08-08-2014
Kultur und Kunst
Bedrohte Yugur-Kultur
von Wa Chunfang

Die Geschwister Guo Yulian (re.) und Guo Jinlian (Wa Chunfang)

Früher wohnten wir in einem Haus aus Lehm, jetzt leben wir in einem modernen Haus. Früher gab es keinen Strom, jetzt haben wir alle eine Waschmaschine und einen Kühlschrank", beschreiben die Geschwister Guo Yulian und Guo Jinlian ihr glückliches Leben mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie führen ihre positiven Lebensumstände auf die Politik der chinesischen Regierung zurück, deren Ziel die Schaffung von mehr Wohlstand für die Bevölkerung ist.

Die beiden Geschwister sind über 60 Jahre alt und gelten als Überlieferer des immateriellen Kulturerbes der Volkslieder der Yugur, einer der 55 offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten Chinas. Sie lebten in einem kleinen Hirtendorf und zogen vor über zehn Jahren in einen benachbarten Ort.

Im Kreis Sunan der Stadt Zhangye (Provinz Gansu) leben die meisten Yugur. Mitte der 1980er Jahre siedelte die chinesische Regierung in größeren Gemeinden mit günstigen Verkehrsbedingungen Bewohner aus armen und abgelegenen Gebieten an, um Arzt- und Schulbesuche sowie den Weg zur Arbeit zu erleichtern. Darüber hinaus wurde die Infrastruktur verbessert,  Bildungs-, Gesundheits- und Kultureinrichtungen wurden ausgebaut. Vor diesem Hintergrund entstanden auch die Siedlungen im Kreis Sunan.

Zwar sind die Geschwister zufrieden mit ihrer materiellen Situation, aber sie machen sich Sorgen um die Bewahrung ihrer Kultur. „Wir beide sprechen Yugurisch, aber in der Generation meiner Enkel gibt es nur noch wenige, die unsere Sprache beherrschen. Wenn es so weiter geht, ist sie in der nächsten Generation vielleicht schon ausgestorben."

Yugurisch wird in zwei Dialekte unterteilt. West-Yugurisch gehört zu den tungusischen Sprachen aus der altaischen Sprachfamilie, während Ost-Yugurisch, das auch die Geschwister sprechen, zu den mongolischen Sprachen zählt.

Dass immer weniger Menschen die Sprache beherrschen, ist ein schon lange bekanntes Problem. Das Yugurische besitzt keine Schrifttradition, sondern wird seit Urzeiten nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. Es ist offiziell als eine der neun „vom Aussterben bedrohten Minderheitensprachen" anerkannt. Die Überlieferung und Weiterentwicklung der Sprache sind in Gefahr.

Die Veränderung der Yugur-Kultur ist vor allem auf technischen Fortschritt und Modernisierung zurückzuführen. Günstige Verkehrsbedingungen, ein ungehinderter Informationsaustausch und ein moderner Lebensstil ermöglichen zwar ein angenehmes Leben, gleichzeitig wird aber enormer Einfluss auf die traditionelle Kultur in einem ursprünglich relativ abgelegenen Raum ausgeübt. Die kulturelle Vermischung wird durch die Öffnung zur Außenwelt beschleunigt. Schutz und Überlieferung alter Kulturen werden so weltweit zum Problem. Rund 13.000 Menschen gehören zur Minderheit der Yugur. Die Erhaltung der Sprache ist nur ein Problem von vielen bei der Bewahrung der gesamten Kultur.

An Xiumei ist eine fähige Frau. Die Direktorin der Propagandaabteilung im Kreis Sunan hat Lösungen zum Schutz der Yugur-Kultur entwickelt. „Ich war früher Direktorin des Kulturamts und dann Vize-Kreisvorsteherin und somit zuständig für die Kulturarbeit. Vor einigen Jahren nahm ich an einer Sitzung über das immaterielle Kulturerbe unserer Provinz teil. Ich war sehr beeindruckt. Danach haben wir uns verstärkt für den Schutz und die Bewahrung der Yugur-Kultur eingesetzt. Ich erklärte meinen Kollegen, dass wir uns an einer ganzen Nationalität schuldig machen, wenn wir diese Aufgabe nicht bewältigen."

Dieses Verantwortungsgefühl hat bei An und ihren Kollegen dazu geführt, dass sie auf der Suche nach Unterstützung durch höhere Stellen diverse Maßnahmen zur Rettung der Yugur-Kultur entwickelt haben. So gibt es in Kindergärten und Grundschulen mittlerweile eine zweisprachige Erziehung, es werden Kurse für Yugurisch angeboten, für die man Lehrmaterial mit Schriftzeichen zur Notierung der Aussprache entwickelt hat, und Kinder können an Kursen über Volkslieder und die traditionellen Trachten der Yugur teilnehmen. Außerdem wurde eine Forschungsgesellschaft gegründet. Geplant ist die Bewerbung um die Aufnahme in die Liste des immateriellen Kulturerbes, zudem sollen ein Museum, ein Zentrum zum Schutz und zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes sowie ein Zentrum zur Bewahrung der Lieder und Tänze der Yugur aufgebaut werden. Ebenso in Arbeit ist die Herausgabe einer Enzyklopädie und von Buchkollektionen über das immaterielle Kulturerbe der Yugur.

D

Das Yugur-Mädchen Li Xuemei(Wa Chunfang)

ie Bemühungen zeigen Erfolg. Li Xuemei gehört selbst zu den Yugur und hat an der Lanzhou University of Technology studiert. Sie kann aus eigener Erfahrung einiges über die Veränderungen in ihrer Heimat berichten. Als sie die Grundschule besuchte, wurde noch nicht viel Wert auf Yugurisch-Kenntnisse gelegt, daher kann sie die Sprache zwar verstehen, aber nicht sprechen. „Als das Kind meines Bruders in die Grundschule kam, war das ganz anders. Vom Kindergarten bis in der Grundschule steht nun Yugurisch auf dem Stundenplan. Die Kinder lernen auch unsere Volkslieder. Auch ich spreche nun ein wenig Yugurisch. Ich hoffe, dass ich eines Tages die Sprache meiner eigenen Nationalität richtig beherrschen werde", sagt Li.