24-08-2010
Made in China
Fotografieren für China
 

Das erste Bild von Liu Shaoqi nach der Kulturrevolution

Die Tatsache, dass Yao Jingcai Spitzenpolitiker als Kundschaft hat, handelt ihm noch erhebliche Schwierigkeiten ein, vor allem während der Kulturrevolution. Er wird als "Feind des Sozialismus" geschmäht. Während der Kulturrevolution kommt der normale Betrieb des Fotoateliers zum Erliegen. Stattdessen werden Maobilder hergestellt. Nach Erinnerung von Xie Qiongyun, 48 Jahre lang Mitarbeiter des Ateliers, legten sie sofort nach der Nachricht von der Rehabilitierung Liu Shaoqis dessen Porträt wieder ins Schaufenster. Wang Guangmei, die Ehefrau von Liu Shaoqi, war von dieser Geste tief beeindruckt. Von da an kam sie einmal im Jahr zu einem Fototermin in das Atelier. Diese Gewohnheit behielt sie bis zu ihrem Tode bei.

Das Ende der Kulturrevolution erlebte die Renaissance der bürgerlichen Fotografie: Im Schaufenster des "Fotoatelier China" lagen Hochzeitsfotos, die Braut ganz in Weiß! Auf vielen Fotos sind junge Eheleute in bunter Kleidung vor grauer Wand zu sehen. In den 1980er Jahren hatte Yao Jingcai Gelegenheit, Hongkong und Taiwan zu besuchen. Er interessierte sich für die dortige Hochzeitsfotografie. Nach seiner Rückkehr nach Beijing lässt er einen Schneider ein Hochzeitskleid anfertigen und baut eine Kulisse nach dem Poster der Skyline von Hongkong. Dann macht er das erste Hochzeitsfoto der Stadt mit einer Braut in Weiß.

„Damals verabschiedeten wir uns allmählich von der Schwarzweißfotografie. Farbfotos waren gefragt. Die Damen trugen Dauerwelle und schicke Kleider." In der Erinnerung von Xie Qiongyun ist dies eine Zeit, da das chinesische Volk wieder die Schönheit zu schätzen begann. 

Vom hohen Funktionär bis zum Wanderarbeiter

In 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lagen die Fotos von unterschiedlichsten Menschen im Schaufenster. Für viele Leute sind Fotos längst kein Luxusartikel mehr. Auch Wanderarbeiter werden Kunden des Fotoateliers. Ein Mal fotografierte Xie Qiongyun einen Blinden. Durch die Retuschen werden die Augen des Kunden auf dem Foto zum Leben erweckt. Die Frau des Blinden war zu Tränen gerührt.

Aber das "Fotoatelier China" war längst kein Marktführer mehr. Die privaten Ateliers erfreuen sich wegen ihres modernen Designs zunehmender Beliebtheit. 1992 beeinträchtigte nicht nur die wachsende Zahl privater Ateliers, sondern auch der Umbau der Wangfujing Straße den Umsatz der Firma. Die Tageseinnahmen konnten nicht einmal mehr die Ausgaben für das Mittagessen der Mitarbeiter decken. 

Wende zum Bessern

1999 erlebte das "Fotoatelier China" eine Wende zum Bessern. Jenes Jahr war das „Internationale Jahr der Senioren". Ein alter Beamter der Raumfahrtbehörde war zufrieden mit dem Foto, das er im "Fotoatelier China" hatte anfertigen lassen. Er fragte an, ob die Fotografen nicht zur Raumfahrtbehörde kommen könnten, weil sich viele der älteren Experten fotografieren lassen wollten, es für sie aber zu beschwerlich war, zum Atelier zu kommen.

Die Managerin des "Fotoatelier China", Sun Xiuzhen, beschloss daraufhin, dies als eine Chance zur Veränderung des Geschäftsmodells wahrzunehmen. Die Fotografen gingen auf Hausbesuch zu den Senioren! So erwarb das Atelier erneut die Gunst der Kundschaft.

Heutzutage hat das "Fotoatelier China" sogar sechs Filialen. Die Kleinbildkameras sind außer Dienst gestellt, man fotografiert jetzt digital. Nachbearbeitet wird jetzt am Computer, von Hand zu retuschieren ist überflüssig geworden. Aber viele Retuscheure denken wehmütig an die alte Technik zurück. Xu Songyan hat viele von Hand retuschierte Fotos aufbewahrt und sagt, sie seien doch die echte Kunst und viel schöner als die Digitalfotos.

 

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