Die App erstellt personalisierte Linksammlungen und wirbelt den Online-Journalismus durcheinander.
Toutiao, chinesisch für „Überschrift", stellt personalisierte Informationen zusammen(Foto von Wei Yao)
Immer häufiger werden Nachrichten mit dem Handy konsumiert, personalisierte Angebote für die User haben sich zu einer Goldmine entwickelt. Zhang Yiming, Gründer und Geschäftsführer von ByteDance.com in Beijing, erkannte als einer der ersten Unternehmer in China diese Chance. Seine App Toutiao ist einer der meistverwendeten mobilen Nachrichten-Apps in China.
Toutiao, chinesisch für „Überschrift", stellt personalisierte Informationen zusammen, die Inhalte werden für jeden User automatisch auf Basis seiner Social-Media-Aktivitäten und persönlichen Lesegewohnheiten kreiert.
Zhang ist unternehmerisches Engagement nicht fremd. Nach seinem Abschluss als Software-Ingenieur an der renommierten Nankai-Universität in Tianjin im Jahr 2005 arbeitete er für den Ticketbuchungsservice Kuxun.com, die Mikroblogging-Website Fanfou.com und gründete die Wohnungsvermietungsseite 99fang.com. Schon 2008 dachte Zhang über eine Software nach, die Witze und Immobiliennachrichten sammeln sollte, gab aber auf, da der Markt seiner Meinung nach noch nicht reif dafür war.
Nach Angaben der Southern Weekly, einer Zeitung aus Guangzhou (Provinz Guangdong), veranlassten die folgenden drei Veränderungen im Jahr 2012 Zhang zur Entwicklung von Toutiao: Fortschritte beim maschinellen Lernen, soziale Netzwerke und das mobile Internet.
Im August 2012 ging Toutiao an den Start, als Content Distributor generiert die App keine eigenständigen Inhalte, sondern sammelt sie aus anderen Quellen. Nach Unternehmensangaben gibt es 120 Millionen registrierte Nutzer und über 40 Millionen aktive Monatsnutzer. Die Werbeeinnahmen der ersten fünf Monate dieses Jahres überstiegen 10 Millionen Yuan, so Zhang. Dennoch arbeitet Toutiao noch nicht rentabel.
Anfang Juni sicherte sich Toutiao eine Finanzierung (Serie C) im Wert von 100 Millionen Dollar von Sequoia Capital, einer amerikanischen Risikokapitalgesellschaft. Zurzeit wird ihr Wert auf 500 Millionen Dollar geschätzt.
Der Anfangserfolg des flügge gewordenen IT-Start-ups traf auf den Widerstand traditioneller Medienunternehmen. Mehrere Nachrichtenportale, große Medienhäuser und einflussreiche Blogger forderten das Unternehmen bereits auf, unrechtmäßige Verlinkungen, Kopien und Weiterleitungen ihrer Inhalte zu unterlassen.
Am 4. Januar gab es dazu eine Gerichtsanhörung in Beijing. Dayoo.com, eine Website, die offiziell autorisiert ist, Meldungen der Guangzhou Daily im Internet zu veröffentlichen, hatte Klage eingereicht und Toutiao der Urheberrechtsverletzungen beschuldigt.
Der Klägeranwalt verlangte die Löschung der Links zu den Originalmeldungen, eine offizielle Entschuldigung, die einen Monat auf der Homepage der App stehen bleiben sollte, und eine angemessene Entschädigung. Der Rechtsstreit endete jedoch mit einer Kooperationsvereinbarung, die beide Seiten am 18. Juni unterzeichneten.
Am 23. Juni bestätigte die National Copyright Administration (NCA), dass sie Ermittlungen gegen Toutiao eingeleitet habe, nachdem sich verschiedene Medien darüber beklagt hatten, dass ihre Meldungen illegalerweise kopiert oder gepostet worden seien.
Diese Maßnahme ist offenbar Teil einer landesweiten Offensive gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet, die die NCA am 12. Juni gestartet hat. Gleichzeitig versprach die NCA, Urheberrechtsnachweise für Printmedien für die Zusammenarbeit mit Nachrichtenportalen zu verbessern.
„Genau genommen besteht unser Service darin, neue Links zusammenzustellen, wir plagiieren jedoch keine Inhalte", so Zhang.
Keine leichten Antworten
Mehrfach äußerte Zhang in den Medien, dass Software-Ingenieure in der Anfangsphase des Unternehmens Programme zur Kategorisierung und Archivierung von Medieninhalten und Social Media Content benutzt und einige Websites für eine Handyversion neu formatiert hätten, meistens ohne die Erlaubnis der Original-Websites. Die Werbung auf den Originalseiten ging dabei teilweise verloren. Da die neu formatieren Seiten hauptsächlich auf den Servern von Toutiao liegen, steigerte sich die Klickzahlen der Originalseiten nicht.
Diese Praxis wurde später verbessert. Leser würden jetzt meistens auf die Originalseiten geleitet, so Zhang.
„Rund 70 Prozent der Klicks auf unsere App führen direkt auf die Originalseiten, ich sehe kein rechtliches Risiko in diesem Geschäftsbereich. Die verbleibenden Klicks leiten User zu den umformatierten Seiten, wo wir immer noch das Logo der Originalseite platzieren können. Dieser Geschäftsbereich ist allerdings umstritten", erklärte Zhang in einem Interview mit der Southern Weekly am 6. Juni.
Zhang erklärte weiter, dass die Umformatierung vor allem technische Gründe habe, da einige Seiten, vor allem von kleineren Online-Auftritten, nicht mit der App nutzbar seien, ohne dass die Anwendung drohe, abzustürzen.
Die Beijing Times berichtete am 7. Juni, dass Toutiao eine Studie darüber gestartet hat, wie man die Umformatierung der Seiten auf ein Minimum reduzieren könne.
„Wir haben versucht, mit den Websites in Kontakt zu treten, deren Inhalte sich nicht mit unserer App nutzen lassen. Wenn die Betreiber eine Neuformatierung ablehnen, entfernen wir alle Links. Wenn sie irgendeine Möglichkeit der Zusammenarbeit sehen, werden wir mit ihnen darüber sprechen", erklärte Zhang der Beijing Times.
Viele Rechtsexperten widersprechen jedoch Zhangs Behauptung, dass seine App mit einer Internetsuchmaschine gleichzusetzen sei.
„Verglichen mit den Suchergebnissen von Baidu, der weltgrößten Suchmaschine in chinesischer Sprache, die nur einen kleinen Teil vom Inhalt der Originalseiten zeigt, bearbeitet Toutiao die Informationen und wird dadurch zu einem Content Provider, nicht zu einer Suchmaschine", erklärte Xu Chao, ehemals leitender Beamter des Copyright Management Department der National Copyright Administration. Sobald Verstöße gegen das Urheberrecht begangen würden, seien in erster Linie die Content Provider verantwortlich, Service Provider trügen nur eine indirekte Verantwortung.
Toutiao habe auf jeden Fall gegen die Rechte traditioneller Medien, Reporter und Autoren verstoßen, meint Zhang Hongbo, Generaldirektor der China Written Works Copyright Society. Viele Mitglieder des Verbandes hätten sich über Toutiaos Praxis beklagt. Man erwäge nun gemeinsam mit anderen Medienverbänden eine Sammelklage gegen das Unternehmen, so Zhang.
In einem Interview mit dem China News Service verteidigte Song Jianwu, Professor an der School of Journalism and Communication der China University of Political Science and Law in Beijing, das Vorgehen von Toutiao. Sein Argument: Toutiao fördere das Recht der Öffentlichkeit auf Information.
Verglichen mit dem Urheberrecht lasse die Information Network Transmission Right Protection Ordinance mehr Spielraum für die Verbreitung von Informationen durch das Internet, vor allem, wenn sie im Zusammenhang mit aktuellen Geschehnissen stehen, so Song.
Die Verfügung wurde 2006 verabschiedet und 2013 korrigiert. Sie listet acht Werkkategorien auf, die von Netzwerken ohne die Erlaubnis der Rechteinhaber und ohne Bezahlung verbreitet werden dürfen. Bei der siebten Kategorie handelt es sich um bereits veröffentlichte Artikel über aktuelle politische und wirtschaftliche Themen.
„Die generelle Entwicklung der Online-Medien hat das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen gestärkt, indem sie die Informationen leichter zugänglich macht", meint Song.
Die von traditionellen Medien angestrebten Prozesse gegen Urheberrechtsverstöße seien nicht immer gewinnbar und selbst im Falle eines juristischen Erfolgs entstünden kaum echte Vorteile, so Song weiter.
Mögliche Kooperationen
Bei vielen Websites, deren Links auf Toutiao erscheinen, geschah dies auf eigenen Wunsch. Diese häufig weniger bekannten Seiten erzielen durch die Kooperation einen Anstieg ihres Online-Traffics. Dongqiudi.com, eine Website mit Fußballnachrichten, ist ein Beispiel dafür.
Rund 40 Prozent des Traffics auf der mobilen Website komme von Toutiao, erklärte Chen Cong, der Gründer der Website gegenüber Southern Weekly. Die Kontroversen um die Rechtmäßigkeit von Toutiao seien hauptsächlich auf die unterschiedlichen Einstellungen traditioneller und neuer Medien zurückzuführen.
Nextcar.cn, eine Seite mit Autonachrichten, ist ebenfalls Partner von Toutiao, obwohl die Betreiber anfangs gegen die App waren. Im Januar traf sich der Nextcar-Gründer Hai Lan mit Zhang Yiming und forderte ihn auf, die Umformatierung der Seiten zu stoppen. Anstatt alle Links von der App zu entfernen, versprach Zhang jedoch, die User der App auf Nexctcar.cn umzuleiten und sorgte damit für einen unmittelbaren Anstieg der Visits. Toutiao-User machen nun rund ein Viertel des gesamten Traffics aus.
Eine ähnliche Kooperation besteht zwischen Toutiao und der mobilen Webausgabe des Nachrichtenportals Huanqui.com. Das von Toutiao speziell auf seine User zugeschnittene Format zählt täglich sechs bis zehn Millionen Visits.
Anstatt in Konfrontation zu gehen, sollten traditionelle und Online-Medien Kooperationen anstreben, erklärte Shen Yang, Professor an der School of Information Management der Wuhan-Universität (Provinz Hubei). „Ich hoffe, dass beide Seiten im legalen Rahmen konstruktiv über den Schutz der Urheberrechte und technologische Innovationen diskutieren können", erklärte Shen.
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