01-03-2012
Kultur und Kunst
Immaterielles Kulturerbe in China: Zwischen Tradition und Moderne
von Ma Li

 

Die älteste Technik der Keramikherstellung, die traditionellen Weisen des Papierschöpfens und die Kunst des Buchdrucks, die Herstellung prächtiger Thangkas in Tibet, die alte Tradition des  Spinnens und Webens bei den Angehörigen der Yi-Nationalität, die Produktion von Tee in Fujian und Essig in Shanxi, aber auch Lieder aus dem Land der Uiguren und die Herstellung von Musikinstrumenten haben neben vielen weiteren erstaunlichen Techniken und überlieferten Herstellungsgeheimnissen neulich zahlreiche Besucher im Agricultural Exhibition Center (Nongye Zhanlan Guan) in Beijing begeistert.

Veranstaltet wurde die Schau vom Kulturministerium und vierzehn weiteren Ministerien vom 5. bis zum 15. Februar. Mehr als 150 000 Interessierte sahen die Präsentation der Ergebnisse aus 41 so genannten Versuchszonen, die mit 188 Modellprojekten aus allen Teilen des Landes Kunsthandwerker und ihre Vermarkter nach Beijing führte.

Seit 2006 wird vom chinesischen Kulturministerium eine Liste des Immateriellen Kulturerbes der Volksrepublik China geführt. Alle Elemente des chinesischen Brauchtums, die vom Staatsrat unter staatlichen Schutz gestellt wurden, sind darin aufgeführt. Einbezogen sind mündliche und literarische Überlieferungen (wie Gedichte, Märchen und Legenden), traditionelle Darstellungsformen der Musik, des Tanzes und des Bühnenspiels, Rituale, Feste und Wettbewerbe aus dem Kreis des chinesischen Brauchtums, überliefertes Wissen aus den traditionellen Naturwissenschaften sowie traditionelle handwerkliche Fertigkeiten.

Mit dem Beitritt Chinas zum Abkommen der UNESCO über die „Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" haben einzelne Posten dieser Liste Eingang in die so genannte Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit gefunden. Zuletzt im November 2011 das chinesische Schattentheater. 

Die Ausstellung in Beijing war dem Schutz traditioneller Herstellungsmethoden und ihrer Umsetzung in marktfähige Produkte gewidmet. Nach Angaben der Veranstalter sei die Präsentation hinsichtlich der Zahl der Aussteller, der Vielfalt der Objekte und der Seltenheit der vorgeführten Techniken bislang einzigartig gewesen.

 

Scherenschnitt aus Yu

 Scherenschnitt aus dem Kreis Yu ist seit der Ming-Dynastie (1368-1644) eine weltweit bekannte Ausdrucksform chinesischer Volkskunst. In China gibt es zahlreiche Scherenschnitttechniken aus verschiedenen Gebieten, aber die in Yu gepflegte unterscheidet sich deutlich von allen anderen. Inhaltlich dominieren zwar auch hier Tierdarstellungen, Blumenmotive und glücksverheißende Schriftzeichen. Bei der Schnitttechnik wird jedoch der verbleibende Umriss betont, während die Ausschnitte lediglich als ornamentale Ergänzung dienen. Eine große Rolle spielt des weiteren die Farbgestaltung durch Färben des Papiers. Als Faustregel gilt, das die Wirkung eines Scherenschnitts aus Yu zu 30 Prozent aus Schnitttechnik und zu 70 Prozent aus Färbetechnik besteht.  

Als große Meisterin ihres Fachs wird Zhou Shuying auch im Ausland gefeiert, wo sie bereits zahlreiche Vorführungen ihrer Kunst gab. Bereits in der dritten Generation wird in ihrer Familie der Scherenschnitt betrieben. Ihre Adaption von Motiven aus der berühmten Qingming-Rolle des Malers Zhang Zeduan aus der Nördlichen Song-Zeit (960-1126), ihre Werke „Hundert Schmetterlinge" und „Baum des Lebens" sind in die Sammlungen von Kunstmuseen eingegangen.

Zhou hat die traditionellen Schnitt- und Färbetechniken in jahrelangem Experimentieren eigenständig weiterentwickelt und bislang sieben neue Methoden etabliert. Dies hat dem Scherenschnitt in Yu insgesamt großen Auftrieb verschafft.

„Früher waren die wirtschaftlichen Bedingungen schlecht. Dennoch hielt ich an meiner Kunst fest. Um bei einer Ausstellung mitmachen zu können, sollte ich aus eigener Tasche eine Teilnahmegebühr entrichten! Da ich kein Geld hatte, habe ich stattdessen Lebensmittel und Wasser beigesteuert", erzählt Zhou.

Ihre langjährigen Mühen haben sich gelohnt. Mit Unterstützung der Regierung ist der Scherenschnitt aus Yu im Rahmen von Präsentationen traditioneller chinesischer Kunst auch im Ausland gezeigt worden.

In den letzten Jahren erfolgt der Entwurf von Scherenschnitten immer mehr auf dem Computer. Geschnitten wird ebenfalls mit Hilfe von Maschinen. „Dies hat Herstellungstempo und Gewinnspanne erheblich erhöht. Dadurch kann viel mehr und viel billiger produziert werden", erklärt Zhou. „Aber die Qualität bleibt dabei auf der Strecke. Für das, was ein Computer in wenigen Minuten erledigen kann, brauchen wir oft mehrere Jahre. Aber unsere Produkte sind feiner, lebendiger und haben leuchtende Farben. Das können Maschine nicht leisten. Wir sollten Werbung für das Kunsthandwerk machen, und den Leuten klarmachen, dass im Kunsthandwerk der Mensch nicht durch die Maschine ersetzt werden kann. Dies ist der wahre Reichtum der Chinesen!" 

Mit ihren Geschwistern hat Zhou ein Museum eröffnet, in dem sie bereits mehr als achtzig Scherenschnittkünstler ausgebildet hat. Ihr Traum ist die Gründung einer Schule für Scherenschnitt aus Yu, auf der die Technik weiterentwickelt werden kann.

 

Suxiu, Stickerei aus Suzhou

Suxiu

Mit winzigen Nadeln und feinstem Seidengarn werden in der Stickerei aus Suzhou gerne Motive berühmter Gemälde der europäischen und chinesischer Malerei nachempfunden. Dies macht den besonderen Charme dieses Kunsthandwerks aus, dem eine Geschichte von 2000 Jahren nachgesagt wird.

Huang Chuya, 58 Jahre alt, ist eine hochrangige Meisterin der Suxiu. Lange hat sie sich mit der Stickereitechnik befasst und dabei mit der Umsetzung von Motiven aus der westlichen Malerei experimentiert. Ihr Ziel war dabei die Anpassung der traditionellen Stickerei an die Moderne. Dabei hat sich ihr eigener Stil herausgebildet.

Huang erzählt, dass sie auf einer Ausstellung in den USA im Jahr 1999 das Bild „Weizenfeld mit Krähen" von Vincent van Gogh sah, was sie sehr berührt hat. Nach ihrer Rückkehr entschloss sie sich dazu, das Motiv in Seidenstickerei nachzuempfinden. Dies war die Initialzündung dafür, sich nicht länger in der traditionellen Technik und Motivwahl einzukapseln, sondern das Repertoire ihrer Fertigkeiten erheblich zu erweitern. 

Huang ist eigentlich bereits im Rentenalter, aber es gibt am Forschungsinstitut für Stickerei in Suzhou zu wenige Dozenten, deshalb arbeitet sie weiter. Für die Stickerei von Suzhou muss man eine ruhige Hand haben und viel Geduld aufbringen. Die Suche nach Nachwuchs gestaltet sich also schwierig, denn die Jugend neigt eher anderen Interessen zu. Die Fortsetzung dieser Tradition der Stickerei steht also vor großen Herausforderungen.

„Die großen Meister sind heute fast alle alt. Wir müssen uns gut überlegen, wie wir am besten unseren Schülern die alten Techniken vermitteln können. Wir haben eine spezielle Gruppe für den Entwurf eines Lehrprogramms gebildet. Ziel ist es, dass die Schülern innerhalb kurzer Zeit bedeutende Fortschritte erzielen können", sagt Huang. Nach zwei Jahren einschlägiger Bemühungen zeichnet sich bereits eine gute Perspektive für Überlieferung und Innovation der Stickerei aus Suzhou ab. Dies sei vor allem staatlicher Unterstützung zu verdanken.

„Suxiu kann die Vorzüge anderer Kunstrichtungen sehr gut aufnehmen und zugleich ihren eigenen Stil beibehalten. In der Kunst zählen Vermittlung und Austausch, dann kann sie sich gut entwickeln", so Huang. Die Meisterin ist davon überzeugt, dass die Zukunft der Stickerei aus Suzhou gerade erst begonnen hat.