23-11-2010
Made in China
Steigende Einzelhandelspreise und Maßnahmen gegen Inflation
Von Jin Duoyou

 

Samstagmorgen, kurz vor acht Uhr vor dem Merry-Supermarkt in Hepingli, im Osten Beijings. Die Kunden stehen Schlange. Punkt acht Uhr öffnet der Supermarkt seine Tore, die Menschen drängen an die Fleischtheke. Dort gibt es heute in feine Scheiben geschnittenes Hammelfleisch im Sonderangebot. Kaum ist eine Lage Fleisch geschnitten, wird sie schon dem Kunden gereicht. Rasch ist die Ware ausverkauft. Der Supermarkt zieht so viele Leute an, weil der Preis sehr überzeugend ist: 17 Yuan pro Kilo. Eine Kundin erklärt: „Die Qualität des Fleisches ist nicht sehr gut, aber es ist billig. Ein Kilo Hammelfleisch guter Qualität in Scheiben geschnitten, kosten woanders 23 Yuan. Das kann ich mir kaum leisten.“

 

Im Jahr 2010 sind für den Durchschnittschinesen Preissteigerungen nichts Neues. Seit Monaten sind die Preise vieler Güter des täglichen Bedarfs gestiegen, neben Fleisch vor allem Sojabohnen, Baumwolle und Benzin.

 

Nach Angaben des Staatlichen Statistikamts vom 11. November hat der Endverbraucherpreis (EVP) im Oktober gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 4,4 Prozent zugelegt, deutlich mehr als die prognostizierte Steigerung von 4 Prozent. Gegenüber dem Vormonat gab es einen Preisanstieg von satten 0,8 Prozentpunkten und damit die höchste Teuerung seit 25 Jahren.

 

Obwohl das Statistikamt eine umfassende inflationäre Tendenz in Abrede stellt, nähert sich der EVP in der Tat der bedenklichen Marke von 5 Prozent, was in jedem Fall Inflation bedeutet.

 

Unkontrollierte Preise

 

Die aktuelle Runde der Preissteigerungen zeichnete sich Anfang April ab, als sich der Trend umkehrte und der EVP von fallender auf steigende Tendenz drehte. Im April wurde bereits eine Steigerung um 2,8 Prozentpunkte verzeichnet, die Großhandelspreise für Sojabohnen, Buntmetalle, Kautschuk und Walzstahl stiegen drastisch an. Anfang Juli gab es einen zweiten Preisschub bei den Hauptagrarprodukten. Die Preise für grüne Bohnen und Gemüse sowie andere Agrarprodukte erreichten den Höchststand in diesem Jahr. Daten des Handelsministeriums zufolge stiegen in 36 Städten die Preise für siebzig der hundert wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse.

 

Von Juli bis September erhöhte sich der EVP allmählich. Nach der Ferienwoche um den Nationalfeiertag am 1. Oktober aber gerieten die Preissteigerungen plötzlich außer Kontrolle. Alle Kassa- und Terminpreise, Einzel- und Großhandelspreise wiesen eine stark steigende Tendenz auf.

 

Marktinsider sind der Ansicht, dass der EVP in nächster Zeit auf hohem Stand verharren wird.

 

Zhang Xinfa, Analytiker für Makrowirtschaft an der Yinhe-Börse, meint, dass die Preise, nachdem sie erst einmal auf steigende Tendenz gebracht seien, dauerhaft ansteigen würden. Er prognostiziert für die nächsten Monate einen Preisanstieg um mehr als fünf Prozentpunkte, was einem Anstieg des EVP auf über 4 Prozent entspräche.

 

Ma Guangyuan, Ökonom an der Akademie der Sozialwissenschaften, sagt: „Selbst nach den optimistischsten Prognosen scheint es unmöglich, den EVP in China in den kommenden zwei Jahren auf unter 3 Prozent zu drücken. Angesichts von Minus-Zinswachstums und des übermäßigen Geldflusses von Banken plus Inflationsangst wird das Umlaufkapital zunehmend spekulativ eingesetzt.“

 

Nach seiner Aussage werde es in der ersten Hälfte des nächsten Jahres zu einer Preishausse kommen und sich die heftige Inflation, die durch saisonabhängige Faktoren und den verzögerten Effekt der übermäßigen Kreditvergabe der Banken verursacht wird, in der zweiten Jahreshälfte besonders scharf ausprägen.

 

Die Sorge wird nicht nur von Marktbeobachtern geteilt, auch die Regierung lässt Informationen in dieser Richtung durchsickern.

 

Sheng Laiyun, Sprecher des Staatlichen Statistikamts sagt: „Derzeit vergrößert sich der Druck der Preissteigerung und der Druck der makroökonomischen Steuerung. Wir müssen noch größere Anstrengungen in Richtung einer wirksamen Preissteuerung im ganzen Jahr unternehmen.“

 

Zhang Ping, Vorsitzender der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform (SKER), ließ am 9. November Folgendes verlautbaren: „Nach Schätzungen liegt das Wachstum des EVP in diesem Jahr leicht über 3 Prozent.“ Dies ist das erste Mal, dass ein verantwortlicher Funktionär eine Steigerung des EVP auf Jahressicht von mehr als drei Prozent einräumt. Beamte des Staatlichen Statistikamts und der SKER hatten bislang immer betont, dass das Wachstum des EVP unter drei Prozent gehalten werden könnte.

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