13-09-2013
Kultur und Kunst
„Was kann Literatur?“ Antworten aus Deutschland und China
von Maike Schulte

19 namhafte Autoren diskutierten zum Abschluss des Chinesisch-Deutschen Schriftstellerforums über Tabus und das Verhältnis von Literatur und Gesellschaft.

 

Die Diskussionen zwischen deutschen und chinesischen Autoren stießen auf großes Publikumsinteresse. Veranstaltet wurden sie vom Goethe-Institut China, dem Literarischen Colloquium Berlin, der Deutschen Botschaft in Beijing und der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (Foto: Goethe-Institut China)

„Was kann Literatur?" Diese Frage versuchten 19 der wichtigsten Autoren aus Deutschland und China am 3. September in Beijing zu beantworten. Aus Deutschland waren u.a. Ursula Krechel, Burkhard Spinnen und der ostdeutsche Autor Volker Braun angereist. Zu den prominenten chinesischen Vertretern zählten Fang Fang und Bi Feiyu. Die insgesamt fünf Gesprächsrunden bildeten den Abschluss des Chinesisch-Deutschen Schriftstellerforums und waren gleichzeitig Auftakt des Deutsch-Chinesischen Sprachenjahrs.

Nach Ansicht des französischen Schriftstellers und Philosophen Jean-Paul Sartre soll Schreiben auch einen außerliterarischen Zweck haben. Dazu gehören die kritische Reflexion, die Ungerechtigkeiten offenbart, genauso wie ästhetische Prinzipien. Dabei stellt sich die Frage nach der unterschiedlichen Produktion und Rezeption von Literatur in Ost und West. Wie sich deutsche und chinesische Autoren dazu äußern würden, stieß offenbar auf große Neugier im Publikum. Der 798 Space im Beijinger Künstlerviertel Dashanzi war bis auf den letzten Platz gefüllt. 

Der preisgekrönte Roman- und Drehbuchautor Bi Feiyu („Das Leben ist jetzt", „Die Mondgöttin") und Buchpreis-Trägerin Ursula Krechel diskutierten über das, worüber man nicht schreiben kann. „Jede Zeit testet Tabus. In den 50er und 60er Jahren war das die Sexualität", begann Krechel.  Beim Schreiben ihres Romans „Shanghai fern von wo" über das Schicksal jüdischer Exilanten in China, der demnächst in chinesischer Übersetzung erscheint, waren es „Feigheit und Persönlichkeitsrechte", die der literarischen Vergangenheitsbewältigung Grenzen setzten.

Bi Feiyu gab einen kleinen Einblick in die chinesische Variante der Geschichtsbewältigung. Ein beherrschendes Thema dabei sei die Kulturrevolution. „Seit den 1990er Jahren gibt es eine Menge historischer Romane über diese Zeit. Ihren Ursprung hat sie in der so genannten Narbenliteratur, die traumatische Erfahrungen in der Kulturrevolution schildert", erklärte er.

Besonders deutlich wurden die Unterschiede zwischen Ost und West bei der Frage nach der (literarischen) Bedeutung von Harmonie. „Das ist eine politische und nicht nur eine ästhetische Sache", behauptete Bi. Harmonie und Umgangsformen seien wichtig, „das Lächeln bleibt". „Ich wäre gestorben, wenn man mich zur Harmonie gezwungen hätte", entgegnete Krechel, die diese „unchinesische" Einstellung auch auf das Misstrauen zwischen den Generationen in Deutschland zurückführt.

Über das Verhältnis von Gesellschaft und Literatur sprachen der aus der ehemaligen DDR stammende Autor Volker Braun und die chinesische Schriftstellerin Fang Fang. Sie gilt als erste Vertreterin des Neorealismus in China. Sie schreibt über die Ärmsten der Armen. „Es ist die zahlenmäßig größte Gruppe im Land", begründet sie ihre Themenwahl. Für ihre Familie offensichtlich indiskutabel. „Nur nutzlose Menschen schreiben solche Romane, haben sie mir gesagt."

Der 1939 in Dresden geborene Braun, dessen Arbeit Gedichte, Theaterstücke, Romane und Erzählungen umfasst, nahm nach anfänglicher Begeisterung eine zunehmend kritische Haltung zum Sozialismus in der ehemaligen DDR ein und wurde wegen seiner schriftstellerischen Tätigkeit beinahe exmatrikuliert. „Literatur erhebt einen Anspruch an eine andere Lebensweise. Sie erschafft eine Gegenrealität. Damit wird sie natürlich zu einer politischen Kraft und einer Gefahr", lautete sein leidenschaftliches und unmissverständliches Schlussfazit.