22-08-2014
Kultur und Kunst
Zwölf Dinge, die einem beim Chinesisch Lernen auffallen könnten
von Kurt Schneider

 
„Ich hoffe, dass der eine oder andere Lernende durch meinen Text ermutigt wird, sich auf das Abenteuer Chinesisch zuversichtlicher einzulassen", sagt Kurt Schneider. Unser Bild zeigt das Konfuzius Institut im Norden Nürnbergs, der Heimatstadt des Autors.

Wer erstmalig ernsthaft mit der chinesischen Sprache konfrontiert wird, sieht sich fast unweigerlich einer Mischung aus Faszination des Fremd(artig)en und einer Verunsicherung durch das Andersartige gegenüber. Um die Faszination zu fördern und die Verunsicherung abzumildern, werden in diesem Beitrag einige Beobachtungen über die chinesische Sprache präsentiert, auf die man als Lernender stoßen wird.
Es sind großenteils Trivialitäten, die einem auch zeigen sollen, dass das Chinesische gar nicht so sehr anders ist, als das Deutsche. Es wäre zu hoffen, dass der eine oder andere Lernende ermutigt wird, sich auf das Abenteuer Chinesisch zuversichtlicher einzulassen, wenn er weiß, was ihn/sie erwartet.
Überwiegende Erkenntnis ist fast immer, dass die Schwierigkeiten, denen man begegnet, eine Frage der Gewohnheit sind. Je mehr und je regelmäßiger man sich selbst dem Unbekannten und Neuen exponiert, desto schneller verliert es alles, was einen davon abhalten könnte, tiefer einzutauchen und diese faszinierende Sprache zu erkunden.

Durch Vergleiche mit anderen Sprachen sollen die Unterschiede, wie auch Gemeinsamkeiten bewusst gemacht und zum Nachdenken angeregt werden.

 
 
 
Das Konfuzius Institut im Zentrum Nürnbergs: Autor Kurt Schneider hat am Nürnberger Konfuziusinstitut Chinesisch gelernt.
 
1.Chinesische Schriftzeichen sind mehr oder weniger intuitiv

Einige Schriftzeichen repräsentieren eine Idee, die sich auf den ersten Blick erschließt. Die Mitte lässt sich kaum besser darstellen, als ein Strich, der genau durch die Mitte eines Körpers geht (中). Viele elektrische Geräte bedürfen zum Betrieb eines Stromanschlusses. Was liegt also näher, als für Elektrizität ein Schriftzeichen "mit Kabel" (电) zu verwenden? Der Gedanke an einen Blick aus dem Fenster bei heftigem Regen erschließt sich ebenso leicht (雨). Ein lachendes Gesicht mit Mund und Nase und mit zusammengekniffenen Augen (笑) lässt sich genauso gut merken und wieder erkennen, wie ein weinendes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und einer Träne (哭).

Als Kind beginnt man beim Schreibenlernen meist mit den Ziffern. Gerade sie, die für uns ein Erbe aus der arabischen Sprache darstellen, sind besonders unintuitiv. Wer könnte auf Anhieb erkennen, dass "1" eine eins, "2" eine zwei, "3" eine drei usw. ist, wenn er es nicht so auswendig gelernt hätte. Schon die römischen Ziffern beförderten ihre Bedeutung sehr viel offensichtlicher (I, II, III), und von den chinesischen (ersten drei) Ziffern kann man dasselbe sagen (一, 二, 三). Man muss dazu die römischen Ziffern nur um 90 Grad drehen. Eine Drehung um 45 Grad stellt eine Verbindung zwischen den beiden Zeichen für zehn her: X und 十.

Es ist sicher eine gute Idee, den jeweiligen Schriftzeichen eine nahe liegende Bedeutung zuzuordnen, um sie sich einzuprägen.

2. Viele Laute der chinesischen Sprache klingen mehr oder weniger gleich

In der Tat gibt es viele (für deutsche Ohren) ähnlich klingende Worte in der chinesischen Sprache. Das ist eine Folge der Tatsache, dass es viele Laute, die wir in unserer Sprache gewohnt sind, im Chinesischen nicht gibt. (Fast) alle Worte beginnen hier mit einem Konsonanten, direkt gefolgt von einem oder mehreren Vokalen. Die einzigen Ausnahmen stellen Worte dar, die zusätzlich auf "n" oder "ng" enden. Dadurch ist die Auswahl an Lauten sehr viel eingeschränkter, und viele von ihnen werden für unterschiedliche Konzepte verwendet.

Um mit diesem reduzierten Vorrat an Lauten dennoch denselben Umfang an Ideen ausdrücken zu können, bedient sich die chinesische Sprache der Töne, mit deren Hilfe Worte in unterschiedliche Tonhöhen (hoch, ansteigend, fallend und steigend, fallend) ausgesprochen werden. Dafür muss man als Lernender erst ein Gehör entwickeln, denn diese Unterscheidung gibt es im Deutschen nicht mit derselben Zielsetzung. Töne sind vergleichbar mit der Angewohnheit in unserer Sprache, am Ende einer Frage die Stimme anzuheben (vergleiche: "Er ist gegangen." (Aussage) mit "Er ist gegangen?" (Frage)). Die Auswahl verschiedener Tonhöhen betrifft im Chinesischen allerdings nicht nur das Satzende, sondern jedes einzelne Wort.

3. Die chinesische Grammatik ist vergleichsweise einfach

Das ist oft die größte Überraschung, der man beim Chinesisch Lernen begegnet. Im Vergleich zu Englisch und insbesondere im Vergleich zu Deutsch könnte man fast versucht sein, zu sagen, es gäbe keine Grammatik. Das stimmt natürlich nicht, denn auch die chinesische Sprache folgt gewissen Regeln, aber im Vergleich zum Deutschen sind diese viel einfacher.

Die Reihenfolge der einzelnen Komponenten eines Satzes folgt weitgehend denselben Regeln wie bei indoeuropäischen Sprachen: Subjekt - Prädikat - Objekt.

- Es gibt keine Artikel (der, die, das).

- Es gibt keine Deklination (der Mann, des Mannes, dem Mann, den Mann).

- Es gibt keine Konjugation (ich bin, du bist, er/sie/es ist, wir sind, ihr seid, sie sind).

- Es gibt keine unregelmäßigen Verben (essen, aß, gegessen).

- Die Zeit wird nicht durch eine Modifikation des Verbs (ich gehe, ich ging, ich bin gegangen) ausgedrückt, sondern gegebenenfalls durch eine Zeitangabe (昨天 „gestern", 现在 „jetzt", 明年 „nächstes Jahr").

- Bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel 朋友们, wo an das Nomen 朋友 „Freund" zur Pluralmarkierung das Zeichen 们 angehängt wird) gibt es keine Unterscheidung zwischen Singular und Plural.

Es ist, als müsste man unveränderliche Bauklötzchen nur geeignet auswählen und in die richtige Reihenfolge bringen.

Spätestens, wenn man seinen chinesischen Freunden zuhört, wie sie mit den vielen oben aufgezählten Regeln der deutschen Sprache kämpfen, die sie aus ihrer Muttersprache nicht kennen, wird einem bewusst, wie viel Regelwerk wir beim Erlernen unserer eigenen Muttersprache unbewusst assimiliert haben.

Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass es im Chinesischen tatsächlich auch Besonderheiten gibt, die Deutsch und Englisch nur sehr selten verwendet und die wir beim Chinesisch Lernen gezwungen sind, auswendig zu lernen.

Zahlwörter: Man kann im Deutschen zwar sagen, man äße "ein Brot", und implizit wird man damit meist eine Scheibe Brot meinen. Um es genauer auszudrücken, müsste man aber "eine Scheibe Brot" oder "einen Laib Brot" sagen. Im Chinesischen ist die genaue Angabe ein Muss. 一书 ist unvollständig, und eine hervorragende Gelegenheit, sich sofort als 老外 zu outen. Jedes Substantiv hat ein (oder manchmal auch mehrere) zu ihm gehöriges Zahlwort, z. B. 一本书, 三只狗. Einzige Ausnahme: das Substantiv ist selbst ein Zahlwort (天 „Tag", 年 „Jahr").

二 und 两: Es ist dem Deutschen zwar nicht ganz fremd, zwei verschiedene Begriffe für "zwei" (vergleiche: "alle zwei" und "alle beide") zur Verfügung zu haben, aber im Chinesischen ist klar vorgegeben, wann welches von beiden zu verwenden ist.

Hierarchien: Chinesisch ist eine ausgesprochen logische Sprache.

Sowohl bei räumlichen (Adressen), als auch bei zeitlichen (Datum, Uhrzeit) Angaben gibt es eine festgelegte Reihenfolge: vom Großen zum Kleinen. Für räumliche Angaben heißt das (unter Verwendung deutscher Begriffe): Land, Bundesland, Stadt, Straße, Hausnummer.

Bei zeitlichen Angaben: Jahr, Monat, Tag, Tageszeit, Stunde, Minute. Diese Strategie hat auch noch einen positiven Nebeneffekt: benennt man Dateien auf dem Computer (z. B. E-Mails) mit dem Datum und folgt der chinesischen Reihenfolge, dann werden die Dateien im Inhaltsverzeichnis auch chronologisch aufgelistet.

4. Man kann sein Vokabular schrittweise erweitern

Sicher erleichtert ein umfangreiches Vokabular das Verständnis, aber für die ersten Schritte reichen auch schon wenige Schriftzeichen. Es gibt für Lernende auch Bücher, die sich bewusst auf die 300, 500, 750 etc. gebräuchlichsten Schriftzeichen beschränken und die schon nach kurzer Zeit - auch ohne Zuhilfenahme eines Wörterbuchs - gelesen und verstanden werden können.

5. Nicht jedes Schriftzeichen ist ein Wort

Es gibt tatsächlich einzelne Schriftzeichen, die einen Begriff oder eine Idee verkörpern (天 für „Tag" oder „Himmel", 车 für „Wagen, Auto"), die auch einem deutschen Wort entspricht. Oft sind es aber Kombinationen aus (meist) zwei oder mehr Schriftzeichen, die im deutschen mit einem Wort ausgedrückt werden (天气 für „Wetter", wörtlich „Himmelsatem", 火车 für „Zug", wörtlich „Feuerwagen").

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