13-09-2011
Kultur und Kunst
Die Welt in den Augen der Jungen
von Tang Yuankai

Glückliche Schriftstellerin: Jiang Fangzhou genießt jetzt das Studentenleben an der Tsinghua-Universität

Von People's Literature in Beijing wurde kürzlich ein Schreibwettbewerb speziell für in den 90er Jahren geborene Autoren ausgerichtet. Die Zeitschrift, gegründet im Oktober 1949, ist so alt wie die Volksrepublik und hat sich stets zur Avantgarde des Literaturschaffens bekannt.

Die Gewinner des Schreibwettbewerbs werden im April nächsten Jahres bekannt gegeben. Aber schon jetzt zieht der Wettbewerb große Aufmerksamkeit auf sich, denn auch in der Jury des Wettbewerbs sitzen einige ziemlich junge chinesische Schriftsteller. Jiang Fangzhou, eine bekannte chinesische Jungautorin, ist eine davon.

Geboren im Oktober 1989, behauptet Jiang mit einem Augenzwinkern über sich, dass sie bereits kurz nach ihrer Geburt mit den Vorbereitungen für ihr erstes Buch begonnen hatte. Schon mit neun hat sie ihre erste Sammlung von Essays herausgegeben. Mit elf Jahren hat sie ihren ersten Roman geschrieben und publiziert. Und ein Jahr darauf ist sie Kolumnistin einer Zeitschrift geworden. Im Jahr 2004 errang sie in einem Schreibwettbewerb für Jugendliche ihren ersten Literaturpreis; im Jahr 2005 wurde sie zur Vorsitzenden der China Teen Writers' Association gewählt.

Seit einigen Jahren schießen in China Jungautoren wie Pilze aus dem Boden. Und viele Schülerinnen und Schüler haben Bücher publiziert, von denen einige zu Bestsellern geworden sind.

„Über die Hälfte meiner Schulfreunde schreibt gerne", sagt die 11-jährige Tian Xiaorui aus Beijing. Tian hat dieses Jahres ein neues Buch herausgegeben. „Wir schreiben nicht um uns zu amüsieren. Wir drücken in unseren Werken unsere Liebe zur Literatur und unsere Sicht des Lebens aus", so Tian.

Statistiken des Beijing Open Book Market Consulting Center zufolge trägt die von jugendlichen Autoren geschriebene Belletristik zu ungefähr zehn Prozent des chinesischen Literaturmarktes bei.

 

Die Welt in den Augen eines Kindes

Bereits vor zehn Jahren hat die damals 12-jährige Jiang ihr zweites Buch herausgegeben. Sie nannte das Buch „Entwicklung", es handelt vom Erwachsenwerden ihrer Generation. Man kann darin einiges lesen über Jugendliebe, Ehebruch und Homosexualität. Das Buch hat viele Erwachsene in Erstaunen versetzt, von einigen ist es stark kritisiert worden. Aber viele Leser bewunderten die scharfe Beobachtungsgabe und die wilde Phantasie dieser kleinen Autorin.

"Über das wahre Leben der Kinder wissen die meisten Erwachsenen gar nichts. In ihren Augen sind wir naiv und einfach. Sie können sich niemals vorstellen, wie unser wirkliches Leben ist", meint Jiang.

Der chinesische Schriftsteller Chen Cun findet, dass Erwachsene nur selten über die Fähigkeit verfügen, die innere Welt der Kinder zu verstehen. „Man sollte die Kinder von heute vor allem nicht unterschätzen. Es ist ganz normal, dass sie über alles Bescheid wissen", sagt Chen. „Statt die Welt der Kinder mitzuerleben oder sie sich uns vorzustellen, sollten wir lieber die Kinder ermutigen, mehr über ihre eigenen Welten zu schreiben."

In den Augen der jugendlichen Schriftstellerin Meng Xiangning, einer Schülerin der Oberstufe einer Mittelschule in Shijiazhuang, der Hauptstadt der norchinesischen Provinz Hebei, zeichnen erwachsene Autoren ein absurdes Bild der Generation der 90er Jahre.

„Die Autoren dieser Romane haben uns weder in vollem Umfang verstanden, noch sich überhaupt über unsere Gedanken und Beweggründe angemessen informiert", sagt Meng.

Kürzlich veröffentlichte Meng den semi-autobiografischen Roman „Aufwachsen wie eine Sonnenblume". Nach der Veröffentlichung ihres ersten Werkes im Alter von elf, und einer Sammlung von Werken im vergangenen Jahr, meint Meng, dass es notwendig sei, einen Roman über das Leben der in den 90ern Geborenen zu schreiben, damit das Publikum endlich begreife, wie junge Leute die Welt sehen. „Nur wenn die Erwachsenen uns geduldig zuhören und Anteil an unserem Leben nehmen, werden sie feststellen, dass wir zwar Träume haben aber auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen", meint Meng.

Die in den 90er Jahren geborenen Leser denken genauso. „Schriftsteller in unserem Alter können unsere positiven Eigenschaften begreifen und darüber schreiben. Das können erwachsene Schriftsteller gerade nicht leisten. Im Grunde ignorieren sie unsere wahren Gefühle. Obwohl wir vielleicht manchmal sorgenbeladen sind oder sogar depressiv wirken, sind wir in Wahrheit viel stärker als sich Erwachsene das  vorstellen können. Außerdem sind wir längst nicht so egoistisch wie die Leute immer meinen", sagt Wei Pengfei.

Der Jungautor Tang Chao hat mit fünfzehn Jahren unter dem Titel „Bitte geben Sie mir meinen Traum zurück!" seinen zweiten Roman veröffentlicht. Das Buch wurde rasch ein Bestseller.

„Auf uns lasten die Karrierehoffnungen unserer Familien und die Erwartungen der Gesellschaft. Aber wer verschwendet schon einen Gedanken darauf ?", sagt Tang.

Fei Fei, ein Mädchen Jahrgang 1996, meint, dass der Erwartungsdruck, der auf ihrer Generation lastet, die wertvolle Zeit der Kindheit geraubt hat: „Wir wurden von klein auf gezwungen, die Werke von Mozart zu hören, Gedichte und Essays auswendig zu lernen. Schon mit vier Jahren habe ich begonnen, Klavier zu spielen. Mit fünf hatte ich meinen ersten Englischkurs. Die Last auf unserem Rücken ist immer drückender geworden", sagt Fei.

ALL-ROUNDER Han Han: Erfolgreicher Schriftsteller und Rennfahrer.

 

Für die Leidenschaft zu Schreiben

In der Tat lösen die „Kinderschriftsteller" Diskussionen über das gegenwärtige Bildungssystem aus. Jiang Fangzhou studiert mittlerweile an der Tsinghua-Universität. Aber das ist alles andere als selbstverständlich. In der Hochschulaufnahmeprüfung hat Jiang schlecht abgeschnitten, vor allem im chinesischen Aufsatz! Dennoch hat die Universitätsleitung eine Ausnahme gemacht, um das Ausnahmetalent für sich zu gewinnen.

Jiang war nicht die erste Schriftstellerin in jugendlichem Alter, die schlechte Prüfungsleistungen vorzuweisen hat. Im Jahr 2000 veröffentlichte Han Han seinen ersten Roman „Drei Türen". Han Han schaffte wenigstens die erforderlichen 60 Punkte von 100 in der Chinesischprüfung. Er scheiterte an anderen Fächern und brach darauf die Schule ab. Heute ist das "Han Han-Phänomen" weit verbreitet. Über die richtige Förderung junger Talente wird seither allenthalben diskutiert.

Als Han Han im Jahr 1999 beim ersten „New Concept Writing Competition" den Hauptpreis gewann, wurde er über Nacht berühmt. Der Wettbewerb, der noch immer regelmäßig stattfindet, wird als "Olympiade des Chinesischschreibens" bezeichnet. Die meisten Teilnehmer sind Kinder, die nach Umsetzung der Ein-Kind-Politik in China zur Welt gekommen sind.

„Sie drücken die Hoffnungen und die Leiden ihrer Generation aus", sagt Mo Yan, der im Westen bekannteste chinesische Autor. „Diese jungen Schriftsteller streben danach, verstanden und geliebt zu werden. Was aber noch wichtiger ist: Zuerst  müssen sie lernen, für sich selbst zu sorgen, damit sie mit ihren Träumen und ihren Hoffnungen nach und nach erwachsen werden können."

Xu Minxia, ebenfalls Preisträgerin des „New Concept Writing Competition", hat später an der Fudan-Universität studiert.  Sie meint, dass die Gesellschaft jugendlichen Schriftstellern viel Unterstützung zuteil werden lässt. 

„Wenn es einem gelingt, seine wahren Gefühle zum Ausdruck zu bringen, kann man den Preis erringen. Der Wettbewerb hat uns viele Chancen eröffnet und uns die Freiheit gegeben, die Eigenschaften unserer Generation der Öffentlichkeit zu unterbreiten", sagt sie.

„Schreiben ist das Bedürfnis aller Kinder", sagt der Schriftsteller Yang Peng. Er ist der einzige chinesische Schriftsteller, der für den Unterhaltungskonzern „Walt Disney" arbeitet. Er textet die chinesische Fassung von Micky Maus: „Obwohl Kinder eine der schwächeren Gruppen der Gesellschaft sind, haben sie das Recht, ihre innersten Gedanken und Gefühle auszudrücken."