In der Peking-Universität las Eugen Ruge aus seinem preisgekrönten Familien-Epos "In Zeiten des abnehmenden Lichts".
In Beijing präsentierte Buchpreisträger Eugen Ruge seinen Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts". (Foto: Goethe-Institut China)
Den "großen DDR-Buddenbrook-Roman" nannte Literaturkritikerin Iris Radisch Eugen Ruges Familienepos "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Darin schildert Ruge über 50 Jahre ostdeutscher Geschichte und skizziert gleichzeitig den Untergang des Sozialismus – so gekonnt, dass er dafür u.a. 2011 den Deutschen Buchpreis erhielt. Anlässlich der chinesischen Übersetzung des Buchs luden das Goethe-Institut China und die Peking-Universität zu einer Lesung und Diskussion mit dem Autor ein. Aus den von Ruge scherzhaft angekündigten "45 anstrengenden Minuten" wurden zwei im besten Sinne unterhaltsame Stunden.
Ruge, bis dahin vor allem als Dramatiker bekannt, erzählt in seinem Romandebüt die Geschichte der DDR von den 50er Jahren über die Wende im Jahr 1989 bis hin in die jüngste Gegenwart. Er veranschaulicht Historisches auf unterhaltsame und komische Weise durch eine mehrere Generationen umfassende Familiengeschichte. Da sind die Großeltern Wilhelm und Charlotte, überzeugte Kommunisten, die 1952 aus dem mexikanischen Exil in die junge DDR zurückkehren. Ihr Enkel Alexander erträgt dagegen die Enge der Heimat nicht mehr und flüchtet schließlich in den Westen.
Alexanders Vater Kurt, einer der führenden Historiker der DDR, hat ein stalinistisches Straflager überlebt. Trotz einiger Zweifel will er weiterhin an die DDR glauben. Von ihm handelt auch das Kapitel, das der Autor dem chinesischen Publikum präsentierte. Darin wird die Hautfigur über den vermeintlichen Verrat eines Mitarbeiters informiert, der in einem Brief an einen BRD-Historiker die Einheitsfrontpolitik der KPD während der Weimarer Republik kritisiert hatte. Traumatische Erinnerungen an seine eigene Verhaftung in Moskau und das anschließende Straflager werden wach. Dennoch tröstet Kurt sich damit, dass Kritiker der Partei nicht mehr erschossen, sondern "nur" aus der Partei ausgeschlossen werden.
Parallelen zu Ruges eigenem Leben sind unübersehbar.
"Das Buch hat viel mit meiner Familie zu tun, vor allem die älteren Figuren", erzählte der 1954 im Nord-Ural geborene Autor, dessen Vater, der DDR-Historiker Wolfgang Ruge, wie die Romanfigur Kurt im stalinistischen Straflager saß. Ruge selber floh wie seine Buchfigur Alexander ein Jahr vor der Wende aus Ost-Berlin in den Westen. "Das war eine schwere Entscheidung, denn es erschien wie der endgültige Abschied von meinem bisherigen Leben", erinnert er sich.
Keine Abrechnung mit der DDR
Ob der Roman in Abrechnung mit dem Kommunismus sei, wollte Germanistikprofessor Huang Liaoyu wissen, der als Moderator und Übersetzer durch die Veranstaltung führte. "Im Westen erwartete man eine Abrechnung, im Osten eine Verteidigung. Ich mache nichts von beidem", entgegnete Ruge. Das Buch sei eine Erzählung aus der Perspektive verschiedener Menschen und biete unterschiedliche Urteile über die DDR an. "Am Ende bleibt dem Leser die Arbeit nicht erspart, sich eine eigene Meinung zu bilden", scherzte er.
Er selbst sei froh, dass die DDR nicht mehr existiere, sagt Ruge. Das Buch, an dem er vier Jahre lang schrieb, war für ihn ein Versuch, sich sein eigenes Leben zurückzuerobern. "Damals erschien es mir wie ein Leben zweiter Klasse", sagt er rückblickend. "Heute sehe ich das nicht mehr so".
Literarische Kunstgriffe um ihrer selbst willen sind Ruge fremd. Er schreibt in einer klaren Sprache. "Ich will ein schlichtes, präzises Deutsch. In der Präzision liegt für mich Schönheit", erläuterte er. Demgegenüber steht eine komplexe Zeitstruktur. Ruge greift gern zu Mitteln der Zeitdehnung und -raffung oder er lässt Lücken, eine Struktur, die auch die Jury des Deutschen Buchpreises lobend hervorhob.
Dass sein Roman, der in Deutschland zum Bestseller und bereits in 20 Sprachen übersetzt wurde, dem chinesischen Publikum fremd sein wird, glaubt Ruge, der sich anlässlich der Buchpräsentation zum ersten Mal im Reich der Mitte aufhielt, nicht. Das dürfte angesichts des Buchthemas auch keine Fehleinschätzung sein.
Chinesische Leser, die neugierig auf sein Buch geworden sind, müssen sich allerdings noch ein wenig gedulden. Die Übersetzung wird erst im Oktober erscheinen. |