28-05-2012
Made in China
Elektro-Visionen
von Elias Schwenk

Chinas Entwicklung auf dem Gebiet der Elektromobilität ist erfolgversprechend. Seit einem Jahr kooperiert die Bundesrepublik nun auf der Basis einer strategischen Partnerschaft mit der Volksrepublik. Gleichzeitig versuchen deutsche Jungunternehmer auf ihre Art vom Boom zu profitieren. Ein Vergleich.

 

Jungunternehmer Munkele und Schulz fluten den Markt

 

Welt der Elektomobilität? Bei den Elektrorollern ist die Volksrepublik Weltspitze, Elektroautos verkaufen sich auch im Reich der Mitte schlecht. Der Grund: Sie sind zu teuer.

 

Als die beiden Studenten Eduard Hunkele und Dimitri Schulz für ihr Auslandsstudium nach China kommen, sind sie begeistert. Nicht nur, dass die vielen Elektroroller, die auf den Straßen Yangzhous herumflitzen, ihnen den Anwendungsbereich ihres Maschinenbau- und Mechatronikstudiums aufzeigen, für die beiden sind die Straßen der chinesischen Stadt auch wie ein Blick in die Zukunft. Eine Zukunft ohne lästige Abgase, in der die Menschen ihr Auto nicht mehr betanken, sondern aufladen und in der sie sich mithilfe von grünem Strom fortbewegen. Die beiden fassen einen Plan: Diese Zukunftsvision wollen sie auch in Deutschland umsetzen.

Zurück an der Universität Furtwangen hat sie bald der Studentenalltag wieder. Doch ihre Idee lebt weiter. Sie bestellen einen Elektroroller aus China, nehmen ihn auseinander und untersuchen seine Funktionsweise, um die Elektroroller durch den TÜV absegnen zu lassen und sie künftig nach Bedürfnissen des deutschen Marktes verkaufen zu können.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Inzwischen haben Hunkele und Schulz ihr Studium beendet, haben eine Firma gegründet und sind wieder nach China gereist auf der Suche nach Partnern, die ihnen die Roller nach ihren Wünschen fertigen. „Elektromobilität ist einfach eine klasse Sache", meint Hunkele. „Und das wollen wir auch für Deutschland!"

 

Chinas Entwicklung

Dass die beiden die Roller in China herstellen lassen, ist kein Zufall Tatsächlich ist die Volksrepublik auf diesem Gebiet weltweit Spitze. Bereits im Jahr 2008 gab es hierzulande 120 Millionen Elektroroller, allein in der Hauptstadt Beijing werden sieben- bis achthunderttausend gezählt. Pro Jahr werden mehr als 20 Millionen Roller verkauft, mehr als das 100-fache der deutschen Verkaufszahlen. Nach Angaben des Forschungsinstituts „Pike Research" sollen im Zeitraum von 2010 bis 2016 weltweit 466 Millionen Elektroräder, -roller und -motorräder verkauft werden, 95 Prozent davon in China.

Bis zur marktführenden Position Chinas war es jedoch ein langer Weg. „Bereits zu Beginn der 90er Jahre gab es Bestrebungen, Elektroroller auf den Markt zu bringen", erklärt Yang Chi-jen, Analyst am Forschungszentrum zum globalem Wandel an der Duke University in North Carolina. „Aber richtig in Fahrt kam der Markt erst gegen Ende der 90er Jahre."

Damals stieg die Zahl der Verkehrsunfälle drastisch an. Schnell hatte die Regierung die Schuldigen gefunden: die Motorräder und Roller mit Verbrennungsmotor wurden aus rund 90 Großstädten verbannt. Die Menschen mussten sich auf die Suche nach einer Alternative begeben. Elektroroller boten sich an, denn sie galten als Fahrräder mit Hilfsmotor und waren vom Verbot ausgenommen. Die Pedale vieler chinesischer Roller erinnern noch heute an diese Abstammung vom Drahtesel.

 

 Alltagstauglichkeit und Rentabilität entscheiden

Dass sich die Chinesen auf die Elektroroller stürzten, lag aber auch daran, dass diese in vielerlei Hinsicht praktischer waren als ihre Vorgänger mit Verbrennungsmotor: Statt zu tanken, bezog man die Energie einfach aus herkömmlichen Steckdosen.

Dazu kommt, dass ein Elektroroller für den chinesischen Fahrer wesentlich billiger ist. Ein Roller kostet in China nur wenige hundert Euro, die Stromkosten liegen erheblich unter dem Benzinpreis. Die verwendete Technik ist anspruchslos: größtenteils kommt man aus ohne Kontakte, die verschleißen, und Getriebe, das nach Öl verlangen. Aufwändige Reparaturen sind also sehr selten. Einzig die Batterie muss nach 300- bis 500 Ladungen gewechselt werden. Bis es soweit ist, gehen Jahre ins Land.

Die Rentabilität der Elektroroller haben die beiden Jungunternehmer aus Furtwangen für sich entdeckt. „Als Student ging fast mein ganzes BAföG für Benzinkosten drauf!", erinnert sich Dimitri Schulz. „Wenn wir jetzt unsere Elektroroller verkaufen, dann versuchen wir, die Preise so niedrig wie möglich zu halten. Wir wollen einfach möglichst viele Roller an den Mann und die Frau bringen."

 

Kooperation der Regierungen

Auch die Bundesregierung setzt in Sachen Elektromobilität auf Kooperation mit der Volksrepublik. Im Juni des vergangenen Jahres unterschrieben Vertreter beider Länder in Berlin eine Erklärung zur Errichtung einer strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und China auf diesem Gebiet. Eine Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft, vor allen Dingen aber auch unter Universitäten wird angestrebt.

Teil der neuen Partnerschaft ist auch die Stadt Hamburg, die als Modellregion seit letztem Jahr in einem Austausch mit der südchinesischen Stadt Shenzhen steht. „Erfahrungen, die wir in Deutschland nur sehr kleinteilig gemacht haben, bestehen in China bereits in einer ganz anderen Größenordnung", meint Heinrich Klingenberg, Geschäftführer der Firma hySolutions, die den Austausch im Auftrag der Stadt Hamburg koordiniert.

Die Übertragung von Projekten aus dem chinesischen Alltag bereite jedoch häufig auch Schwierigkeiten, räumt Klingenberg ein. „Nehmen wir zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr: In China spielt man mit dem Gedanken, Elektro-Busse an den Haltestellen kurz aufzuladen. Dafür müssten sie aber mindestens eine Minute an jeder Haltestelle stehen. In China sind die Bedingungen dafür gut, die zusätzlich benötigten Mitarbeiter sind nicht teuer. In Deutschland macht Personal ohnehin schon 60 Prozent der Kosten aus. Mehr Mitarbeiter bedeuten hier Unproduktivität!"

 

Restriktion statt Subvention?

Auch an eine Übernahme der restriktiven Politik gegenüber Verbrennungsmotoren, die im China der 90er Jahre die Elektroroller beflügelte, ist in Deutschland nicht zu denken. Obwohl auch in Europa Maßnahmen, die auf Restriktion statt auf Subvention setzen, Erfolge vorzuweisen haben.

London ist ein Beispiel. Seit 2003 erhebt die Stadt eine Innenstadtmaut in Höhe von acht Pfund (10 Euro) täglich für jedes Auto mit Verbrennungsmotor. In der Folge stieg die Zahl der Fahrräder in der englischen Hauptstadt – ebenso wie die Zahl von Hybrid- und Elektroautos, von denen es heute mehr als zwanzigmal so viele gibt wie vor Einführung der Zwangsmaßnahme.

In Deutschland ist man mit Restriktionen gegenüber Benzinern und Dieselmotoren hingegen äußerst zurückhaltend. Umweltzonen wurden eingeführt, die Autos mit Katalysatoren ausgestattet - Maßnahmen, die zum Kauf modernerer Autos anregen, nicht aber zur Aufgabe des Verbrennungsmotors.

„Ich persönlich bin zwar für ähnlich drastische Maßnahmen wie damals in der Volksrepublik", so Klingenberg. „Aber das sind politische Entscheidungen." Will heißen: Entscheidungen von Politikern, die immer ein Auge auf die Autolobby haben.

Auch in China scheut man sich bisher vor einer Konfrontation mit der Autolobby und hält sich bei einschneidenden Verboten von Autos mit Verbrennungsmotor zurück. Die chinesische Regierung setzt daher inzwischen ebenfalls auf die Subvention von Elektromobilität. Bis 2015 will sie eine halbe Millionen Elektroautos auf den Straßen sehen. Doch wie in Deutschland und Europa scheint auch der chinesische Markt noch nicht auf die Förderungen und Maßnahmenpakete der Regierung einzugehen. Nach einer Studie von McKinsey wurden seit 2009 nur 6900 Elektroautos verkauft.

Build your Dreams (BYD) ist Chinas Vorreiter bei der Entwicklung von Elektroautos und war lange Zeit das Symbol für den wachsenden Markt der Elektromobilität in China. Doch der Partnerkonzern von Daimler durchlebt gegenwärtig einen Albtraum: Im vergangenen Jahr sank der Gewinn um bis zu 99 Prozent. 20 000 Mitarbeiter wurden entlassen. Die Ursache für diese Abwärtsentwicklung ist auch im schwachen Absatz von Elektroautos zu finden.

Das Problem: Selbst in China sind die Elektroautos immer noch zu teuer. Die McKinsey-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Elektroautos um 150 Prozent teurer sind als ihre Konkurrenten mit Verbrennungsmotor – obwohl der Staat den Kunden beim Kauf eines Elektroautos bislang mit mehreren tausend Euro pro Fahrzeug unterstützte.

 

Kernfrage Marktdurchdringung

Beide Länder sehen sich also insbesondere mit der Frage konfrontiert, wie man den Verbraucher für die Elektromobilität gewinnen kann.

Bei der Lösung dieses Problems gibt es unterschiedliche Herangehensweisen: Während die beiden Jungunternehmer Hunkele und Schulz nach chinesischem Vorbild „den Markt fluten" wollen, um so Aufmerksamkeit zu bekommen und die Menschen für ihre Roller zu begeistern, setzt die Bundesregierung darauf, sich den bisherigen Fahrgewohnheiten der Bürger anzupassen:

„Generell hat sich die Bundesregierung derzeit dazu entschieden, die Forschung, Entwicklung und Präsentation von Elektromobilität zu fördern und nicht den Erwerb kommerziell erhältlicher Produkte zu unterstützen", erklärt der Staatssekretär des Verkehrsministeriums Rainer Bomba gegenüber der Beijing Rundschau.

Die Meinungsverschiedenheiten über die sachgerechte Vermarktung der Elektromobilität ist auch ein Streit darüber, wie die Zukunft aussehen soll. Will man die Sache pragmatisch angehen und Mobilität aus der Steckdose schon heute im Kleinen einführen und dann gelassen weiterentwickeln, oder sich über Jahre auf die Entwicklung eines Quantensprungs vorbereiten? Die Bundesregierung tut Letzteres.

In China hat der Verkehrsteilnehmer vor allem anhand der Elektroroller praktisch erfahren wie sich Elektromobilität im Alltag umsetzen lässt. „Auftanken" lässt sich die Batterie praktisch überall: im Freien neben dem Hauseingang an einer Außensteckdose oder innerhalb der eigenen vier Wände. In Deutschland wird hingegen nach Mitteln und Wegen für die Errichtung von „Stromtankstellen" gesucht, ganz nach dem herkömmlichen Modell der Mineralölkonzerne – höchstens ohne Tankwart! Dass das bei längeren Aufladezeiten völlig unpraktikabel ist, erkennt auch der deutsche Autokäufer: Nach einer Studie des TÜV-Rheinland würden nur 57 Prozent der Deutschen beim Kauf eines Neuwagens ein Elektroauto überhaupt in Erwägung ziehen, wobei hohe Anschaffungskosten und der rasche Verschleiß der Akkus die Begeisterung nachhaltig dämpfen. In China hingegen liebäugeln 92 Prozent mit einem Einstieg in die Elektromobilität. In Deutschland wird eine Technik weiterentwickelt für die faktisch keine Nachfrage besteht.

Folglich stehen die futuristisch anmutenden Elektroautos zwar auf den Automobil- und Industriemessen herum, nicht jedoch in den Schaufenstern der Händler. Porsche entwickelt den neuen Porsche Boxster E, der eine Reichweite von 170 Kilometern haben soll. Bei Einschalten der Klimaanlage, sportlichem Fahren oder offenem Verdeck schrumpft die Reichweite drastisch. Selbst die Verantwortlichen schließen hier eine Serienproduktion aus. Was bleibt, sind Gefälligkeitsentwicklungen, die den Tatendrang der Politik befriedigen sollen.

Zurzeit brüten die Entscheidungsträger auf Regierungsebene darüber, wie sich ein „Memorandum of Understanding" verfassen lässt, auf das man sich in Grundzügen bei einem deutsch-chinesischen Treffen am Rande der Hannovermesse geeinigt hat. In dem Memorandum soll unter anderem ein Arbeitsplan mit „konkreten Terminen" vorgelegt werden. Bis zur Fertigstellung werden voraussichtlich noch einige Monate verstreichen. Bis dahin wollen die beiden Jungunternehmer Hunkele und Schulz schon ein paar Containerladungen ihrer Roller verkauft haben. Preis pro Stück: 2600 Euro. Die ersten Exemplare stehen bereits in den Schaufenstern der Händler.