17-06-2015
Kultur und Kunst
Frühsport für den Durchbruch auf der Bühne
von Zhao Wei
Für einen Studenten der darstellenden Künste aus Xinjiang ist der Anfang mühsam – doch all die Anstrengungen werden belohnt

Studenten der 2011 Xinjiang Klasse der Zentralen Schauspielakademie Peking (CDA): Ablikim Ablat (hintere Reihe, erster von rechts), Janijan Abdulla (hintere Reihe, zweiter von rechts) und Shiliang Yixiao (mittlere Reihe, zweiter von rechts) und ihre Lehrer Xu Ping (vorderste Reihe, erster von links), Li Yadi (vorderste Reihe, zweiter von rechts) und Boryana Trifonova (vorderste Reihe, erste von rechts) COURTESY OF THE CAD

Schauspielstudenten führten im April "Der blaue Vogel" im Beijing North Theater auf

Im September 2011 hat der uigurische Student Ablikim Ablat aus dem Nordwesten des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang sein vierjähriges Studium an einer der besten chinesischen Universitäten für Darstellende Künste begonnen – an der Zentralen Schauspielakademie (CAD) in Bejing. Ablat hatte sich auf veschiedenste Schwierigkeiten gefasst gemacht, vor allem was das Schauspielen und seine Sprachkenntnisse angeht. Doch die erste Herausforderung war dann eine ganz andere: Die Tutoren verlangten, dass der junge Student und seine Klassenkameraden spätestens um 6:30 Uhr aufstehen und schon vor dem Frühstück Sport machen sollten. "Wir waren sehr skeptisch und versuchten diese Anweisung zu umgehen", sagte Ablat und erinnert sich an seine bestürzte Reaktion in den ersten Tagen. "Wir haben mit den Professoren diskutiert. 'Wir sind hier um Schauspiel zu studieren und nicht um Leistungssportler zu werden.` Aber nach zwei Wochen der Unerbittlichkeit verstanden wir, warum das Training notwendig ist."

In diesem Sommer ist Ablat sogar dankbar für den einst verhassten Drill. Im Rahmen ihres Studienabschlusses führten Ablat und seine Kommilitonen vom 18. bis zum 28. April 2015 ein Theaterstück im Beijing North Theater auf. Bei allen 15 Aufführungen musste der Student jeweils fünf verschiedene Rollen spielen. "Dank des Trainings war ich trotz der Anstrengung voller Energie und Vitalität", sagte er. Die Aufführung wurde vom Publikum mit tosendem Applaus belohnt, aber das ist nur ein Teil dessen, was sie so außergewöhnlich macht.

Der Schauspielkurs, an dem Ablat teilgenommen hat, hat einige Besonderheiten. Bekannt als 2011 Xinjiang Klasse besteht der Kurs aus 15 Studenten, die alle aus Xinjiang stammen und von denen zwölf Uiguren sind. Die anderen drei Teilnehmer bezeichnen sich als Han-Chinesen oder Tadschiken. Bevor sie sich an der CAD eingeschrieben haben, haben nur drei der Studenten Darstellende Künste gelernt. Einige von ihnen konnten nicht einmal Mandarin sprechen und mussten daher während des ersten Studienjahrs die gemeinsame Sprache an der Chinesischen Universität für Nationale Nationalitäten lernen. Ab dem zweiten Studienjahr wurde der Unterricht in den Darstellenden Künsten dann auf Mandarin abgehalten. Bis zu ihrem Abschluss konnten fast alle Studenten die Sprache fließend sprechen.

Obwohl die Anfang 20-jährigen Studenten in den vergangenen vier Jahren teilweise mehr als 2000 Kilometer von ihren Familien und Freunden entfernt lebten, sagen einige aus der Xinjiang Klasse, dass die Schule und die Lehrer das Äußerste getan hätten, damit sie sich Zuhause fühlen. Sie haben beispielsweise zum Geburtstag jedes Studenten gemeinsam mit der Klasse und den Lehrern eine Party gefeiert. Wenn die Studenten vor ihrer Abschlussaufführung bis spät in die Nacht geprobt haben, blieb die Mensa, in der es muslimische Halal-Gerichte gibt, auch besonders lange geöffnet.

"Wir waren sehr eng miteinander verbunden", sagte der Klassensprecher Janijan Abdulla. "Die Lehrer waren wie unsere Familie. Wir nennen Professor Xu Ping 'Papa', denn nach dem Unterricht war er zu uns wie ein Vater." Zu der Fakultät gehört auch die Bulgarin Boryana Trifonova, die ebenfalls an der CAD studiert hat und nach ihrem Abschluss die erste ausländische Lehrerin der Akademie wurde.

Die Lehre der Akademie stützt sich auf verschiedene Schulen des Schauspiels. Die Studenten wurden in die Attis-Schauspielmethode eingeführt, die von dem berühmten griechischen Theaterdirektor Theodoros Terzopoulos entwickelt wurde. Sie ist von der antiken Tragödie inspriert und betont die Körpersprache.

"Diese Methode hat uns nicht nur körperlich trainiert, sondern uns auch geholfen, uns besser zu konzentrieren, wir können unseren Atem länger anhalten und haben unsere Flexibilität verbessert", erklärt Abdulla. "Es hat auch unsere flattrigen Nerven beruhigt, bevor wir auf die Bühne gegangen sind. Und das Entscheidende ist: Es ist ein Gruppentraining, durch das die Klassen zu einer Einheit wurde. Das war sehr wichtig für unsere gemeinsamen Proben."

Als die Studenten ihre Körpersprache immer weiter verbesserten, wurde der Roman "Der blaue Vogel" von dem belgischen Autor Maurice Maeterlinck für die Abschlussaufführung ausgewählt. Geschrieben wurde das Stück von dem Nobelpreisträger 1908. Die Handlung dreht sich um Mytyl und ihren Bruder Tyltyl, die mit der Hilfe der guten Fee Bérylune nach Glück streben. "Der blaue Vogel" ist eine Metapher für undefinierbares Glück. Als ein Meisterwerk des Symbolismus vermischt es Wunder, Illusionen und Sinnbilder. "Wir haben uns in der Lehrerschaft meherer Wochen Gedanken darüber gemacht, welches Stück wir für sie auswählen könnten", sagte Xu Ping, Mentor der Xinjiang Klasse. "'Der blaue Vogel' ist voller Mystik und fantastischer Elemente. Es ist ein passendes Stück, in dem die Studenten all ihre Fähigkeiten zeigen können."

Monatelang probten die Studenten das Stück, so dass es manchmal zu "Folter" wurde, sagt Shiliang Yixiao, eine der Studenten aus der Volksgruppe der Han.

"Theaterschauspiel ist eine kontinuierliche Handlung auf der Bühne. Das bedeutet, dass vor der Aufführung alles perfekt vorbereitet sein muss", sagt Yixiao. "Dafür mussten wir immer weiter Proben. Aber während wir unsere Texte und Bewegungen wiederholten und wiederholten, haben wir die Frische verloren und fühlten uns verloren. Manchmal haben wir sogar nicht mehr auf die Lehrer gehört. Aber als wir das Stück dann endlich aufgeführt haben, waren wir ihnen so dankbar!"

Während der Vorführung im April haben die jungen Studenten das Publikum gefesselt. Ihre Kostüme waren sehr schlicht, aber die Drabietung glitzerte – vor allem ihr Schauspiel. Sie spielten Jungen und Mädchen und mit der gleichen Leichtigkeit auch Nicht-Menschliches – eine Katze, einen Baum und die Entrücktheit von Glück. Sie untermalten das Stück sogar mit eigener Musik. Während die Geschichte sich entfaltete, spielen sie das Tanbur, ein antikes uigurischen Saiteninstrument, und die Gitarre. Sie sangen enthusiastisch traditionelle Lieder aus Xinjiang, gewürzt mit Popmusik und befeuert durch uigurische Tanzschritte. Sie belebten die Bühne mit starken folkloren Besonderheiten.

Li Yadi, der geschäftsführende Direktor von "Der blaue Vogel", hat seinen Studenten erst in der letzten Woche vor der Auführung erklärt, wofür der blaue Vogel steht. Er wollte, dass jeder von ihnen während der Proben eine eigene Interpretation entwickelt.

"Wir haben alle unsere eigene Vorstellung des blauen Vogels, und wir haben viel darüber gerübelt, warum wir ihn in einer bestimmten Weise interpretieren", sagte Ablat. "Für mich war das eine gute Möglichkeit, über mein Leben und die Zuunft nachzudenken. Für mich hat das Stück eine einfache Bedeutung: Geh nicht verloren, während du versuchst, deinen eigenen blauen Vogel zu finden."

Es scheint so, zumindest für den Moment, als hätte Ablat seinen blauen Vogel gefunden – oder als sei er zumindest auf einem guten Weg, ihn auf der Reise in eine erfolgreiche Zukunft zu finden.