07-09-2010
Made in China
Traditionelle Marken in Beijing
von He Qinying

Das Lieblingsschuhgeschäft der Beijinger

Der Volksmund weiß, dass Schuhe das entscheidende Statussymbol einer Person sind. Dies gilt vor allem für die Beijinger: Wer hier ein Paar hochwertiger Schuhe sein Eigen nennt, erntet beträchtliches Prestige. Da stellt sich natürlich die Frage, wo man gute Schuhe kaufen kann. Die Antwort ist einfach: bei Neilianscheng. Während der Qing-Dynastie stellte die Schusterwerkstatt nicht nur Schuhe für das Volk her, sondern auch für hohe Beamte des Kaiserhofes. Sogar der Kaiser selbst trug Schuhe aus dem Hause Neiliansheng.

Heutzutage ist Neiliansheng nicht nur ein berühmtes Schuhhaus, sondern auch ein Museum traditioneller chinesischer Schuhmacherei. Hier kann man zum Beispiel die Herstellung der Sohle beobachten. Als Material für die Sohle dient alter weißer Baumwollstoff. Das Baumwolltuch muss zuerst ausgewaschen werden. Dann klebt man mit Kleister das Baumwolltuch Schicht auf Schicht zusammen und drückt es flach. Die Stoffsohle näht man mit eng gesetzten Stichen fest zusammen. Auf jedem Quadratzoll sitzen mehr als 81 Stiche. Dann lässt man die Stoffsohlen in kochendem Wasser aufquellen. Anschließend werden sie in eine Baumwollsteppdecke eingewickelt. Man klopft sie, damit sie Form annehmen. Schließlich wird der Stoff in der Sonne getrocknet. Der Herstellungsprozess der Sohle kennt sieben Arbeitsschritte. Nur so können robuste und zugleich bequeme Sohlen hergestellt werden. Diese Art der Schuhmacherei ist sehr schwierig zu erlernen, die Handarbeit wird nicht durch die Maschine ersetzt. Deshalb ist die Stückzahl der Produktion begrenzt. Aber das zählt durchaus zur Geschäftsstrategie von Neiliansheng. Dank der speziellen Machart und der Verwurzelung seiner Produkte in der traditionellen Kultur gelingt der Schuhmacherei das Überleben auch im Zeitalter der Massenproduktion. Das Traditionshaus verfügt über einen treuen Kundenstamm.

Neiliansheng wurde von Zhao Ting im Jahr 1853 während der Qing-Dynastie gegründet. Die Heimatstadt des Gründers ist Tianjing. Er war Lehrling in einer Schuhmacherei und lernte dort die wichtigsten Handgriffe und die Grundlagen einer erfolgreichen Geschäftsführung. Ein General des Kaiserhofes investierte eine namhafte Summe, damit Zhao Ting eine Schuhwerkstatt in Beijing eröffnen konnte. Seine hauptsächlichen Kunden waren hohe Beamte und Adelige. Er nannte sein Schuhgeschäft Neiliansheng. Nei bedeutet hier „Kaiserhof". Liansheng spielt darauf an, dass Beamte, die Stiefel tragen, Karriere machen und Reichtum erlangen können. Alle Produkte von Neiliansheng wurden in Handarbeit hergestellt. Größe und Form der Füße der Kunden wurden protokolliert. Wenn ein Beamter Schuhe kaufen wollte, schickte er einen Dienstboten in das Schuhhaus, um Bescheid zu sagen. Die Schuster stellten dann die Schuhe nach den hinterlegten Aufzeichnungen her. Durch diese Praxis konnten auch untergeordnete Beamte, wenn sie eine Audienz bei ihren Vorgesetzten erhalten hatten, Schuhe als Geschenk überbringen. Heute ist das einfache Volk die Hauptkundschaft des Schuhgeschäfts, aber Neiliansheng stellt noch immer Schuhe nach Maß her. Ähnlich wie früher werden auch heute noch die Kundendaten archiviert und bei Bedarf hervorgeholt. So steht auch heute noch die Kundenzufriedenheit an erster Stelle bei Neiliansheng.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschten Kriegswirren in China. Während dieser Zeit war der Adel noch die Hauptkundschaft des Schuhhauses. Aber die Zeiten änderten sich. Der Adel verschwand und Rikschafahrer zählten zu den Stammkunden von Neiliansheng. Allerdings konnten diese sich die hohen Preise eigentlich nicht leisten, aber die Schuhe waren robust und mussten lange nicht durch neue ersetzt werden. Denn trotz des Wandels der Sozialstruktur wollte Neiliansheng keine Abstriche bei der Qualität der Schuhe machen. Nur das Beste herzustellen ist das Kredo dieses Schuhgeschäfts.

Trotzdem Neiliansheng an der Tradition festhält, öffnet es sich doch auch neuen Geschäftsmodellen. Seit kurzem vertreibt die Traditionsmarke ihre Produkte auch über Letao, das größte Online-Qualitätsschuhhaus auf dem chinesischen Festland. Das Management begründet diesen Schritt mit einer Erweiterung des Vertriebsnetzes und der Absicht, die Attraktivität seiner Produkte unter jungen Konsumenten zu erhöhen. Bei Neiliansheng gibt es mehr als 3000 verschiedene Schuhmodelle und bei Material und Verarbeitung wird Tradition strikt beibehalten. Cheng Xu, der Assistent des Generaldirektors, meint: „Wir hoffen, durch das Internet mehr über unsere Kunden zu erfahren, besonders über die junge Kundschaft, die sehr gerne online shoppen geht." Neiliansheng bietet mehr als zwanzig verschiedene Artikel im Internet an. Der Preis hat sich nicht geändert. In den letzten Jahren hat das Traditionshaus eine Umsatzsteigerung von 20 Prozent erlebt. Durch E-Commerce möchte das Unternehmen Raum schaffen für neue Umsatzsteigerungen.

 

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