharamsala vom Dalai Lama empfangen und nach ihrem Todreiste er zweimal (im Oktober 1982 und Mai 1986) nach Frankreich, um ihr Geburtshaus in Digne zu besuchen. Er lobte sie öffentlich dafür, den Menschen im Westen die tibetische Kultur näher gebracht zu haben. In ihrem Buch Grand Tibet et vaste Chine [Großartiges Tibet und unermessliches China] gesteht sie: „Eine Art von gutartiger Sklaverei existiert noch in vielen Teilen von Tibet." Anhänger des Dalai Lama, die entschlossen sind, diese Tatsache zu leugnen, ergehen sich in Haarspaltereien über gewisse Freiheiten, die den Armen gewährt wurden – offenbar, um sie aus dem Stand von Sklaven zu erheben.

Das tibetische Recht unter den Dalai Lamas weist jedoch eine verblüffende Ähnlichkeit zu einem französischen Text aus dem Jahre 1685 auf, nämlich der Code Noir" von Colbert. Dieses Edikt des Königs, das seine Politik auf den Inseln in Französisch-Amerika regelte, zielte offiziell auf den Rechtsbeistand für Sklaven ab. Sowohl im royalistischen Frankreich wie im ehemaligen, theokratischen Tibet hatten die Herren das Recht, ihre Leute zu bestrafen, sie zum Praktizieren einer Religion zu zwingen, Ausreißer und Diebe zu sanktionieren; sie haben sie in Ketten gelegt, ausgepeitscht, eingesperrt oder amputiert, sie getötet; und sie konnten ihnen die Erlaubnis zu heiraten gewähren oder verweigern. Jeder, der seine Hand gegen seinen Herren zu erheben wagte, riskierte eine Palette von Strafen, die mit der Schwere der Verletzung und der Wichtigkeit seines Zieles variierte. Nur Leute mit einem wahren Sinn für schwarzen Humor können die gleichen Gesetze, die Sklaverei in unserem eigenen Fall beschrieben, in Tibet als eine harmlose Art von Naturalpacht betrachten.

            Kurz gesagt, kostete es den Dalai Lama 17 Jahre Berufsausbildung plus neun Jahre Herrschaft, um schlau seinen Wunsch zu verkündigen – auferlegt durch seine Güte undseine Liebe zur Demokratie – schließlich dem feudalen Erbe ein Ende zu setzen, das den 14. Dalai Lama und ihre inneren Zirkel mit Macht und Reichtum überhäuft hat.

Natürlich möchten an dieser Stelle viele französische Leser mit vollem Recht eine Menge zur chinesischen Version von Demokratie und zum System sagen, das derzeit in Lhasa herrscht. Aber ich vermute, dass sie noch energischer widersprechen werden, wenn sie entdecken, was die Regierung unter den Dalai Lamas wirklich bedeutete, und welche die Ziele der tibetischen Exil-Regierung sind.

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